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Aber: Was kommt nachher?

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Diese Revolution kam aus den USA. 1966, als hierzulande im Establishment wohl kaum einer an derlei Dinge dachte, beschrieb der Dichter John Steinbeck die Auswirkungen der Revolution in ihrem Ursprungsland so: Rassentumulte, Gefühlsverwirrungen, die die Leute auf die Liegebetten der Psychiater treiben, Auflehnung der Kinder und Halbwüchsigen gegen die Eltern, Schule und Polizei, die Jagd nach aufpeitschenden und beruhigenden Drogen, das Aufkommen strenger, bösartiger und rachsüchtiger Kulte, das Mißtrauen und der Aufruhr gegen jede Autorität, ob politischer, religiöser oder militärischer Natur, und das allgemeine schreckliche Gefühl der Besorgnis, in einer Zeit des Überflusses, wie man ihn me zuvor gekannt hat. Die Revolution, die nachher auch in Europa in jede Ritze unseres politischen, wirtschaftlichen, geistigen und religiösen Lebens eindrang, wurde von vielen als die „Revolution der Studenten“, als die „Revolution der Neuen Linken“ etikettiert. Sie ist nicht ident mit den Bewegungen der Beatniks, Hippies, Provos, Gammler usw., die, aus dem Westen kommend, die „alte Welt“ und die „Welt der Alten“ mit einem klebrigen Film überziehen. Aber diese Ströme derer, die „aus der Gesellschaft ausziehen“, sind das Wasser, in dem der Fisch, die Revolution einer Miniminorität, schwamm.

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Diese Revolution kam aus den USA. 1966, als hierzulande im Establishment wohl kaum einer an derlei Dinge dachte, beschrieb der Dichter John Steinbeck die Auswirkungen der Revolution in ihrem Ursprungsland so: Rassentumulte, Gefühlsverwirrungen, die die Leute auf die Liegebetten der Psychiater treiben, Auflehnung der Kinder und Halbwüchsigen gegen die Eltern, Schule und Polizei, die Jagd nach aufpeitschenden und beruhigenden Drogen, das Aufkommen strenger, bösartiger und rachsüchtiger Kulte, das Mißtrauen und der Aufruhr gegen jede Autorität, ob politischer, religiöser oder militärischer Natur, und das allgemeine schreckliche Gefühl der Besorgnis, in einer Zeit des Überflusses, wie man ihn me zuvor gekannt hat. Die Revolution, die nachher auch in Europa in jede Ritze unseres politischen, wirtschaftlichen, geistigen und religiösen Lebens eindrang, wurde von vielen als die „Revolution der Studenten“, als die „Revolution der Neuen Linken“ etikettiert. Sie ist nicht ident mit den Bewegungen der Beatniks, Hippies, Provos, Gammler usw., die, aus dem Westen kommend, die „alte Welt“ und die „Welt der Alten“ mit einem klebrigen Film überziehen. Aber diese Ströme derer, die „aus der Gesellschaft ausziehen“, sind das Wasser, in dem der Fisch, die Revolution einer Miniminorität, schwamm.

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In den USA ist die Generation der Revolutionäre der sechziger Jahre nicht mehr die jüngste. Die Zeitschrift „Life“ veröffentlichte vor wenigen Wochen das Ergebnis einer detaillierten Befragung jener 26 Millionen junger Amerikaner, die heute im Alter zwischen 15 und 21 Jahren die USA bevölkern. Sie charakterisiert die Ansichten dieser jungen Generation von heute als „bemerkenswert gemäßigt, sogar konservativ“; im allgemeinen als „eher tolerant, entspannt, in Haltung und Erwartung sehr wenig von ihren Eltern verschieden“. Die Eltern: das sind jetzt nicht mehr die unruhigen Geister der dreißiger Jahre, Weltkriegsteilnehmer und Heimkehrer aus diversen Lagern, deren „gute Jahre die Heuschrecken fraßen“; mit ihrem Hang zu „provisorischer Daseinshaltung, fatalistischer Lebenseinstel- lung“ und anderen Äußerungen einer „kollektiven Neurose“ (Viktor Frankl). Und die Jungen: das sind die Kinder der ersten Erfolgsgeneration nach dem Kriege, die in den fünfziger Jahren Geborenen.

