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251 Jahre allein

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Die Geschichte der katholischen Kirche in Japan zeigt das erstaunliche Beispiel, daß Christen durch sieben Generationen — von 1614 bis 1865, also 251 Jahre lang — ohne Priester den Glauben bewahren und vererben konnten. Im Februar 1865 wurde die neue Kirche in Oura, Nagasaki, eingeweiht, und am 17. März kam eine kleine Schar armer Bauern, die dem erstaunten Bischof Petitjean erklärten: Wir haben das gleiche Herz wie du — und die dann vor dem Marienaltar niederknieten und ausriefen: Oh, schau, das ist die Mutter Maria mit dem göttlichen Kind auf den Armen. Es gab damals noch 30.000 Christen in Japan.

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Die Geschichte der katholischen Kirche in Japan zeigt das erstaunliche Beispiel, daß Christen durch sieben Generationen — von 1614 bis 1865, also 251 Jahre lang — ohne Priester den Glauben bewahren und vererben konnten. Im Februar 1865 wurde die neue Kirche in Oura, Nagasaki, eingeweiht, und am 17. März kam eine kleine Schar armer Bauern, die dem erstaunten Bischof Petitjean erklärten: Wir haben das gleiche Herz wie du — und die dann vor dem Marienaltar niederknieten und ausriefen: Oh, schau, das ist die Mutter Maria mit dem göttlichen Kind auf den Armen. Es gab damals noch 30.000 Christen in Japan.

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Franz Xaver landete am 15. August 1549 in Japan. Von da an verbreitete sich daa Christentum erst langsam, dann aber mit wachsendem Tempo, so daß die Christenzahl nach wenigen Jahrzehnten bis auf 300.000 stieg. P. Coelho soll in einem Jahr 40.000 getauft haben und von Frühjahr 1599 bis Herbst 1600 wurden 70.000 in die Kirche aufgenommen. Dabei waren nur wenige Priester im Lande, und die Kirche war gezwungen, nicht nur Katechisten und Brüder, sondern mögflehst viele Christen in der Mission mitarbeiten zu lassen. Das hatte den großen Nachteil, daß der Unterricht sehr ungenügend war, daß also das sakramentale Leben nicht recht aufblühte und die Kirche kaum pfarrlich organisiert werden konnte; aber es verhinderte eine zu starke Klerikalisierung der Kirche und bereitete die Christen vor, im Notfall auch ohne Priester auszukommen.

Nachdem schon 1597 die ersten 26 Märtyrer hingerichtet worden waren, erschien am 27. Jänner 1614 das Verfolgungsedikt des Shoguns Yeyasu. Alle Glaubensboten mußten das Land verlassen; die zurückblieben, wurden bald ergriffen und getötet; und die Christen, die nicht abfielen, wurden schrecklich gemartert. Die Verfolger wollten keine Märtyrer, sondern Apostaten und erfanden ein System, das es einfach unmöglich machte, verborgen zu bleiben:

• Seit 1623 wurde das „Shumon aratame“ eingeführt (wörtlich: Feststellung der Religion): Jeder Japaner, und vor allem jeder, der irgendwie verdächtig war, er könnte Christ sein oder gewesen sein, mußte sich jedes Jahr neu in einem buddhisti-r sehen Tempel registrieren und dabei öffentlich erklären, er sei nicht Christ, sondern Buddhist.

• 1627 kam das „Efumi“ (Bildtreten) auf. Alle, deren Familien früher Christen waren oder mit dem Christentum in Verbindung gestanden hatten, mußten auf ein Kruzifix oder ein Bild Christi oder der Gottesmutter treten, zum Beweis dafür, daß sie den christlichen Glauben verachteten.

• Es wurden Preise ausgesetzt für jeden, der einen Priester oder verborgenen Christen verriet, und es wimmelte von Angebern und Christenjägern.

• In Yedo wurde ein Christengefängnis eingerichtet und Scharen von Spionen wurden ausgebildet und im ganzen Land eingesetzt.

• Es wurden je fünf Familien zu Nachbargruppen organisiert, die dafür verantwortlich gemacht wurden, daß kein Christ und nichts Christliches bei ihnen versteckt sei. Wurde etwas gefunden, so wurden alle fünf Familien, ob Christ oder Heide, auf Hochverrat angeklagt und bestraft.

Wie war es möglich, daß Bischof Petitjean und seine Missionare 251 Jahre später, 1865, noch an die 30.000 Christen fanden, die „den Glauben fast unverfälscht bewahrt“

und durch sieben Generationen weitergegeben hatten?

Nachdem die letzten Priester verbannt oder gestorben waren, erfanden die Christen eine wunderbare Laienorganisation. Unter Lebensgefahr mußte herausgefunden werden, wer noch christlich sei. Wenn die Frage einmal an einen Heiden gestellt wurde, flammte sofort wieder eine Vernichtungsverfolgung auf. Allmählich gelang es, ein Verzeichnis anzulegen, die Christen in kleine Gruppen zu vereinigen und sie zu betreuen. Jede Gruppe erhielt einen Chökata (Vorsteher), dem die Verantwortung für die Gruppe zufiel. Dann wurde in jeder Gemeinde ein Mizukata (Wassermann, Täufer) aufgestellt, der dafür zu sorgen hatte, daß alle Kinder der Christen richtig getauft wurden. Der Mizukata bekam einen Assistenten, meist einen 15jährigen Jungen, der die lateinische Taufformel gut lernen und bei den Taufen assistieren mußte. Dieses Amt war sehr gefährlich, und daher wurde es nur mutigen jungen Männern von 25 bis 35 Jahren anvertraut. Ferner wurde in jeder Gemeinde ein Kikuyaku (Liturgiebeauftragter) eingesetzt, der den Kalender machte, die Feste und Bußzeiten bekanntgab und für Gebete und Frömmigkeit sorgte.

Es ist ergreifend, zu lesen, wie diese Christen, die nie einen Priester gesehen und nie einer Messe beigewohnt hatten, eifrig beteten, streng fasteten und ihre geheimen Lieder sangen. In der Nacht vom 24. auf den

25. Tag des „kalten Monats“ machten sie aus Stroh und Zweigen eine Art Krippe und stellten einen Kübel mit warmem Wasser daneben, damit man dem Jesuskind ein Bad geben könne.

Diese Christen fanden schließlich auch einen Weg, trotz der raffinierten Verfolgungsmethoden den Glauben durch sieben Generationen zu bewahren. Sie machten folgende Überlegung: Es kann nicht der Wille Gottes sein, daß alle Christen entweder sterben oder abfallen und so ihre Kinder ins Heidentum zurückfallen. Es war nun aber absolut unmöglich, das Bildtreten und das „Shumon aratame“ zu verweigern. Daher sei es offenbar Gottes Wille, rein äußerlich sich diesem Zwang zu fügen und die Deutung dieser Handlung zurückzuweisen. Sie ermahnten daher alle, jedes Jahr sich beim buddhistischen Tempel neu zu registrieren und beim Bildtreten rasch über die Bilder zu laufen, in der nächsten Nacht aber eine „Contri-tio“-Feier zu halten und Gott zu versichern, daß sie im Herzen den Glauben nie verleugnen würden.

War diese Überlegung richtig oder falsch? Darüber streiten sich die Theologen. Eines aber ist wohl sicher: Wenn damals noch Priester in Japan gewesen wären, hätten sie sicher diesem Denken nicht zugestimmt. So kommt es zu der paradoxen Tatsache, daß Tausende von Christen den Glauben bewahren konnten, nicht obwohl, sondern weil sie keine Priester hatten.

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