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3 Ministerien, unerschwingliche Mieten

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Vor ziemlich genau zehn Jahren gab die damalige schwedische Regierung Erlander unter großer Aufmachung ihr Wohnungsbauprogramm für die Jahre 1965 bis 1975 bekannt, das den Bau von einer Million neuer Wohnungen vorsah und das — verbunden mit einer großzügigen Kreditgebung durch den Staat und mit Mietbeihilfen für bedürftige Familienversorger — das leidige und damals schon bis zum Überdruß diskutierte Wohnungsproblem Schwedens für immer lösen sollte. Auf dem Papier sah alles wunderbar aus: Hunderttausende Personen, die zum Teil schon seit vielen Jahren auf eine Wohnung warteten, sollten endlich das ersehnte Dach über dem Kopf bekommen, der Bauindustrie wurde volle Beschäftigung zugesagt, über 90 Prozent aller Wohnungen sollten mit staatlicher Hilfe errichtet werden und Familien mit Kindern konnten bei Bezug einer modernen Wohnung mit einem ansehnlichen Mietenzuschuß rechnen können. Und damit sollte ein für die Regierung beschwerliches Wahlkampfthema für immer entschärft werden.

Im Frühjahr des Jahres 1974 steht man vor einer Situation auf dem Wohnungsmarkt, die an Beschwerlichkeit alles übertrifft, was man in den ersten beiden Nachkriegsjahrzehnten an Wohnungssorgen erlebt hat. Die Zahl der unvermieteten, leerstehenden Wohnungen, vor einem Jahr noch von den zuständigen Behörden schamhaft verschwiegen, beträgt mindestens 30.000; eine mittelgroße Stadt im Landkreis Stockholm meldet 1000 leerstehende Wohnungen und eine Inventierung ergab, daß 6800 Wohnungen und 429.000 m! Büro- und Fabriksräume, teilweise schon seit Jahren, keine Mieter finden konnten. Die Mietzinsverluste für die letzten zwei Jahre werden auf 100 Millionen Kronen geschätzt, der nichtbenützte industrielle Raum hätte 11.000 Menschen Beschäftigung bieten können.

Als Ursache Nummer eins muß der hier in keiner Weise direkt beteiligte Beobachter die durch die großzügigen Wohnbauversprecbungen der Regierung entstandene scheinbare Risikolosipkeit einer umfassenden Bautätigkeit bezeichnet werden. Die Regierung gewährte hohe Wohnbaukredite zu sehr günstigen Bedingungen, das rasche Anwachsen der Pensionsfonds schien einen ungehemmten Kreditfluß zu garantieren, und die Bau- und Kreditkosten konnten, wie auch die notwendigen Investitionen und die Verwaltungskosten, die Höhe der Mietzinse bestimmen. Für einen geschickten Unternehmer gab es so gut wie kein Risiko, dagegen aber die Gewißheit eines ununterbrochenen, durch die Gesetzgebung und die Praxis der kommunalen Wohnungsämter garantierten Vermögenszuwachses. Bei einem eigenen Kapitaleinsatz von 10 Prozent konnte mit einer jährlichen Wertsteigerung der Realitäten um 7 bis 10 Prozent gerechnet werden, während sich gleichzeitig durch die (von den Mietern bezahlten!) Amortisier ungen der eigene Vermögensanteil an dem Objekt jährlich um 3 Prozent erhöhte.

Es konnte nicht ausbleiben, daß dies viele Unternehmen mit sehr zweifelhaften Voraussetzungen veranlaßt in das Wohnungsbaugeschäft einzusteigen. Die Löhne der Bauarbeiter stiegen weit über den üblichen Arbeitslohn hinaus, die Preise für das Baumaterial begannen ihre Höhenwanderung, der Staat sah sich gezwungen, seine Kreditbedingungen zu verschärfen, und als er schließlich, unter dem Druck der Hausbesitzerverbände, gezwungen war, den seit den Kriegs jähren bestehenden Mieterschutz abzubauen, verwandelte sich der Wohr.ungsman-gel plötzlich in ein Wohnungsüberangebot, da sich viele der Wohnungssuchenden einfach nicht mehr imstande sahen, die geforderten hohen Mieten zu bezahlen.

Eine sehr unglückliche Rolle spielte auch der Verband der Mieter (Hyresgästföreningen), der wenig mit den in kontinentalen Ländern bestehenden Mieterschutzvereinen gemeinsam hat und der von einer ehrgeizigen Führung anscheinend nur als Plattform für die Erlangung einer Machtposition im Staate gewertet wird. Die Tätigkeit dieses Verbandes, dessen Methoden oft an gewisse amerikanische Zustände erinnern, würde ein längeres eigenes Kapitel rechtfertigen.

Verständnislos stand die Leitung der staatlichen Wohnbaupolitik auch dem Wunsche vieler Menschen nach einem Eigenheim, dem im gesamten Norden so beliebten Einfamilienhäuschen, gegenüber. Der „Drang ins Grüne“ wurde durch lange Zeit — auch hier war der Mieterverband federführend — verspottet und verhöhnt und die Konzentration in großen regionalen Zentren wurde auf alle denkbare Art gefördert. Die Entvölkerung weiter Landgebiete war eine der Folgen, die Entstehung neuer Slums in rasch wachsenden Industriestädten eine andere. Und dann setzte die große Gegenbewegung „zurück in eine menschenwürdige Umgebung“ ein, die das Scheitern der bisher geführten Wohnbaupolitik ankündigte.

Was tut nun die Regierung angesichts einer derartig verfahrenen Situation?

Vorerst war sie gezwungen, auf das Unvermögen vieler Mieter, die Mietzinse weiterbezahlen zu können, mit immer höher werdenden staatlichen Mietzinsbeiträgen zu antworten.

Nach dem eben erschienenen neuen ,,Sozialkatalog“ kann ein Familienversorger nun für jedes Kind einen monatlichen Mietzinsbeitrag von 75 Kronen erhalten. Diesen Beitrag erhalten auch Unverheiratete, die ein Kind zu versorgen haben. Darüber hinaus kann man noch einen kommunalen Beitrag erhalten.

Schritt für Schritt sieht sich die Regierung zur Revision ihrer bisherigen Wohnungspolitik gezwungen. Das Beitragswesen ist nur eine Notlösung, doch es verschlingt Milliardenbeträge. Man beginnt einzusehen, daß ein Bauen nur im Hinblick auf eine möglichst hohe Produktion und um das „Plansoll“ zu erreichen vollständig falsch war. Die Menschen wollen nicht in riesigen Betonblocks zusammengepreßt leben. Die riesigen schwedischen „Schlafstädte“ waren eine Fehlspekulation.

Um mit den entstandenen Problemen fertig zu werden, hat die Regierung drei neue Ministerien eingerichtet, ein Arbeitsministerium, eines für kommunale Angelegenheiten und ein Wohnungsministerium, alle drei werden sich mit Fragen der Wohnbaupolitik zu befassen haben, nicht zuletzt auch das an zweiter Stelle genannte Ministerium, da ja die Wohnungszuschüsse der Gemeinden lawinenartig anwachsen und irgendwie vom Staat übernommen werden müssen.

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