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„Abenteuerlicher Kurs“

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„Die Wandlungen, die in der letzten Zeit in der Politik Chinas vor sich gegangen sind, haben eine ganze Reihe von objektiven und subjektiven Ursachen. Die extremistische Linie, die Peking seit Anfang der sechziger Jahre in den internationalen Angelegenheiten verfolgte, fügte den vitalen Interessen Chinas gewaltigen Schaden zu. Durch den unverhüllt abenteuerlichen Kurs der Gruppe um Mao Tse-tung wurden die internationalen Positionen des Landes beträchtlich geschwächt und die Volksrepublik China in eine internationale Isolation getrieben. Die Beziehungen Chinas mit vielen anderen Staaten haben sich erheblich verschlechtert.

Im Laufe einer langen Zeit setzte Peking seine größten Hoffnungen darauf, daß es zu einer bewaffneten Auseinandersetzung zwischen den USA und der UdSSR kommen und daß diese in einen nuklearen Raketenkrieg ausarten werden. Aus diesem wieder müßten beide Mächte sehr geschwächt hervorgehen. Peking förderte seinerseits eine derartige Entwicklung. Die Zeit hat die Hoffnungen der Maoisten enttäuscht. Nun brachten sie die berüchtigte Konzeption vom .Kampf gegen die beiden Supermächte' hervor, deren Sinn darin besteht, verschiedenartige Kräfte der heutigen Welt — selbstverständlich unter chinesischer Oberherrschaft — zu vereinigen und als Werkzeug bei der Wahrnehmung der Großmachtinteressen Chinas auszunutzen. Wenn Peking versucht, die sozialistische Sowjetunion auf eine Stufe mit den imperialistischen Vereinigten

Staaten zu stellen, wäscht es den Imperialismus rein und hofft, seine Abtrünnigkeit vom Marxismus-Leninismus, den Verrat an der sozialistischen Staatengemeinschaft sowie beliebige Zickzacks im außenpolitischen Kurs Chinas zu rechtfertigen.

Die chinesische Führung erhob den .Kampf gegen die beiden Supermächte' zur Hauptaufgabe der Jetztzeit. Sie versucht, in verschiedenen Ländern nationalistische Wogen hochzutreiben, wobei sie den Widerstand gegen die aggressive Politik der imperialistischen Mächte, Probleme der internationalen Sicherheit und der Abrüstung in den Hintergrund schiebt, um die fortschrittlichen Kräfte von der wirklichen Hauptaufgabe, vom Kampf gegen den Imperialismus, gegen die Politik der Aggression und des Krieges, abzulenken. Das ist Wasser auf die Mühle der antikommunistischen Kräfte.

In der letzten Zeit offenbarten sich im Herangehen Pekings an einzelne internationale Probleme neue Gesichtspunkte. Die chinesische Propaganda quittiert nicht mehr jeden Schritt, der zur Entspannung führt, durch Schimpf-tiraden. Einige bürgerliche Politiker, die vor kurzem die Volksrepublik China besuchten, erzählten, chinesische Amtspersonen hätten ihnen versichert, China sei nicht gegen .Entspannung', es komme nur darauf an, auf welchen Wegen man zu einer Minderung der internationalen Spannungen gelange.

Das besagt natürlich, daß der außenpolitische Apparat der Volksrepublik China anpassungsfähiger geworden ist. Es fragt sich jedoch, ob diese Edie ernsthafte Absicht der chinesischen Führung widerspiegeln, sich haltloser Ansichten zu entledigen, oder ob es sich lediglich um ein neues taktisches Manöver Pekings handelt.

• Die Pekinger Führer bekennen sich weiterhin zu der Theorie von der Nützlichkeit lokaler Kriege. In China selbst werden auf vollen Touren Kriegsvorbereitungen betrieben, wird eine Kampagne ,zur Vorbereitung auf den Krieg' entfaltet.

• Die chinesische Führung, die einen Kurs auf die Umwandlung Chinas in eine militärische Großmacht steuert und vor keinen Ausgaben zurückschreckt, um sich ein eigenes Nuklear- und Raketenarsenal zuzulegen, ist an der Lösung des Abrüstungsproblems nicht interessiert. China trat keinem internationalen Vertrag auf dem Gebiet der Abrüstung bei.

• Peking ist an der Erhaltung des internationalen Spannungsherdes im Nahen Osten interessiert. Die chinesische Führung versucht, den arabischen Ländern irreale Bedingungen für eine Beilegung des Konfliktes mit Israel einzureden, wobei sie es offenbar auf eine Verzögerung der Regelung im Nahen Osten abgesehen hat.

• Große Sorgen bereiten der gegenwärtigen Führung der Volksrepublik China die Entspannungsprozesse in Europa, weil diese sich auf die expansionistischen Pläne Pekings in anderen Gebieten der Welt auswirken könnten. Die Maoisten sehen ihre Aufgabe darin, die Entspannung auf dem europäischen Kontinent aufzuhalten und die Zusammenarbeit zwischen den europäischen Ländern zu verhindern. In allen Phasen der Vorbereitungen zur gesamteuropäischen Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit gab sich die chinesische Führung größte Mühe, die Abhaltung dieses wichtigen Forums der europäischen Völker zu torpedieren.“

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