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Abkehr von jeder Gewalt

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Friede ist mehr als nur Nicht-Krieg. Die Macht des Wortes und des Bildes hat damit zu tun. Friedenstiften muß gelernt sein. Rüstungswettlauf ist gefährlich: ein klares Wort, zu rechter Zeit gesprochen.

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Friede ist mehr als nur Nicht-Krieg. Die Macht des Wortes und des Bildes hat damit zu tun. Friedenstiften muß gelernt sein. Rüstungswettlauf ist gefährlich: ein klares Wort, zu rechter Zeit gesprochen.

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• Erster Leitsatz: Der Krieg ist kein „taugliches und angemessenes Mittel, zwischenstaatliche Streitfragen zu lösen“. Ebensowenig sind „Prestige“ und „nationale Ehre“ ein gerechter Kriegsgrund (Papst Pius XII., Weihnachtsansprache 1949).

Es widerspricht der christlichen Friedensbotschaft, den Krieg zu deuten als „Bewährung zu Freiheit und Größe“, als das „urtümliche Mittel, die Dinge in Fluß zu bringen und Wachstumsstockun-

gen auszuräumen“ (Hermann Stegemann, Der Krieg, sein Wesen und seine Wandlung, 1939, Band 1).

• Zweiter Leitsatz: Der Friede „besteht nicht darin, daß kein Krieg ist“. Er ist vielmehr die Frucht jener von Gott stammenden Ordnung, „die von den Menschen durch stetes Streben nach immer vollkommenerer Gerechtigkeit verwirklicht werden muß“, ja noch mehr: Er ist „die Frucht der Liebe, die über das hinausgeht, was die Gerechtigkeit zu leisten vermag“ („Gaudium et Spes“, 78).

Dieses Friedensverständnis setzt eine Bewußtseinsänderung voraus, die zu einer Änderung der Verhältnisse führen wird. Daß dies möglich ist, zeigt die Geschichte.

Sklaverei und Kolonialherrschaft sind auf diese Weise beseitigt worden. Der Weg zur Bewußtseinsänderung muß konkret sein. Vier Hinweise:

1. Von Kind an muß der Mensch das Sich-Versöhnen, das Friedenstiften, das Ausgleichen, das Verzeihen persönlich erfahren und einüben: in der Familie, beim Spiel, beim Sport und so weiter.

2. Wir müssen,die Sprache des Friedens sprechen. Die Macht des Wortes und des Bildes für die öffentliche Meinungsbildung und damit auch für die Gesinnung des Friedens kann heute kaum überschätzt werden. Die Geschichte lehrt, daß nicht selten Hetze und Haßpropaganda ein Volk in den Krieg getrieben haben.

3. Von großer Bedeutung für die Schaffung eines Friedensbewußtseins ist die Abkehr von jeder Form von Gewalt und Terror unter den Menschen. Gewalt und Terror schaffen Kriegsbewußtsein.

4. Ein allgemeines Friedensbewußtsein wird nur dann entstehen, wenn die Rechte aller Völker „auf Existenz, auf Freiheit, auf Unabhängigkeit, auf -eine eigene Kultur und auf eine echte Entwicklung“ gesichert (Papst Johannes Paul II. im ehemaligen Konzentrationslager Birkenau, 7. Juni 1979) und wenn Elend und Hunger überall überwunden werden.

• Dritter Leitsatz: Es gibt Güter, „welche die göttliche Friedensordnung unbedingt zu achten und ZU gewährleisten verpflichtet“, Güter, deren Verletzung durch einen angreifenden Staat „ein Anschlag auf die Majestät Gottes“ ist. Diese Güter sind „von solcher Wichtigkeit für das menschliche Zusammenleben, daß ihre Verteidigung gegen den ungerechten Angriff zweifellos vollkommen gerechtfertigt ist“ (Pius XII., Ansprachen vom 24. Dezember 1948, 3. Oktober 1953, 19. Oktober 1953).

Es handelt sich hier nicht um Güter irgendwelcher Art, etwa um territoriale Ansprüche, son-

dem um die höchsten Lebensgüter eines Volkes: das Recht auf Leben, Gerechtigkeit, Gewissensund Religionsfreiheit und dergleichen.

• Vierter Leitsatz: Wenn ein Volk von einem anderen Staat überfallen und (etwa auf Grund diktatorischer Ideologien) seiner höchsten Güter—des Lebensrechtes, der Gewissens- und Religionsfreiheit usw. — beraubt wird, gebietet es, wie Pius XII. Weihnachten 1948 gesagt hat, „die Solidarität der Völkerfamilie“, nicht in „gefühlloser Neutralität“ den „einfachen Zuschauer“ zu spielen, sondern dem bedrohten Volk zu Hilfe zu kommen.

