7002974-1987_32_05.jpg
Digital In Arbeit

Ab wann beginnt ein Kind zu sein ?

19451960198020002020

Marilies Flemming, Familienministerin, und ÖVP-Generalsekretär Michael Graft, Anwalt, überbieten sich jetzt darin, einen Umfaller noch zu einer Heldentat zu erklären.

19451960198020002020

Marilies Flemming, Familienministerin, und ÖVP-Generalsekretär Michael Graft, Anwalt, überbieten sich jetzt darin, einen Umfaller noch zu einer Heldentat zu erklären.

Werbung
Werbung
Werbung

Das Jugendwohlfahrtsgesetz (JWG) regelt Grundsätze der Mutterschafts-, Säuglings- und Jugendfürsorge. Die Erlassung der Ausführungsgesetze und die Vollziehung obliegt gemäß Artikel 12 des Bundesverfassungsgesetzes den Ländern.

Der Paragraph eins JWG definiert die Begriffe der Mutterschafts-, Säuglings- und Jugendfürsorge. Während nach dem geltenden JWG 1954 (BGBl. Nr. 99) die Befürsorgung von Schwangeren auch „zur Sicherung der körperlichen Entwicklung des Kindes von der Empfängnis an” erfolgen sollte, definiert die Regierungsvorlage eines neuen JWG die Mutterschaftsfürsorge auch als Betreuung „werdender Mütter und werdender Kinder” (FURCHE 26/1987).

Die erläuternden Bemerkungen führen dazu aus, daß eine Mutterschafts- und Säuglingsfürsorge nicht vorstellbar sei, ohne Be-dachtnahme auf das werdende Kind, eine Folge „der mit der Empfängnis eintretenden biologischen Entwicklung”.

Es ist traditionelle Lehre der katholischen Kirche, wie sie erst wieder die Kongregation für die Glaubenslehre am 22. Februar 1987 in der Instruktion über die Achtung vor dem beginnenden menschlichen Leben und die Würde der Fortpflanzung festgestellt hat, daß „die Frucht der menschlichen Zeugung vom ersten Augenblick ihrer Existenz an, also von der Bildung der Zygote an, jene unbedingte Achtung” erfordert, „die man dem menschlichen Wesen in seiner leiblichen und geistigen Ganzheit sittlich schuldet. Ein menschliches Wesen muß vom Augenblick seiner Empfängnis an als Person geachtet und behandelt werden und infolge dessen muß man ihm von diesem selben Augenblick an die Rechte der Person zuerkennen und darunter vor allem das unverletzliche Recht jedes unschuldigen menschlichen Wesens auf Leben.”

Der Paragraph eins JWG 1954 steht in Ubereinstimmung mit der Formulierung mit dem Paragraphen 22 des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches, wonach „selbst ungeborene Kinder von dem Zeitpunkt ihrer Empfängnis an einen Anspruch auf den Schutz der Gesetze” haben.

Es ist daher vor allem die katholische Kirche, die durch den Mund ihrer Laienorganisationen vehement die Beibehaltung des Schutzobjektes „Kind von der Empfängnis an” fordert. Das „werdende Kind” ist kein Begriff der österreichischen Rechtsordnung und verwischt bewußt die klare Sprache des geltenden Rechts. Ab wann beginnt ein Embryo ein „werdendes Kind” zu sein?

Nach den erläuternden Bemerkungen, deren Auslegung nicht gefolgt werden muß, könnte auch die Empfängnis gemeint sein. Aber man rückt im Gesetzestext bewußt von dieser Klarheit ab. Wozu diese juristische Begriffsverwirrung?

Der Grund hiefür ist nicht schwer zu orten: Die Diskussion um die Fristenregelung hat die Frontstellung klargemacht. Die {Bewertung des Embryos ist gesellschaftlich umstritten, da es jedenfalls Zäsuren zwischen der Befruchtung und der Geburt gibt, die zum Anlaß verschiedener Bewertung der Schutzwürdigkeit des Embryos genommen werden können. Um sich hier nicht festlegen zu müssen, wählt man einen verschwommenen Begriff, zumal er für die Auslegung des JWG im Rahmen der Schwangerenberatung kaum erhebliche Bedeutung gewinnen dürfte.

Erheblich werden die Auffassungsunterschiede wieder im Rahmen der Befruchtung außerhalb des Mutterleibes und der Gen-Technik. Bei der landläufig praktizierten In-vitro-Fertilisa-tion werden der Frau mehr Eizellen aus dem Körper entnommen, als ihr nach Befruchtung derselben wieder eingesetzt werden. Das schützt vor allem die Frau vor einer Wiederholung des medizinisch schweren Eingriffes der Ei-gewinnung im Falle des Mißlingens der Befruchtung.

Die, um Mehrlingsgeburten zu verhindern, übriggelassenen Embryonen werden eingefroren und, sollten sie keine Verwendung

Die OVP hat am 25. September 1985 bereits einen Initiativantrag über das Verbot der Embryomanipulation in den Nationalrat eingebracht. Der 56. Deutsche Juristentag in Berlin 1986 hat mit überwältigenden Mehrheiten konservative Beschlüsse gefaßt. In einem ad hoc-„cqmmittee of experts on progress in the biome-dical sciences” scheint man sich einer übereinstimmenden Auffassung schon ziemlich nahegekommen zu sein.

Diese gesetzlichen Regelungen der In-vitro-Fertilisation und bestimmter Praktiken der Gen-Technik werden sicher nicht davon abhängen, welche Definitionen sich im Jugendwohlfahrtsgesetz finden: aber die von katholischer Seite geforderte Klarstellung des Beginnes menschlichen Lebens ist immerhin ein gewichtiges Argument für die Einführung restriktiver gesetzlicher Schranken.

Umgekehrt: Daß man sich nicht einmal im unverfänglichen JWG auf die althergebrachte Definition einigen konnte, zeigt, daß für uns noch schwere Diskussionen über grundsätzliche Auffassungsunterschiede über den Beginn des gesetzlichen Schutzes für menschliches Leben bevorstehen.

Der Autor ist Generalanwalt im Bundesnü-nisterium für Justiz.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung