6989409-1986_39_11.jpg
Digital In Arbeit

35 -Stunden-Woche als Ziel für 1990

19451960198020002020

Rasch die 35-Stunden-Woche, bald eine bessere und längere (Ausbildung, einen radikalen Rückschnitt bei Überstunden: Alfred Dallinger hat klare Ziele.

19451960198020002020

Rasch die 35-Stunden-Woche, bald eine bessere und längere (Ausbildung, einen radikalen Rückschnitt bei Überstunden: Alfred Dallinger hat klare Ziele.

Werbung
Werbung
Werbung

FURCHE: Derzeit wird im Bereich der VOEST-A Ipine die radikalste Form der Arbeitszeitverkürzung, der Beschäftigungsabbau, überlegt, auch wenn sich manches als ,J?rühpension“ bemänteln läßt. Sie werden zugeben müssen, daß die konkreten Probleme auch eine 35-Stunden-Woche nicht gelöst hätte.

ALFRED DALLINGER: Insgesamt sicher nicht, aber die Zahl der Freizusetzenden wäre geringer ausgefallen. Der Betriebsrat bemüht sich (Anm. d. Red.: siehe Seite 13), eine spezielle Variante in die laufenden Gespräche einzubringen.

Dieses Beispiel bestätigt wie andere meine These, mein Argument zur Kostenfrage der Arbeitszeitverkürzung: Arbeitslosigkeit ist die teuerste, unsozialste und unmenschlichste Form der Arbeitszeitverkürzung. • Daher müssen wir unsere Bemühungen um eine Arbeitszeit-

„Die Diskussion um eine längere Schulzeit ist falsch gelaufen“ Verkürzung fortsetzen. Die bisher gesetzten Schritte sind aus meiner Sicht zu klein und im zeitlichen Ablauf viel zu lang, um arbeitsplatzvermehrend und -erhaltend wirksam zu sein. Es wird daher die Aufgabe des nächsten OGB-Bundeskongresses sein, nach dem Einstieg in die Arbeitszeitverkürzung zu überlegen, die gewählte Strategie beizubehalten oder das Tempo der Arbeitszeitverkürzung zu beschleunigen und die Zahl der insgesamt davon Betroffenen zu erweitern.

FURCHE: Welches Tempo und welche Strategien verfolgen Sie?

DALLINGER: Mein Ziel ist es, noch in diesem Jahrzehnt die 35-Stunden-Woche zu realisieren — da ist kein großer Spielraum mehr vorhanden. Zweitens glaube ich, daß ohnehin nach einer bestimmten Zeit die Arbeitszeitverkürzung in Form von branchenweisen Kollektivverträgen in eine globale Lösung übergehen muß. Da gibt es die Form eines Gene-ralkollektiwertrages oder eine gesetzliche Bestimmung.

FURCHE: Wenn Sie für 1990 konsequent die 35-Stunden-Wo-che anpeilen, können andere Ihrer Vorschläge — etwa die Verlängerung der Schulzeit — doch nicht ganz so ernst gemeint gewesen sein.

DALLINGER: Die Diskussion ist falsch gelaufen. Mir wurde unterstellt, ich hätte den Vorschlag primär aus beschäftigungspolitischen Gründen gemacht. Gemeint habe ich aber, daß wir uns wegen der technologischen und gesellschaftlichen Veränderungen mittelfristig auf eine Schulzeitverlängerung vorbereiten müssen. Dazu stehe ich. Jetzt habe ich das gesagt, weil mir bewußt ist, daß das sehr viele Vorarbeiten voraussetzt, damit eine allfällige Schulzeitverlängerung nicht nur eine Fortsetzung und Fortschreibung dessen wird, was wir heute haben. Mir geht es darum, die Diskussion deshalb in Gang zu halten, um unsere jungen Menschen für, die Zukunftsbewältigung reif zu machen.

FURCHE: Der Sozialminister zerbricht sich den Kopf der Bildungspolitik ohne kurzfristig arbeitsmarktpolitische Hintergedanken?

DALLINGER: Ja, ich spreche mich unbedingt für eine Ausweitung des Bildungsniveaus aus.

Die Lebenserwartung der Menschen steigt ständig und sie könnte, sagen uns Zukunftsforscher, im nächsten Jahrtausend bei 100 Jahren liegen. Da werden eine Fülle von Veränderungen vorgenommen werden müssen, auch die Lebensar.beitszeit wird unter einem anderen Gesichtspunkt zu sehen sein. Wenn die Lebenserwartung so bedeutsam ansteigen sollte und sich das Altern des Menschen „verzögert“, weil sich auch der Gesundheitszustand weiter verbessert und er länger arbeitsfähig bleibt, dann wird auch das Pensionsanfallalter einer Veränderung unterworfen sein.

