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40.000 Waisen in Beirut

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Das Fladenbrot wird unter freiem Himmel selbst gebacken, frisches Gemüse kommt von den eigenen Feldern, Mehl, Hülsenfrüchte, getrocknetes Fleisch und Schafskäse in Olivenöl lagern in den Vorratskellern: Das südlibanesische SOS-Kinderdorf SFERAI/SAIDA übersteht auch die harten Tage der israelischen Invasion.

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Das Fladenbrot wird unter freiem Himmel selbst gebacken, frisches Gemüse kommt von den eigenen Feldern, Mehl, Hülsenfrüchte, getrocknetes Fleisch und Schafskäse in Olivenöl lagern in den Vorratskellern: Das südlibanesische SOS-Kinderdorf SFERAI/SAIDA übersteht auch die harten Tage der israelischen Invasion.

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Das Dorf ist noch kaum ein halbes Jahr alt. Dutzende verlassene Kinder und Kriegswaisen haben in diesem zweiten libanesischen Kinderdorf ein neues Zuhause, eine Familie, eine Mutter und die Hoffnung auf eine gesicherte Zukunft gefunden. Im Krisengebiet des Südlibanon.

Havana Salame heißt eines der Kinder. Zusammen mit ihren drei Brüdern war die Fünfjährige schon im November 1981 nach Sferai gekommen, als das Dorf noch Baustelle war. Schmutzig stand sie da, mit tränenverklebten Augen, verstört durch das Verschwinden der Mutter, die kurz zuvor, erst dreißigjährig, an Krebs gestorben war. Der Vater drogensüchtig und krank. Der 87-jährige Großvater zu schwach, um die vier Kinder zu betreuen. Ein Fall von vielen. Waisenkinder gibt es im Libanon erschreckend viele. In Beirut spricht man von 40.000. Wahrscheinlich sind es mehr, denn allein die Zahl der Toten des nun schon sieben Jahre andauernden Bürgerkrieges wird von offizieller Seite auf mehr als siebzigtausend geschätzt.

Freilich, immer noch erfüllt die Großfamilie ihre Funktion, Schutzbedürftigen, auch Kindern, eine Zuflucht zu bieten. Gerade im Islam gehört es zur religiösen Pflicht, sich in Not geratener Kinder aus der Verwandtschaft anzunehmen. Und doch fallen immer mehr durch die Maschen dieses natürlichen Auffangnetzes.

Der Staat, die Regierung, die zertrümmerte Hauptstadt, sind machtlos. Die wenigen großen Waisenhäuser sind überbelegt. Die Ereignisse der- letzten Wochen haben die Situation wesentlich verschärft.

Die beiden SOS-Kinderdörfer und ihre begleitenden Einrichtungen versuchen, auch — und gerade hier im Libanon, elternlosen, verlassenen Kindern eine Mutter, Geschwister, eine Familie wiederzugeben. Begonnen hat es 1964. Damals

Der Einmarsch Israels im Libanon hat die Lage der schwer geprüften Zivilbevölkerung dort noch weiter verschlimmert, vor allem auch die der Palästinenser. Die Folgen: neue Flüchtlingsströme, noch mehr Witwen, noch mehr Waisen. Hier zwei Beispiele, wie internationale Organisationen helfen, die ärgste Not zu lindern. wurde der libanesische SOS-Kin-derdorf-Verein gegründet. Die Tirolerin Helga Zündel hat in den Bergen, östlich von Beirut, das SOS-Kinderdorf Bhersaf aufgebaut und während der schweren Kriegsjahre 1975/76 geleitet. Mehr als einhundertzwanzig Waisenkinder wohnen im Dorf.

Die libanesischen SOS-Kinderdorf-Projekte werden hauptsächlich durch Spenden aus Österreich, jder Bundesrepublik Deutschland und Skandinavien finanziert. Besonders bewährt hat sich das System der Patenschaften, die dem Gönner einen direkten und persönlichen Kontakt mit dem Patenkind ermöglichen, dem auch der Unterhaltsbeitrag direkt zukommt.

Im Libanon sind 17 Religionsgemeinschaften offiziell anerkannt. Diese Vielfalt spiegeln auch die SOS-Kinderdörfer wieder. Mehr noch: Während in der schlimmsten Zeit des Bürgerkrieges zeitweise der konfessionelle Charakter der Auseinandersetzungen ihren politisch-sozialen Hintergrund überdeckte, blieb der Frieden im moslemisch-christlich gemischten Dorf erhalten. Und so ist es auch heute.

