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226 mal 193 Anglizismen

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Die Bilder gleichen sich überall. In der Schule legt man wenig Wert auf Spracherziehung. Ja, es gibt Bestrebungen, in ihr auf die Hochsprache überhaupt zu verzichten. Alles Bemühen ist darauf gerichtet, es dem Schüler „leicht“ zu machen. In der Sprache jener, die heute die Diskussion beherrschen, wird die Schriftsprache zur Sozialbarriere“: die Einführung der Kleinschreibung soll nur der erste Schritt auf dem Weg zur „Sprachrichtigkeit“ sein. Die Rechtschreibung wird verteufelt: „Sie ist insbesondere gesellschaftlich und gesellschaftspolitisch schädlich. Sie verstärkt die Selektion und benachteiligt die sozial ohnehin benachteiligten,“ (...) „Die Rechtschreibung ist pädagogisch schädlich. Sie dient der frühzeitigen und lang anhaltenden Disziplinierung, und erzieht zum Verzicht auf den Gebrauch der eigenen Vernunft,“ so zu lesen in dem vom Verband deutscher Schriftsteller, dem PEN-Zentrum der BRD und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft herausgegebenen Fischer-Taschenbuch „vernünftiger schreiben“.

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Die Bilder gleichen sich überall. In der Schule legt man wenig Wert auf Spracherziehung. Ja, es gibt Bestrebungen, in ihr auf die Hochsprache überhaupt zu verzichten. Alles Bemühen ist darauf gerichtet, es dem Schüler „leicht“ zu machen. In der Sprache jener, die heute die Diskussion beherrschen, wird die Schriftsprache zur Sozialbarriere“: die Einführung der Kleinschreibung soll nur der erste Schritt auf dem Weg zur „Sprachrichtigkeit“ sein. Die Rechtschreibung wird verteufelt: „Sie ist insbesondere gesellschaftlich und gesellschaftspolitisch schädlich. Sie verstärkt die Selektion und benachteiligt die sozial ohnehin benachteiligten,“ (...) „Die Rechtschreibung ist pädagogisch schädlich. Sie dient der frühzeitigen und lang anhaltenden Disziplinierung, und erzieht zum Verzicht auf den Gebrauch der eigenen Vernunft,“ so zu lesen in dem vom Verband deutscher Schriftsteller, dem PEN-Zentrum der BRD und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft herausgegebenen Fischer-Taschenbuch „vernünftiger schreiben“.

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Die Sprache in den Massenmedien i st alles andere als schön und rieh- s ig. Die Journalisten entschuldigen ( ich mit der Hast ihrer Arbeit, müs- 1 :en aber zugeben, daß sie kaum je i Seit und Muße haben, sich über ihr dgentliches Handwerkszeug, über i Sprache und Schrift, Gedanken zu 1 nachen. Der Einfluß der modernen s Nachrichtentechnik macht sich hier i merkbar: ein Großteil der Agen- ! urmeldungen beruht auf Überset- : :ungen, vornehmlich aus dem “Mgli- : ichen. j

Aber auch die Sprache der Wer- i jung hat ihre Tücken. Slogan und ] Schlagwort prägen weitgehend ihren ; Charakter. Man muß es der Werbe- i Wissenschaft zugute halten, daß sie : .ich bereits sehr eingehend mit den i Problemen der Lesbarkeit, Verstand- ' ichkeit und Wirksamkeit von Tex- i ;en beschäftigt hat, aber bei allen Uesen Untersuchungen steht eben, anter Verzicht auf Richtigkeit und Schönheit der Sprache, begreiflicherweise der Werbeeffekt im Vordergrund. Man erkennt dies deutlich bei manchen Werbeaussagen in Rundfunk und Fernsehen, die jedes Sprachgefühl vermissen lassen. Aber auch bei den Anzeigen ist es kaum anders.

Die Teilnehmer eines anglistischen Seminars an der Universität Mainz haben in dieser Hinsicht einen interessanten Test veranstaltet, über den die Zeitschrift „Muttersprache“ kürzlich berichtete. An diesem Test beteiligten sich 35 Personen: zwölf Hausfrauen, acht Studenten, fünf Angestellte, drei Beamte, zwei Techniker, drei Rentner und zwei Soldaten. Alle Teilnehmer an dem Test gaben an, in der Schule Englisch gelernt zu haben. Es stellte sich dabei heraus, daß fast ein Fünftel der den Testpersonen vorgelegten 183 Anglizismen, nämlich 36, überhaupt nicht bekannt waren. An Hand einer Liste zeigte sich ferner, daß Ausdrücke, die in der Regionalzeitung ständig verwendet werden, durchaus nicht vollständig in den passiven Sprachgebrauch integriert waren. Von sieben Testpersonen wurden sechs der auf der Liste angeführten Termini nicht verstanden. Darunter befanden sich Golden Delicious und Investmentfonds. Sechs der Befragten wußten nicht, was overdrive, desolat und coat bedeutet. Fünf, also ein Siebentel des Kreises, konnten unter anderem die Worte Diskont, Design und Subkultur nicht verstehen. Vier Testpersonen war Servolenkung ebenso unklar wie petting, Anti-Inflation und audio-visuell. Selbst Weltpokal, Investmentgesellschaft und Instant fanden drei Testpersonen völlig unverständlich.

