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2. Weltkrieg aus Moskaus Sicht
In Moskau ist unlängst der 12. und letzte Band des Standardwerkes „Geschichte des Zweiten Weltkrieges“ erschienen. Dieser Band behandelt aus sowjetischer Sicht auf beinahe 500 Seiten die Ergebnisse und Lehren des Weltbrandes 1939—1945.
Als Hauptergebnis des Zweiten Weltkrieges geben die Autoren — im allgemeinen im Westen weniger bekannte Historiker, vielmehr Militärs und führende Politoffiziere -, die Entstehung eines neuen Kräfteverhältnisses in der Welt an: „Der Imperialismus als System wurde wesentlich schwächer und verlor viele frühere Positionen. Der Sozialismus dagegen wurde bedeutend stärker. Seine Autorität ist gewachsen, und sein Einfluß in der Weltarena hat zugenommen…"
Dieses zwölfbändige Standardwerk in seinem Gesamtumfang von über 6000 Seiten, vielen Bildern und interessanten Dokumenten, wurde auf Anregung des damaligen Parteichefs Leonid Breschnew anfangs der siebziger Jahre in Angriff genommen. Der erste Band erschien 1973 unter, der Hauptredaktion von Verteidigungsminister Marschall A. A. Gretschko: Seinen Platz übernahm von Band 8 an sein Nachfolger, Marschall D. F. Ustinow, da Gretschko 1977 verstorben ist.
Das Mammutwerk ist ein typisches Produkt der Breschnew- Ära. Diese kennzeichnet daher auch die Gestaltung und politische Zielsetzung der Bände. Obwohl in der sowjetischen „Geschichte des Zweiten Weltkrieges“ auch die politischen, militärischen, ökonomischen und sozialen Geschehnisse der Welt außerhalb der Sowjetunion behandelt werden, liegt das Hauptgewicht auf der Entwicklung der osteuropäischen Kriegsschauplätze.
In diesem Zusammenhang sollte kurz an die vorgängige Sowjetgeschichte des Zweiten Weltkriegs erinnert werden. Während Stalins Herrschaft existierte bloß ein einbändiges Werk über den Krieg an der Ostfront. Nominell zeichnete Stalin selbst als Autor und stellte dabei etliche Tatsachen der Ereignisse — milde gesagt — auf den Kopf. Heute ist das Buch nur in einigen westlichen Bibliotheken erhältlich.
In der Chruschtschow-Ära hatte das Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der KPdSU ein sechsbändiges Werk über die „Geschichte des Großen Vaterländischen Krieges der Sowjetunion“ in den Jahren 1960-1965 herausgebracht.
Eine der Spezialitäten dieses Werkes bestand darin, daß Stalins Name und Person, obwohl er bekanntlich Partei- und Regierungschef dieser Jahre und zusätzlich als Generalissimus Oberster Befehlshaber der Roten Armee war, kaum eine Erwähnung fand!
Diese „Geschichte des Großen Vaterländischen Krieges“ findet in der heutigen offiziellen Militärhistoriographie kaum mehr Erwähnung und kann käuflich nicht mehr erworben werden.
Erfahrungsgemäß ist also zu erwarten, daß das soeben abgeschlossene sowjetische Standardwerk über den Zweiten Weltkrieg bald seine offizielle Gültigkeit verloren und durch eine neue, in ihrem Umfang vielleicht noch größere und wuchtigere Aufarbeitung ersetzt wird.
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