Wenn das südlibanesische SOS-Kinderdorf Sferai in einigen Monaten voll besiedelt sein wird, werden darin etwa achtzig Kinder ein Zuhause gefunden haben.

Das ist viel und nicht viel. Nicht viel, weil nur ein Bruchteil jener Kinder ein bleibendes Daheim findet, die auch eine Mutter, auch Liebe, auch Geborgenheit bitter notwendig hätten. Viel, weil mit jedem SOS-Kinderdorf ein Modell geschaffen wird, das zur Nachahmung anregt, neue soziale Impulse setzt, einen Umden-kungsprozeß auslösen kann.

ELISABETH THANNER/ MICHAEL REINPRECHT

Seit 1948, seit dem ersten Krieg zwischen dem jungen israelischen Staat und seinen arabischen Nachbarn, gibt es palästinensische Flüchtlinge. Die Araber sagen, Israel habe sie vertrieben. Israel argumentiert, sie seien zur Flucht aufgefordert worden. Auf jeden Fall hat der jüdische Staat Rückkehrwillige nicht mehr zurückkommen lassen.

Millionen von Palästinensern leben in Flüchtlingslagern, in Jordanien, in Syrien, im Libanon und in den von Israel besetzten Gebieten Westjordanland und Gaza. Zahlreiche internationale Hilfsorganisationen, von den Vereinten Nationen bis zu privaten und kirchlichen Vereinen, versuchen den Flüchtlingen ein menschliches Leben zu ermöglichen.

Jean-Marie Lambert etwa, ein protestantischer französischer Pastor, koordiniert Hilfsprogramme des „Middle East Council of Churches”; es ist dies die regionale Organisation im Nahen Osten, durch die der Weltkirchenrat seine Hilfsgelder an die Bedürftigen verteilt.

Seit 1974 gibt es diese Koordinationsstelle; Lambert betreut von Zypern aus Hilfsprogramme in Jordanien, im Libanon und in den besetzten Gebieten.

Die Hilfestellung des Middle East Council of Churches kommt jenen Menschen zugute, die von der UNRWA, der lokalen Flüchtlingshilfeorganisation der UNO, nicht betreut werden — also jenen, die nicht in Lagern leben, sondern in Dörfern oder Städten. Lambert nennt die wichtigsten Ziele dieser Hilfe:

• Gesundheit: Um die medizinische Versorgung der Flüchtlinge stand es sehr schlecht, deshalb richtete der Middle East Council primitive Kliniken ein. Besonders auf Kinder wird geachtet; von der Untersuchung der Schwangeren bis zum sechsten Lebensjahr reicht die medizinische Betreuung. Auch ein Rehabilitationszentrum für Opfer einer Polioepidemie betreibt die Organisation.

• Bildung: Der Middle East Council betreibt Kindergärten, Lehrlingsausbildungsstätten und vergibt Darlehen für Studenten. Ein eigenes Problem ist, daß viele Ausgebildete vor allem in den besetzten Gebieten (aber auch in Israel) keine Arbeit finden und sie daher zur Emigration in die Golfstaaten gezwungen sind.

• Entwicklung: „Es gibt keinen Regierungsplan zur Entwicklung des Landes”, behauptet Lambert hinsichtlich der von Israel besetz- • ten Gebiete. „Die israelischen Besatzer verwalten bloß, was da ist, und kümmern sich nur um neue jüdische Siedlungen.”

Der Middle East Council hilft mit bei der Finanzierung von Straßen, Stromversorgung, Kanalisierung, Wasserversorgung und bei Schulbauten. Eine weitere Art von Krediten, die der Entwicklung dient: solche an kleine Betriebe, die modernisieren wollen, oder an Handwerker, die sich selbständig machen möchten.

• Wiedergewinnung von Land: Auf zwei Arten kann Land für palästinensische Bauern in den besetzten Gebieten verloren gehen: durch Erosion oder durch Beschlagnahme durch die Behörden. Der Middle East Council kann sich nur um die Wiedergewinnung der ersten Kategorie kümmern. Bei Beschlagnahme „aus Sicherheitsgründen” gibt es nur den Weg zum Gericht, der manchmal erfolgreich ist, oder die Resignation.

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