Wenn auch das Ergebnis dieser Mainzer Untersuchung wegen der geringen Zahl von Testpersonen nicht als repräsentativ gelten kann, sollte es doch vor allem dem Journalisten zu denken geben. Man kann neu auftauchende Fremdwörter nicht oft genug erklären, was im übrigen auch für die immer mehr in Mode kommenden Abkürzungen gilt. Nur sehr wenige Leser oder Hörer wissen, was OECD oder IDA in Wirklichkeit bedeutet, ganz abgesehen davon, daß auch so manche Redakteure, die diese Abkürzungen unerklärt in ihren Texten stehen lassen oder sie selbst gebrauchen, in arge Verlegenheit gerieten, wenn sie um iine Worterklärung gebeten würden: Organization for Economic Coopera-;ion and Development und International Development Association.

Die Mainzer Untersuchung hat im ibrigen unsere Feststellung bestä-;igt: unser Deutsch wird immer ichlechter, unsere Sprache immer nehr durch Anglizismen durchsetzt, sie hat festgestellt, daß es im Jahre 1965 im Durchschnitt nur zwei Angli-lismen pro untersuchter Zeitungsseite gab. 1968 waren es bereits vier and im Berichtsjahr 1973 ihrer zehn. Dreißig Prozent der entdeckten Anglizismen auf zwölf Inseraten — und auf zehn Textseiten einer Regional-seitung stammten aus der Zeit vor äem Zweiten Weltkrieg, die übrigen 70 Prozent bildeten Neuübernahmen seit 1945. Insgesamt wurden 183 Anglizismen im ganzen 226mal verwendet.

Eine andere Ursache der Sprachverwilderung ist die Vorliebe unserer Zeit für Modewörter und Abkürzungen, die vor allem von den politischen Wissenschaften durch zahlreiche Neubildungen (die oft genug auch unlautere Absichten bezeugen) unterstützt wird. Jedem neuen Terminus muß, wie Walter Fredericia darlegte, wenn er Sinn haben soll, ein Tatbestand zugrunde liegen.

Die „Struktureninvasion“ Hier nur einige Beispiele für die Modewörter und politisch bedenklichen Neubildungen. Das Wort von der „gesellschaftlichen Relevanz“ begegnet uns — obwohl es neu ist — auf Schritt und Tritt. An den Universitäten soll nur noch gelehrt werden, was „gesellschaftlich relevant“ ist. Sogar in den Naturwissenschaften wird die Frage gestellt, ob sie denn auch gesellschaftlich relevant seien. Auch die Kunst muß natürlich auf gesellschaftliche Relevanz hin ausgerichtet werden, um dem Menschen seine klassenbedingte Abhängigkeit und seine Hilflosigkeit gegenüber dem „System“ bewußt zu machen. Selbst die Theologie fehlt in diesem Reigen nicht. Die gesellschaftliche Relevanz führt weg von der Gotteserkenntnis und hin zur Theologie der Revolution.

Gesellschaftlich relevant bedeutet im ursprünglichen Wortsinn schlicht und einfach Gesellschaftsbezogen-heit. Das gesamte Tun und Lassen des Menschen, sein Denken eingeschlossen, ist gesellschaftlich relevant, wenn es den Bereich des rein Persönlich-Privaten übersteigt, denn dann berührt es eben die Mitmenschen, die Gesellschaft. Aber so wird das Wort ja heute gar nicht gebraucht. So zu denken und zu argumentieren, ist schlicht und einfach nicht „gesellschaftlich relevant“, sondern rückschrittlich, konservativ und reaktionär. Gesellschaftlich relevant im heutigen Sinne ist alles, was auf die Vermittlung des „richtigen“ Bewußtseins abzielt und die „Masse der Abhängigen“ in eine kämpferische Frontstellung gegen die beharrenden Kräfte der etablierten Gesellschaft bringt. Was im einzelnen „gesellschaftlich relevant“ ist und was nicht, darüber befinden die, die bereits das „richtige Bewußtsein“ haben und die Macht besitzen, es auch durchzusetzen. Die Freiheit, etwas zu tun, das nicht unbedingt „gesellschaftlich relevant“ ist, sondern um seiner selbst willen, ist dann freilich am Ende.