• Fünfter Leitsatz: „Solange der Mensch jenes schwache, unbeständige und sogar böse Wesen, als das er sich oft zeigt, sein wird, solange werden Defensivwaffen leider nötig sein“ (Paul VI. vor UNO, 8. Oktober 1965).

Es ist eine schwere Bedrohung des Friedens, Kriege, die im Dienst bestimmter Ideologien stehen, als gerechtfertigt hinzustellen. „Unsererseits“, so sagte Lenin, ist ein Krieg „legitim und gerecht“; denn er wird „für den Sozialismus, für die Befreiung anderer Völker von der Bourgeoisie“ geführt.

Die Mutter wird laut Lenin zu ihrem Sohn sagen: „Du wirst bald groß sein, man wird dir das Gewehr geben. Nimm es und erlerne gut alles Militärische!“ Entwaffnung sei ein „Grundirrtum“, denn die Sozialisten könnten „niemals Gegner revolutionärer Kriege sein“ (Lenin, Ausgewählte Werke, Bd. 1, 1946, S. 876, 881).

• Sechster Leitsatz: Wenn auch viele die Anhäufung von Waffen für „das wirksamste Mittel“ hal

ten, „einen gewissen Frieden zwischen den Völkern zu sichern“, ist der Rüstungswettlauf doch eine außerordentliche ernste Gefahr für die Menschheit und angesichts der ungeheuren Summen, die er verschlingt, eine unerträgliche Schädigung der Armen („Gaudium et Spes“, 81).

• Siebter Leitsatz: Wenn auch eine vollständige Abrüstung zur Zeit nicht erreichbar scheint, muß doch alles versucht werden, durch völkerrechtliche Verträge die Rüstung schrittweise allseitig und gleichzeitig zu beschränken und die Waffenvorräte abzubauen.

Die Forderung nach schrittweiser und allseitiger Abrüstung steht in einer elementaren Spannung zur Notwendigkeit der Selbstverteidigung. Es gilt, diese Spannung zu erkennen und auszuhalten.

Die Erfahrung lehrt, daß Aggressoren dann anzugreifen pflegen, wenn sie das Risiko als gering betrachten. Das trifft auf den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges ebenso zu wie für den sowjetischen Überfall auf Afghanistan.

• Achter Leitsatz: Im Bereich der Friedenssicherung gibt es Fragen, in denen Christen „bei gleicher Gewissenhaftigkeit“ zu verschiedenen Urteilen kommen können.

Zu diesen Fragen gehören die Nachrüstung und der Waffenexport. Das Zweite Vatikanische Konzil spricht die Mahnung aus, „daß in solchen Fällen niemand das Recht hat, die Autorität der Kirche ausschließlich für sich und seine eigene Meinung in Anspruch zu nehmen. Immer’aber sollen sie in einem offenen Dialog sich gegenseitig zur Klärung der Frage zu helfen suchen; dabei sol

len sie die gegenseitige Liebe bewahren und vor allem auf das Gemeinwohl bedacht sein“ („Gaudium et Spes“, 43).

• Neunter Leitsatz: Da ein Krieg, der mit modernen wissenschaftlichen Waffen geführt wird (ABC- Krieg), „ungeheure und unkontrollierbare Zerstörungen“ auslöst und „die Grenzen einer gerechten Verteidigung“ weit überschreitet, muß „mit einer ganz neuen inneren Einstellung“ an die Frage des Krieges herangegangen werden.

Darum erklärt das Zweite Vatikanische Konzil, indem es sich „die Verurteilung des totalen Krieges, wie sie schon von den letzten Päpsten ausgesprochen wurde“, zu eigen macht:

„Jede Kriegshandlung, die auf die Vernichtung ganzer Städte oder weiter Gebiete und ihrer Bevölkerung unterschiedslos abstellt, ist ein Verbrechen gegen Gott und gegen den Menschen, das fest und entschieden zu verwerfen ist“ („Gaudium et Spes“, 80).

• Zehnter Leitsatz: Es ist „eine von allen anerkannte öffentliche Weltautorität“ einzurichten, „die über wirksame Macht verfügt, um für alle Sicherheit, Wahrung der Gerechtigkeit und Achtung der Rechte zu gewährleisten“ („Gaudium et Spes“, 82).

Trotz aller Mißerfolge in der Vergangenheit und trotz der heute einander unversöhnlich gegenüberstehenden Mächte der östlichen und westlichen Welt ist die Notwendigkeit, die Völkergemeinschaft in politisch, wirtschaftlich und militärisch wirksamer Weise zu organisieren, heute dringender denn je.

(Auszug aus den Leitsätzen, die der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz dieser zur Herbst-Vollversammlung vortrug.)

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