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Abbild des Unsichtbaren

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Für unsere Generation begann die Bildhauerkunst der Gegenwart mit Auguste Rodin. Was vor ihm gewesen ist, war Gegenstand der Kunstgeschichte, was nach ihm kam, mußte sich mit ihm messen. So stießen wir später auf Aristide Maillol. Seine Liegenden in'Bronze, vor dem Louvre, auch andere seiner Skulpturen, die wir nach und nach kennenlernten, hatten die Rodinsche Idee der in sich ruhenden, materialgebundenen, aber gerade im Dialog mit dem Material über dieses hinauswachsenden Plastik weitergeführt. Die Lust an der Abbildung naturnaher Körper war geringer geworden, dafür trat das Wesenhafte noch klarer hervor. Auf dem Weg von der Wirklichkeit zur Wahrheit war ein weiterer Schritt getan.

Auch Fritz Wotruba schien im Geiste mit Maillol verbunden. Seine Steinskulpturen ließen die gewaltige Spannung, auch die Masse und das gleichsam geistige Gewicht des Materials spüren: das Urelement, dem sich der Formwille entgegenstemmte. Die Beschaffenheit des Steins durchdrang und veränderte die ursprüngliche Vision, doch blieb diese, wenngleich als Variation der ersten Idee, bestimmend.

Der Prozeß erinnert an den Vorgang des Träumens: die Bilder wirken auf die Physis, diese wirkt auf die Bilderfolge zurück. Später wandte sich Wotruba einem Stil zu, den wir konstruktivistisch nennen dürfen. Er reduzierte die Körperstruktur auf eine Komposition quadratischer Massen und sublimierte die Vision von Stein und Leib zu einem Traum von den schöpferischen Möglichkeiten der Geometrie.

Sein Schüler, Oskar Bottoli, arbeitete indessen weiter in einer Art, die ihre Freiheit gegenüber allzu abstrakten Spekulationen beibehielt. Er befaßte sich weiterhin mit dem Verhältnis zwischen Material und Vision und konzentrierte sich vor allem auf die menschliche Figur. Das Ergebnis ist erstaunlich.

Auch Bottoli geht weiter als Maillol, doch nicht in die Richtung der geometrischen Abstraktion, sondern der Verknappung zur Symbolik. Seine „Lehnende“ (1964) läßt den weiblichen Körper knospend, fruchtbar und naturhaft aus dem Stein hervortreten; wir sehen weder eine ganz bestimmte Frau noch einen Akt, sondern einen in seiner Verschlossenheit imposant wirkenden Götzen von archaischer Macht. Auch die weiblichen Figuren der Bronze „Symmetrie“ (1970) erinnern an prähistorische Idole.

Im „Krastaler Torso“ (1985) erreicht diese Konzentration auf das Wesentliche höchste Vollendung. Der nur dreißig Zentimeter hohe Steinblock wirkt durch die aus ihm hervortretenden Formen gewaltig; wie im Falle der unvollendet gebliebenen Figur des „Tages“ von Michelangelo auf dem Grabmal des Giuliano Medici in S. Lorenzo zu Florenz scheint sich der Körper aus dem Stein mit ungeheurer Kraft loslösen zu wollen, was uns das menschliche Streben nach Uberwindung der Materie mit Hilfe der Materie und das notwendige Scheitern dieser

Sehnsucht nicht nur begreifen, sondern auch spüren läßt. In der nachrealistischen Kunst kehrt der Kanon der vorrealistischen Künstler in gewandelter Form zurück.

Ähnlich stark sind die Skulpturen, die auf Grund der Lektüre von Villon und Cervantes, Goethe und Umberto Eco entstanden sind: keine Illustrationen, keine Nacherzählungen oder Nachempfindungen, sondern in sich ruhende vieldeutige Kunstwerke, die in der Spannung zwischen Material und Phantasie allein dem eigenen inneren Aufbau folgen. Wenn Bottoli das Gefühl, das in ihm eine literarische Figur geweckt hat, wirken läßt, dann erinnert der Vorgang an die Arbeit eines archaischen Künstlers, der den Begriff einer Gottheit in ein Idol verwandelt.

Die Bronzefiguren, zumeist nicht höher als zwanzig Zentimeter, zeigen ihr Innenleben offener als die Skulpturen aus Stein. Das liegt vor allem am Material, an den Möglichkeiten des Gusses und der Bearbeitung, doch folgt es auch dem Formwillen des Künstlers, der hier die lyrischen und expressiven Neigungen seines Naturells offener zum Ausdruck bringt. Auch diese kleinen Statuen sind Symbole, sie treffen durch das Einmalige das Allgemeine.

Bezeichnend für diese Begabung, durch das Sichtbare zum Wesentlichen vorzustoßen, ist das Porträt unseres verstorbenen

Freundes Herbert Eisenreich. „Mich sieht er eher als alten Römer: als einen ehrlich vergrämten Senator; jedenfalls zeigt mich so der von ihm kürzlich geschaffene Porträtkopf“, notierte Eisenreich, und machte damit, wie nebenbei, einen essentiellen Wesenszug dieser Kunst verständlich.