Leider ist es ein österreichisches Übel, daß man Entwicklungen, die sich anderswo abzeichnen, nicht ausreichend beobachtet, sondern im Nachziehverfahren sich anzuhängen versucht. Daher muß man die Menschen aufrütteln, auch wenn dann gelegentlich Vorschläge kontroversi-ell gesehen werden.

FURCHE: Kommt nicht auch schon die Bildungsoffensive zu spät? Der Arbeitsmarkt spiegelt doch längst die Qualifikationsprobleme wider.

DALLINGER: Das ist richtig. Hier haben wir es mit einem Trend zu tun, der nur aus seiner historischen Entwicklung zu verstehen ist, auch was die starke Hinwendung der Kinder von Arbeitern und Angestellten zu höheren Schulen und Universitäten betrifft.

Wir müssen die Facharbeiterausbildung wieder in Erinnerung rufen, durchaus gekoppelt mit höherer Bildung. Ich sehe zum Beispiel keinen Widerspruch zwischen Matura gekoppelt mit Lehre. Das ergäbe ganz andere Voraussetzungen.

Durch die demographische Entwicklung in den nächsten Jahren wird es im Bereich der qualifizierten Facharbeit einen Mangel geben, dem man, das ist meine Meinung, durch eine Kombination von vermehrter Allgemeinbildung mit spezifischer Berufsausbildung begegnen sollte.

FURCHE: Aber wie hilft man dem obersteirischen Stahlarbeiter mittleren Alters? Seine Qualifikation ist das Problem.

DALLINGER: Vielleicht wird unterschätzt, was tatsächlich geschieht. Es gibt das Ausbildungszentrum Pohnsdorf, in dem auf elektronischen Gebieten Ausbildung vermittelt wird. Und wir haben mit Unterstützung der Arbeitsmarktverwaltung in Kap-fenberg Ausbildungsmöglichkeiten in Firmen geschaffen.

Ich bin aber durchaus bereit, jede Variante zu akzeptieren und mitzufördern, die eine Verbesserung der Voraussetzungen bringt, sei das in Form von Teilzeitarbeit gekoppelt mit Ausbildung oder einer auf mehrere Monate konzentrierten Ausbildung. Wir haben ja im Rahmen der Qualifikationsoffensive das Angebot gemacht, bis zu zwei Jahre einen durchschnittlichen Lebensunterhalt zu bezahlen, wenn mit der Ausbildung eine zukunftsorientierte berufliche Weiterentwicklung verbunden ist.

FURCHE: De iure steht das Pensionsanfallalter -noch nicht— zur Diskussion, de facto häufen sich, nicht zuletzt durch ,J?euer-wehraktionen“, Frühpensionen. Ihr Argument ist, daß für Ausnahmesituationen Ausnahmebestimmungen gelten sollen. Im VOEST-Fall ist das die quantitative Seite. Aber qualitativ? Für den von Arbeitslosigkeit bedrohten älterenMenschenist es gleichgültigen welchem Betrieb—staatlich oder privat—er knapp vorder Pension vor der Katastrophe steht.

DALLINGER: Vom Grundsatz her ist das richtig. Ich habe zu den betriebswirtschaftlichen Überlegungen, im VOEST-Bereich 9.400 Beschäftigte abzubauen, deshalb meinen Vorschlag gemacht, weil das in bestimmten Regionen zu einer Notsituation führen würde.

Es geht um das Sonderunterstützungsgesetz, das in Zusammenhang mit der Schließung der Kohlenbergwerke in Österreich geschaffen wurde. Jene, die als Frau 50 und als Mann 55 Jahre alt sind und die nach Ablauf von fünf Jahren die Voraussetzungen der Frühpension hätten, sollen im Sinne dieses Sonderunterstützungsgesetzes pensioniert werden.

Ich glaube, daß diese Maßnahme gerechtfertigt ist. Für mich geht es um den Differenzbetrag zum Anspruch auf Arbeitslosengeld, Notstands- und Sozialhilfe.

„Ein Privileg starker Gewerkschaften bei der Arbeitszeit verhindern“

Andererseits verstehe ich, daß sich manche zurückgesetzt fühlen. Aber das scheitert an der Finanzierbarkeit. Daher lautet die Alternative nicht, das für alle zu machen, sondern für keinen.