93 Prozent antworten mit ,4a“

Dazu einige Zahlen aus „Life“: 90 Prozent der Befragten sagen, ihr bisheriges Leben sei glücklich gewesen. Die Frage, warum sie dieser Ansicht seien, beantworteten sie: Weil ich ein gutes Zuhause habe. Weil wir eine gute Familie haben. Weil ich all das, was ich brauche, auch bekomme. Auf die Frage, ob die jungen Menschen auch betreffs ihrer Zukunft eine solche optimistische Erwartung hätten, antworteten 93 Prozent mit Ja.

84 Prozent lehnten den Aufruhr in der Schule ab. Von „harter Arbeit“ erwarten sich 61 Prozent auch den Erfolg im Leben. 54 Prozent muten der Regierung zu, daß sie im aEge- meinen mit den Problemen fertig werde. In ihren politischen Erwartungen geben sich die jungen Leute zu 23 Prozent liberal, 20 konservativ, 39 als Anhänger einer mittleren Linie, 5 Prozent als radikal. So etwas wie „familienfeme“ Existenz ist für fast alle kein Ideal. Von der Freigabe des Drogenkosums erwarten sie die gleichen Wirkungen wie von Alkoholmißbrauch. Die Religion halten 77 Prozent der Oberschüler und 56 Prozent der Collegestudenten für wichtig; 58 Prozent bzw. 43 Prozent gehen regelmäßig in die Kirche.

Gewiß, die Zeiten sind vorbei, in denen man den Meinungsforschern die Gabe der Weissagung zuschrieb. Auch geschah es zu oft, daß schon die Fragestellungen das Ergebnis der Meinungsbefragung zum großen Teil vorweg nahm. Und niemand wird die Selbstgewißhedt junger Menschen überschätzen. Trotzdem bleibt die Tatsache, daß die nämliche Demoskopie, die noch unlängist die „Revolution“, vor aUem die Revolution im Ablauf des Generationsproblems, für unaufhaltsam hielt, jetzt ein anderes Bild zutage bringt. Und „Der Spiegel“, Wochenmagazin der Neuen Linken in Deutschland, begann unlängst mit einer Klage, wonach jetzt an den Höheren Schulen der Bundesrepublik eine „ganz andere“ Jugend heranwachse, die er vorsichtshalber als eher „romantisch“, wenn nicht reaktionär diskriminiert

Was 1971 in den USA und in anderen westlichen Ländern geschieht, geschieht deswegen noch nicht in Österreich. Indessen geht auch hier die „Revolution“ — sofeme dieses Wort hierzulande am Platze sein kann — zu Ende, wenn die um 1960 ln den USA aufgekommene Mode eines Co-Existence-Bagel-Shop jetzt in Wien, Wurlitzergasse, oder in einer CV-Verbindung abgetragen wird. Das Phantastische des Zeitalters der Beatniks, ihr „Kampfamzug der Revolutionäre“, wurde die Mode der restlichen 95 Prozent ihrer Altersgenossen; als die Faszination des Augenblickes als Mode allgemein wurde, verlor sie ihren Zauber. So verrinnt das Wasser, in dem der Fisch, die Revolution, schwamm.

Die Revolution fraß ihre Kinder

Es geschah noch mehr. Diese Revolution fraß nicht nur ihre Kinder, sondern auch ihre Patriarchen und Propheten. David Oohn-Bendit entthronte Herbert Marcuse, der 1967 in Berlin die Revolution ausrief; in Frankfurt am Main vertrieben barbusige Studenten Theodor Adorno, der zuvor die moderne Methode des

Protests lehrte; der Sozialistische Deutsche Studentenbund deklassierte Marx Horkheimer usw. Diese Patriarchen wollten ihre Enkel auf die Barrikaden führen, ‘auf denen sie seihst 1917/19 ihre Revolution verloren haben; aber die altehrwürdigen Ankläger des jetzigen „faschistoiden“ Establishments wurden mit den faschistischen Methoden der Neuen Linken vom Platz gefegt. Und Friedrich Heer erlebte auf dem Kurfürstendamm in Berlin seine Stunde der Wahrheit; als auch ihm „verhetzte Horden“ eine Abfuhr erteilten. Die Ruhe, die Rudi Dutschke den „Spießbürgern“ streitig machte, wurde von ihm in dem Augenblick reklamiert, als er, wie viele andere Anführer der Revolution, in die gesicherte bürgerliche Lebenshaltung ednpassierte.

