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Abkehr von der Gießkannen-Methode

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„Wie Peitschenhiebe empfinde ich Ihre Politik!" schreibt eine Mutter von vier Kindern in einem „Brief an den Kanzler"(FURCHE l2/80)unddrückt damit aus, was sicherlich die meisten Mehrkinderfamilien empfinden.

Jetzt soll es aber besser werden! Für alle Kinder soll es gleichviel geben, nämlich 1000 Schilling, Aber: Die Familie mit einem Kindsoll um 90Schillingmehr bekommen; einzig ihr werden die voraussichtliche Preissteigerung abgegolten. Die Familie mit vier Kindern aber wird statt3900nur4000Schillingab 1.1. 1981 erhalten,alsoum 25 Schillingmehr für jedes Kind.

Dementsprechend ist auch die Wirksamkeit der „Erhöhung" der Familienbeihilfen auf das Einkommen der Familie: Bei einem voraussichtlichen Durchschnitts-Einkommen von brutto 11.682 Schilling steigt das Netto-Einkommen einer Familie mit einem Kind unter 10 Jahren um 0,81 Prozent, bei vier Kindern um 0,70 Prozent, bei sechs Kindern aber gar nur mehr um 0,49 Prozent.

In Anbetracht der Tatsache, daßdiese „Erhöhung" 1200 Mio. Schilling kosten soll, ist der Erfolg bemerkenswert gering.

Die zusätzliche Erhöhung um 50 Schilling für Kinder über zehn Jahren hat, relativ gesehen, eine stärkere Auswirkung. Das Netto-Einkommen des Durchschnittverdieners wird von der Kombination Familienbeihilfe und Altersstaffelung bei einem Kind um 1,25 Prozent, bei vier Kindern um 2,12 Prozent und bei sechs Kindern um 2,35 Prozent angehoben; spüren wird die Familie auch nicht viel davon.

Laut Regierungserklärung vom 19. Juni 1979 sollen die Bemühungen fortgesetzt werden, fürjeneGruppenvon Familien Erleichterungen herbeizuführen,deren soziale Situation besonders schwierigist. Aufdie kinderreiche Familie trifft das anscheinend nicht zu. Dabei ist das Pro-Kopf-Einkommen je Arbeitnehmer von 1970bis I978um 126 Prozent gestiegen,die Familienbeihilfe fürein Kindso-garum 127 Prozent.

Aber ab dem dritten Kindbeginntmit 79 Prozent der Rückgang".

Die beabsichtigte Änderung ver-schärftdieSituationweiter: Ab 1.1.1981 wäre gegenüber 1970 ein Zuwachs um 179 Prozent bei einem Kind unter zehn Jahren und um 200 Prozent bei einem Kind über 10 Jahren zu verzeichnen; bei drei Kindern sind die entsprechenden Werte nur mehr 95 bzw. 111 Prozent. Krasser kann die Benachteiligung der kinderreichen Familien nichtdargestellt werden.

Definiert man den Ausgleichszula-gen-Richtsatzals Armutsgrenze, so wird derzeit diese Armutsgrenze beim Durchschnittsverdiener bei Kindern unterzehn Jahren erst bei sechs Kindern unterschritten, bei Kindern über zehn Jahren aber bereits ab dem zweiten Kind. Diese Umstände deuten daraufhin, daß auch eine Altersstaffelung notwendig ist.

Wenn man Gleichheit verlangt, dann darf sich das nicht inder Nivellierungder Familienbeihilfen erschöpfen; es müßte der volle Familienlastenausgleich angestrebt werden, d. h. bei einem durchschnittlichen Brutto-Einkommen müßte das „Pro-Kopf-Einkommen" netto gleich bleiben, unabhängig von der Zahl der Kinder. Basis wäredie Familiemitei-nem Kind. Derzeit verfügt aberder Ledige - um nur ein Beispiel zu nennen - fast über das doppelte Pro-Kopf-Einkommen einer Familie mit einem Kind unter zehn Jahren; je größer die Familie und je älter die Kinder, desto schlechter wird dieses Verhältnis.

Beide Aussagen, die Unterschreitung der Armutsgrenze ebenso wie der volle Familienlastenausgleich führen drastisch vor Augen, daß es zwei von einander unabhängige Probleme gibt: Der klassische Familienlastenausgleich, der das starke Absinken des Pro-Kopf-Ein-kommensmitsteigender Kinderzahl verhindern soll und zusätzlich der Ausgleich im Bezug auf das Alterder Kinder, wiees I970der Familienpolitische Beiratbeim Bundeskanzleramt erkannt hat.

Gibt es Lösungsvorschläge? Ja.

Derrsozial schwachen Familien wirklich zu helfen, ist der Tenorder Lösungsvorschläge des Katholischen Familienverbandes Österreichs. Es sind derzeit für die sogenannte Familienbeihilfen-Erhöhung 1.200 Millionen Schilling und für die Altersstaffelung 660 Millionen vorgesehen. 1979 hatten 1,978.379 Kinder Anspruch auf Familienbeihilfe.

Der Katholische Familienverband hat zwei Lösungsvorschläge vorgestellt, die darauf basieren, die Zahl der Empfänger zu beschränken; denn von der Gießkannen-Methode hat keiner etwas.

Erste Möglichkeit: Eine Familienbei-hilfenerhöhung nur für die 361.516 dritten und weiteren Kinder um je 200 Schilling und je 75 Schilling für jedes der 1,100.000 Kinder über zehn Jahren. Die Kosten dafür würden sich auf 1.858 Millionen Schilling belaufen.

Zweite Möglichkeit: Eine Erhöhung um je 345 Schilling für jedes der 130.411 vierten und weiteren Kinder und ein Alterszuschlag von 100 Schilling für alle Kinderüberzehn Jahren. Kosten, dieda-bei entstünden: 1.860 Millionen Schilling.

Beim ersten Vorschlag würde sich das Nettoeinkommen einer Familie mit sechs Kindern um 4,94 Prozent bei Kindern unter zehn Jahren anheben. Die Kombination mit der Altersstaffelung würde bei sechs Kindern absolut 1.247 Schilling bringen, das sind 7,71 Prozent des Netto-Einkommens. Beim zweiten Vorschlag wäre die Auswirkung auf die Mehrkinder-Familie noch spürbarer: 6,38 Prozent bei Kindern unter zehn Jah-renund IO,09Prozentoderabsolut 1.638 Schilling bei sechs Kindern über zehn Jahren. Natürlich sinddasauch noch keine großen Beträge; aber zumindest wäre das ein Anfang, das Problem wirklich zu lösen.

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