Ein anderes Modewort im Redestrom unserer Zeitgenossen ist „wertneutral“. Es dient offenbar dazu, dem, der es gebraucht, den Anschein eines Höchstmaßes an Objektivität und wissenschaftlicher Genauigkeit zu geben. In Wirklichkeit führt es zur Aushöhlung aller Begriffe, dient der Beschleunigung eines Prozesses, in dem alle Werte, an die das Funktionieren der bestehenden Gesellschaft gebunden ist, relativiert werden. Vom Aushöhlen bis zum Auflösen ist kein weiter Schritt, merkwürdigerweise akzeptiert die Gesellschaft das Verfahren und rechtfertigt es mit dem neuen Modewort, „sich selbst in Frage stellen“ zu müssen, mit dem Ziel, zu neuen „Strukturen“ zu kommen. Strukturen: auch ein Modewort, das sich so schön „wertneutral“ anhört. Wer sich heute bedeutungsvoll ausdrücken will, spricht nicht von Autorität, sondern von autoritären Strukturen, nicht von Unrecht, sondern von Unrechtsstrukturen, nicht von Eigentum, sondern von Eigentumsstrukturen, nicht von Wirtschaft, sondern von Wirtschaftsstrukturen, nicht von Kirche, sondern von kirchlichen Strukturen. „Strukturen“ paßt eben fast immer. Eine modische Sprachunsitte? Nein, diese „Struktureninvasion“ bedeutet bereits einen terminologischen Teilsieg der Gesellschaftsveränderer: hier geht es ihnen darum, der Allgemeinheit einzutrichtern, daß die bestehenden „Strukturen“ schlecht seien und nicht mehr zum Besseren entwickelt werden könnten. Es geht um den Aufbruch zu „neuen Strukturen“.

Der deutsche Kommunikationswissenschaftler Prof. Karl Steinbuch hat erst vor kurzem mit allem Nachdruck auf diesen „semantischen Betrug“ hingewiesen: „Worte werden ihrer vereinbarten Bedeutung entkleidet und in einem politisch beabsichtigten Sinn anders verwendet.“ Der Manipulation ist Tür und Tor geöffnet.

Einem weiteren Sprachmißbrauch, nämlich dem inkonsequenten Gebrauch richtiger und dem konsequenten Gebrauch falscher Ausdrücke, hat Hans Weigel sein verdienstvolles Antiwörterbuch „Die Leiden der jungen Wörter“ gewidmet. Hier läßt er sie alphabetisch aufmarschieren, die leidenden jungen Wörter, zum Nachschlagen und zur Beseitigung der sprachlicher Umweltverschmutzung, um zurr Schluß eine „Kritik“ zu simulieren, die „kurz nach dem Erscheinen dei ersten Auflage dieses Wörterbuches veröffentlicht wurde“:

„Das Buch institutionalisiert du Prävalenz elitärer Sprachdynamü im Sinne pseudoantitotalitärer Konsumbedingtheit. Das dialektische Bezugssystem marktimmanenten Fehl-Verhaltens wird auf Grund gesellschaftskonformer Revelanzlosigkei in spätpluralistisch faschistoid! Scheingrammatikkritik umfunktio niert“.

Hans Weigel hat das ausgezeichne getroffen. So schreiben sie wirklicl in unseren Zeitungen, in ihren Bü ehern. Das Traurige dabei ist nur daß ein derartiges Kauderwelscl auch die rein wissenschaftliche Lite ratur weitgehend beherrscht. Auel davon sei eine Kostprobe gegeben In dem Buch „Sprachen“ des deut sehen Germanisten Heinz F. Wend findet sich folgende Definition de deutschen Sprache:

„Dos Deutsche ist eine pröponie rend-flektierende, stark inkorporie rende (oder polysynthetische) Spra ; che mit einem konstanten, wurzel ! reflektierenden inneren Morpher und einem sich erweiternden agglu tinierenden Anteil“.

Weigel meint: ; „Man teilt die Schreiber in zwe Gruppen ein: die einen könne; : schreiben, die anderen haben etwa zu sagen. Oft haben die Schreiben könnenden auch etwas zu sagen, sei i ten können die Etwaszusagenhaben i den auch schreiben.“

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