Bottoli formte Eisenreichs inneres Porträt, seine Skepsis gegenüber allzu großen Gefühlen, seine in heitere Unbekümmertheit umschlagende Verbitterung angesichts der fürwahr gräßlichen Zustände rundherum und besonders in der Literatur, seine Verachtung des Chaos, aus dem er sich scheu und wütend zurückzog, wenn man will auch seine wachsende Hochachtung des antiken Imperium Romanum im Gegensatz zu den alten Griechen, die er zuletzt nur studierte, um ihnen ihre Schwächen nachzuweisen.

Bottolis Kunst steht freilich nicht außerhalb der Zeit, aber jenseits der Wechselspiele der Mode. Ihr Wert wird nicht durch die feige, vor jedem hohlen Popanz einer unechten Erneuerung katzbuckelnden Kritik bestimmt, sondern durch Maß und Form, durch die Spannung zwischen Material und Vision, durch die Fähigkeit, im Figuralen das Archetypische zum Ausdruck zü zwingen, und — umgehen wir das heutzutage außer Gebrauch geratene Wort nicht - durch Begabung.

Eine genauere Begründung ist im Essay Herbert Eisenreichs über Bottoli zu lesen:

„Wir sagen's nicht, aber wir sind es: katholisch: er im Gegenstand, ich in der Handlung, sind es beide in der Figur als Zeugnis einer erschaffenen Welt und Menschheit, sind es im Abbild als dem Bilde des Unsichtbaren, sind es, um's noch einmal anders zu sagen, in der geschlossenen Form, die, im Gegensatz zu der offenen (was nun auch immer das sei), ganz sie selber ist und just dadurch darüber hinausweist und etwas bedeutet.“

Skulpturen und Zeichnungen von Oskar Bottoli sind gegenwärtig in der Galerie Pan-nonia, Wien, zu sehen.

Im Geiste Mitteleuropas

Eine Triennale der Computerkurist in Gra\für neue Gemeinsamkeit

ANDREAS KRESBACH

Als mitteleuropäisches Kulturprojekt „Entgrenzte Grenzen“ soll im Rahmen der Arge Alpen-Adria von Graz aus eine schöpferische Auseinandersetzung von Künstlern aus dieser Region mit der modernen Computerkommunikation beginnen, um die gegenseitigen Grenzen zu überwinden und damit die Zukunft zu meistern.

Die Arge Alpen-Adria, vor zehn Jahren gegründet und bislang vor allem als Instrument des politischen und wirtschaftlichen Kontaktes mit den Nachbarregionen eingesetzt, versucht mit dieser kulturpolitischen Initiative künstlerische Antworten auf die Herausforderung durch die neuen Informationstechnologien zu geben. Im Zeitalter der internationalen Gleichschaltung durch die Computersprache scheint es notwendig, die regionale Kultur in die Zukunft zu retten, um der Gefahr der sprachlichen Vereinsamung dieser Lebensräume zu entgehen. Hier soll nach dem Willen des Grazer Videbkünstlers Richard Kriesche, der das Projekt initiiert hat, ein regionaler Kunstdialog intensiviert werden, der die neuen Informationsmedien für die Kunst erschließen könnte.

Künstler als Zeugen der Zeit sollen kreative menschliche Fähigkeiten auf einem neuen technischen Gebiet wirksam machen.

Einen ersten Schritt in diese Richtung setzte kürzlich eine Ausstellung in Graz, auf der Künstler aus Friaul, Venetien, der Lombardei, aus Südtirol, Kärnten, Salzburg, Bayern, Ungarn, Slowenien, Kroatien und der Steiermark mit Computerkunst arbeiteten. Dabei zeigte sich, daß dem ideenreichen Umgang mit der Technik vorläufig kaum

Grenzen gesetzt sind.

Wie die von Hanns Koren ins Leben gerufene Ausstellung „Trigon“, die Dreiländerbiennale Österreich—Italien—Jugoslawien, seit 1963 die vielfältigen kulturellen Bewegungen in der bildenden Kunst innerhalb der Alpen-Adria-Grenzen erfaßt und damit Vorreiter des politischen Näherrückens der Nachbarn ist, soll eine neue Triennale der Computerkunst diese geistige Begegnung weiter stärken. Es zeigt sich an diesem Beispiel, daß die grenzüberschreitende Zusammenarbeit vom regionalen Bereich ausgehen muß.

Eine mitteleuropäische Kulturpolitik, die im Neuen das Verbindende entdeckt, ist in der Alpen-Adria-Region fast schon selbst zur Tradition geworden. Das oft düster beschworene Gespenst der Computerisierung hat auch die Kunst erfaßt, allerdings im Sinne einer grenzüberwindenden nachbarschaftlichen Gesprächskultur.

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