In der Kirche hinterläßt die Revolution, nachdem sie als „Progreß“ wild die Räume durchfegt hat, einen unauf geräumten Bauplatz. Hier bEeb eine halb demolierte Mauer stehen, dort ist eine zur Hälfte aufgeführt; hier Berge von Bauschutt, dort gutes Baumaterial, das nicht mehr zur Verwendung kam. Überall Baumaschinen, die nicht funktionieren, Gras, das wächst, wo in neuen Räumen neues Leben entstehen sollte, zerrissene Pläne, die dm Winde flattern. Innerhalb weniger Jahre ging die Revolution über die Standpunkte, Modelle und Typen der „ersten Welle“ (Rahner, Congar, Küng) hinweg; das Auftreten der „zweiten Weüe“ (Metz, Kaspar, Neumann) wirkt nur nach erheblichen Anstrengungen noch sensationell; und der nach dem Vorbild Mao Tse-tungs unternommene ^Eänge Marsch“ der „kritischen Katholiken“ führte nicht in neue Bereitstellungsräume, sondern dorthin, wo nichts mehr ist.

Hinterblieben die Kleinen, die im Schatten der Superklasse des Progressismus aufwuchsen (Adolf Holl u. a.), mit ihren zu Formeln erstarrten Wendungen einer „Neuen Sprache“ für eine „Neue Wahrheit“. Und zuletzt: Das Kirchenvolk, das im Gegensatz zu Bischöfen, Theologen und Intellektuellen keine Revolution machte; das nach wie vor in die Kirche und nicht in die „Amts- kirche“ geht und sich wundert, warum die Feldprediger seiner Vorfahren, die Jesuiten und die Dominikaner, jetzt eine so seltsame und unver- siändliche Sprache führen.

Wo blieben die Revolutionäre?

Wo aber sind heute die Revolutionäre der sechziger Jahre, die jungen

Löwen, die den Genenationssprung wagen wollten? Sie betätigen sich nunmehr auf drei Ebenen: (1) Nach dem Scheitern des Aufruhrs ihrer Sekte dringen sie in verlassene Schneckenhäuser des Establishments ein, montieren in bestehenden Parteien, Verbänden und Kirchen ihre alten Modelle unter neuem Anstrich. (2) In neuen sozialen Gruppen formieren sie Basisgruppen, hoflend, daß die „Zweite WeEe der Revolution“ in eine neue Massenbewegung einrasten werde. (3) Angesichts eines Establishments, wo viele glauben, es brauche, nachdem in der Revolution nichts passiert ist, jetzt auch nichts zu geschehen, produzieren sie den Geist der Revolution als „Kunst“, um die sich der Spießbürger nicht kümmert, weil sie ihn nachts ‘angeht.

In dem Bestreben, immer „anders“ als die „anderen“ sein zu woHen, hat die Revolution der sechziger Jahre hierzulande schließlich eine Perversion der Neuen Linken produziert; so etwas wie eine Neue Rechte, nach der alten Formel: Rechts stehen, links denken. Die nicht mehr ganz jungenhaften bärtigen Vertreter dieser Richtung greifen aus gesicherten Positionen im „Establishment“ als Neue Rechte eine „veraltete Rechte“ an. Sogar die Redaktion der CV-Zeit- schrift „Academia“ wird von solchen Gestalten eines Mittemachtsspuks behelligt; sie kämpfen gegen Gespenster und meinen eine fehlpostierte Rechte dort zu sehen, wo vor zehn Jahren Josef Klaus und Kurt Kiesin- ger standen; unid um 1950 Konrad Adenauer oder Julius Raab. Enkel kopieren, was Ahnen längst versuchter;.

Und es sind Erbschleicher unterwegs. Ein Spät-LiberaMismus, wie ihn die Franzosen J. J. Servan-Schreiber und J. F. Revel als Politiker, J. Mo- nod als Wissenschaftler und Nobelpreisträger formulieren. Mit den Formeln „Weder Marx — noch Jesus“ oder „Die Freiheit führt zum Sozialismus aber der Sozialismus führt nicht zur Freiheit“ oder „Links steht für uns kein Feind“, wollen sie den enttäuschten Idealismus der jugendlichen Revolutionäre von gestern für das reklamieren, was sie eine „Revolution“ nennen. Der bürgerliche Atheismus der freien Welt des Westens offeriert seine apertura a sinistra. In Deutschland und in Österreich schwenken nicht wenige Epigonen des NationaUiberalismus auf diese Linie ein und helfen so, die Basis des Minoritäts-Sozialismus so weit zu verbreitern, daß seine Parteien regierungsfähig werden. (Wüly Brandt in der BRD, Bruno Kreisky in Österreich.)