FURCHE: Müssen Sie nicht mit einem Bekenntnis zur Ungleichbehandlung über Ihren sozialdemokratischen Schatten springen?

DALLINGER: Ich bekenne mich dazu, weil ich es mit meinem sozialen Empfinden und meiner Einstellung für nicht vereinbar halte, daß Menschen, die in diesem Wirtschaftszweig, der so viel zum Aufbau Österreichs beigetragen hat, aufgrund von strukturellen Veränderungen freigesetzt und in den letzten Jahren ihres Arbeitslebens zu Arbeitslosigkeit verurteilt werden. Aber ich akzeptiere, daß für jeden, der arbeitsfähig und arbeitswillig ist, Arbeitslosigkeit eine Außenseiterposition bedeutet.

FURCHE: Als wir zuvor über die Arbeitszeitverkürzung gesprochen haben, konnten Sie dem Gedanken der Ungleichbehandlung nicht sehr viel abgewinnen.

DALLINGER: Wir dürfen das nicht nur aus dem Blickwinkel der Arbeiter und Angestellten sehen. Wie sehr müssen sich die ungleich behandelt vorkommen, wo es für pragmatisierte Beamte aus Steuergeldern aller absolute Sicherheit gibt.

Die Arbeitszeitfrage sehe ich vor einem anderen Hintergrund. Hier geht es mir - im Gegensatz zu den vorangegangenen Arbeitszeitverkürzungen, die doch primär einer Verbesserung der Lebensqualität gedient haben - um die arbeitsplatzvermehrende und -erhaltende Wirkung. Außerdem wäre nicht einzusehen, daß es bei der Arbeitszeit zu einem Privileg gewerkschaftlich starker Gruppen gegenüber schwächeren kommen soll. Da ist es eine Aufgabe der Gesetzgebung, einen Ausgleich zu schaffen.

FURCHE: Da klingt Solidarität an. Aber fürs gleiche Geld weniger arbeiten — das ist doch wirklich kein besonderes „Opfer“.

DALLINGER: Das ist eine Fiktion. Der absolute Lohnausgleich ist nur eine Sache des Augenblicks. Alle Arbeitszeitverkürzungen der Vergangenheit und Gegenwart haben dazu geführt, daß bei den nachfolgenden Lohnrunden dafür ein Preis bezahlt wurde.

FURCHE: Aber echte Solidarität?

DALLINGER: Für mich ist die Frage der Uberstunden ein sehr ernstes Thema. Da sehe ich mich im Widerspruch zu jenen, die zur Einkommensvermehrung regelmäßig Uberstunden leisten. Das ist eine antisolidarische Haltung. Ich möcht* ja nicht behaupten, daß heute Solidarität großgeschrieben wird. Die Zeit der Hochkonjunktur hat zum weitverbreiteten Denken geführt, daß man nicht der Solidarität anderer bedarf. Gelebt wird nach der Parole: Jeder für sich, keiner für alle. Das wird zwar nicht gerne gehört, aber das muß man aussprechen. Es wäre Aufgabe aller gesellschaftlichen Kräfte, auch die der Kirchen, Solidarität wieder in Erinnerung zu rufen.

FURCHE: Ihr Versuch, in der Uberstundenproblematik durch Besteuerung gegenzusteuern, hat nicht das beabsichtigte Ziel erreicht.

DALLINGER: Zuerst habe ich versucht, von der moralischen Seite an das Problem heranzugehen. Das war zum Scheitern ver-urteüt. Dann habe ich gesagt: Wenn man von der Moral her zu keiner Lösung kommt, dann muß man es weniger lukrativ machen.Und das ist heute noch meine Meinung.

FURCHE: Ihr Ziel?

DALLINGER: Uberstunden ad hoc wird es immer geben. Mir geht es darum, regelmäßige Uberstunden durch neue Arbeitskräfte zu substituieren. Bedenkt man, daß in der privaten Wirtschaft 28 bis 30 Milliarden Schilling und auch im Öffentlichen Dienst sieben Milliarden Schilling jährlich für regelmäßig geleistete Uber stunden bezahlt werden, so geht es - umgerechnet - um 60.000 Arbeitskräfte. Selbst unter der Annahme, daß die Hälfte auf Spezialisten entfällt, die man nicht ersetzen kann, wären das 30.000 Arbeitsplätze. Das ist das Motiv, warum ich nicht lockerlasse, ich möchte erreichen, daß die Uberstundenleistung zum Zweck der Einkommensvermehrung als unmoralisch angesehen wird.

Das Gespräch mit Sozialminister Alfred Dallinger rührte Hannes Schopf.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung