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(Ab-)Grenzen überwinden

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Im Mai 1989 hat Ungarn, im Dezember die ÖSSR mit dem Abbau des Eisernen Vorhanges begonnen. Jetzt muß auch bei uns abgebaut werden: Grenzlandgesinnung. Nicht nur im Osten.

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Im Mai 1989 hat Ungarn, im Dezember die ÖSSR mit dem Abbau des Eisernen Vorhanges begonnen. Jetzt muß auch bei uns abgebaut werden: Grenzlandgesinnung. Nicht nur im Osten.

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„Grenze" - übrigens ein slawisches Lehnwort im Deutschen -signalisiert immer: erhöhte Vorsicht! Hier treffen verschiedene Interessen aufeinander. „Grenzland": der Begriff allein spricht schon für sich, es ist unsicheres, potentiell bedrohtes Land; Reichtümer sollte man aus solchen Gegenden lieber fernhalten.

Der Staat hatte zur Bevölkerung des Grenzlandes immer schon ein besonderes Verhältnis. Einerseits mußten und müssen die Leute an der Grenze wirtschaftliche Nachteile in Kauf nehmen, besonders wenn sie diese nicht legal oder illegal kompensieren können. Andererseits mußte sich der Staat auf eben diese Leute verlassen können. Sie sollten zur Sicherung der Grenze beitragen. Also gab man der Grenzlandbevölkerung ehedem Privilegien und etwas mehr Freiheiten.

Der moderne nationale Volksstaat ersetzte diese Freiheiten durch ein verstärktes nationales Grenzlandbewußtsein. Patriotische Grenzlandgesinnung wurde propagiert, zum Zwecke der Motivierung der Grenzlandbewohner und wohl auch, um diese von ihrer wirtschaftlichen Benachteiligung abzulenken.

In den Grenzgebieten der Republik Österreich ist diese Grenzlandgesinnung von charakteristischer Unterschiedlichkeit. Gegenüber der Bundesrepublik Deutschland und der Schweiz erübrigt sie sich. Zu Italien ist sie ambivalent. Im gesamten übrigen Grenzgebiet, von den Karawanken im Süden bis zum Böhmerwald im Norden, ist das Grenzlandbewußtsein von erstaunlicher Intensität, wenn auch in gradueller Abstufung, nach wie vor präsent.

Am stärksten ausgewachsen ist diese Grenzlandgesinnung am österreichischen Paradefall Süd-kärnten, wo sie schon psychopa-thologische Züge annimmt. Da gibt es „Grenzlandheime", die als Kulturstätten deklariert werden, „Grenzlandfahrten" werden als patriotisch-touristische Attraktionen durchgeführt und im „Grenzlandjahrbuch" wird Grenzlandideologie auf den Punkt gebracht.

Obwohl die ernstzunehmenden Medien den anachronistischen Unsinn dieser Grenzlandgesinnung aufzudecken versuchen, glauben die Kärntner politischen Parteien, darauf nicht verzichten zu können. „Abwehrkampf" und „Volksabstimmung" werden als tragende Säulen des Landespatriotismus dort, „wo man mit Blut die Grenze schrieb", sorgsam gepflegt und zelebriert.

Die Frage nach der künftigen Rolle von Grenzland in der europäischen Öffnung ist angesichts dieser Relikte nationalistischer, antikommunistischer beziehungsweise antikapitalistischer Grenzlandgesinnungen zu stellen. Voraussetzung für ein offenes Europa ist der Abbau jeglicher Grenzlandgesinnung.

Gestriges „Grenzland" muß künftiges Begegnungs- und Verständigungsland werden. Das ist ein historischer Bruch und erfordert große Anstrengungen, da tradierte Haltungen diesbezüglich grundsätzlich in Frage zu stellen sind..

Es genügt nicht, daß bilaterale Kommissionen die nationalen Geschichtsbücher revidieren. Sie müssen neu geschrieben werden.

Wie die Entwicklung in Ungarn und Slowenien verläuft, ist zu befürchten, daß wir in Österreich dabei ins Hintertreffen geraten. Ein intensiver Kulturaustausch ist aufzunehmen. Und im Grenzland sollte es selbstverständlich sein, daß man die Sprache des Nachbarn versteht. Die kulturelle Kommunikation zwischen gleichwertigen Partnern ist die beste Voraussetzung für die wirtschaftliche Kooperation.

Der Autor ist Dozent am Institut für Ost- und SüdosteuropaforschunganderUniversi tat Wien. Auszug aus einer Stellungnahme beim Symposion „Zukunft im Grenzland" der Österreichischen Gesellschaft für Land- und Forstwirtschaft.

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