Trotz Spät-Liberalismus und Tech- nokratie: Der unbändige Fortschrittsglaube der sechziger Jahre hat sich in abgrundtiefen Pessismismus verwandelt Die als Bestseller verhökerten „Sachbücher“ lassen ihren Lesern die Wahl, das bevorstehende Ende der Menschheit entweder anläßlich der „Explosion der Bevölkerungs- bombe“ zu erwarten; oder am Ende jenes „programmierten Selbstmordes“ des Industriesystems, das die natürliche Umwelt des Menschen zerstört und für den Menschen keinen Platz übrig läßt.

Das Fernsehen, das noch in der Silvesternacht 1969 den siebziger Jahren einen Platz nahe den Sternen zuwies, tröstete die beunruhigten Menschen mit einer FHmmerherr- lichkeiit, die jener des verhöhnten HoEywood der vierziger Jahre nicht nachsteht. Laut Franz Kreuzer, verdienstvoller sozialistischer Publizist, Exchefrediafcteur der „Arbeiter-Zeitung“ und jetzt „Mann am Schalthebel der NachrichtenpoMtik des ORF“, übernimmt es der ORF, optisch zu „artikulieren und zu manipulieren“. Nach seiner Meinung hat die ÖVP mit ihrer Rundfunkreform ein „Opfer auf dem Altar des Vaterlandes“ gebracht, das der SPÖ zum Vorteil gereicht. Im ORF hat die Neue Linke ihr Heimgehrecht, steuert Günther Nennimg den Dialog der IntellektueEen, kommen die „anderen“ nichts ins Büd.

Trotzdem ist das Bild der siebziger Jahre anders, als es sich die Prognose der Image-Fabrikanten verstellte. Keine Demontage der Familie; keine „familienfeme“ Jugend; keine Revolution der Jungen; keine Stunde NuU, hinter der die bisherige Geschichte versinkt und ein davon befreites Menschenschicksal, sinnlos und zwecklos, neu ersteht; keine Welt, in der Gott tot ist.

Alexander Solschenizyn, dessen neuester Roman „August 14“ die erste Wegstrecke der Revolution in Rußland nach 1914 aufzeigt, sieht es so, als hätten sich Christus und die Muttergottes von Rußland abgewendet; als verjünge die Revolution das Land nicht, als verwüste sie das Land für lange Zeit; als müsse das Land um so mehr für die Revolution bezahlen, je länger diese dauert.

In einer Zeit, in der katholische Theologen zuweilen die evangelische Theologie des 19. Jahrhunderts reproduzieren und das Mysterium verbannen, spürt der Katholik die protestantische Diszipliniertheit, die aus Jahrhunderten des Protestes kam, und die unerschöpfliche Gläubigkeit des jeder Machtfülle entbehrenden Christentums der Orthodoxie ergreifender als revolutionäre Theologie und revolutionäres Polit- christentum. Er sieht den „Bauplatz der Kirche“ des Jahres 1971. Aber er erinnert sich dieses Bauplatzes angesichts eines Bildes von St. Peter in Rom aus 1564:

Vorbei war das beschämende Exil der Päpste in Avtignon; das Schisma hatte die Kraft der Kirche auf die Probe gesteEt, aber nicht erschöpft; die Konfrontation des Konzils mit der Reformation fand statt.

Michelangelo wtar kurz zuvor gestorben und die aufstrebende Wucht seiner Domkuppel stand unvollendet über dem Ganzen; aber Domenico Fontana überhöhte die Kuppel und krönte sie mit der Laterna von St. Peter. Noch stand das Schiff der uralten BasUika; aber dann schuf Carlo Maderna das ungeheure Langschiff der Weltkirche, setzte die Fassade, die einen neuen, ungeheuren Aufriß des Ganzen sinnfäEig macht. Noch standen ringsum zerstreut antike, mittelalterliche und neuzeitliche Bauelemente; aber zuletzt umfaßte Lorenzo Beminu an ihrer Stelle mit den weitausholenden Kolonnaden den ganzen Raum, in dem der Obelisk aufragt, der an der Marterstätte Neros gestanden war. So wie die Domhaumeister von St Stephan hat keiner dieser römischen Baumeister die Vollendung des Bauwerkes erlebt. Sie glaubten und schufen aus ihrer Zent das Gefäß und das Symbol des Ewigen.

Es geschah noch mehr: Nach einem Jahrhundert der Ratio erstanden der Kirche die HeUigen der Neuzeit: Ignatius, Franz Xaver, Canisius, Johannes vom Kreuz, Teresa, Philip Neri und jene, die nach ihnen kamen, als bereits das Wunder des Barocks aufgegangen war. Gott wird der Kirche unserer Zeit die Autorität der Heiligen nicht versagen.

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