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Digital In Arbeit

Abneigung gegen Arbeit

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Was beunruhigt Sie? Was bedrängt Sie? Die FURCHE bat einige namhafte Autoren um eine Stellungnahme.

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Was beunruhigt Sie? Was bedrängt Sie? Die FURCHE bat einige namhafte Autoren um eine Stellungnahme.

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Ich habe vor ein paar Jahren eine grandios eingerichtete Universitäts-Augenklinik besichtigt. „Das muß doch für die Studenten etwas Wunderbares sein!” sagte ich zu dem Professor, dem ich sehr viel verdanke, weil er mir geholfen hat, meine Augen besser zu gebrauchen, als ich es für mein AIter und meine bisherigen Schwierigkeiten mit Berechtigung hatte befürchten müssen. — „Haben Sie eine Ahnung”, sagte der Professor. „Heutige Studenten interessiert fast nichts.” — Und Ähnliches hörte ich auch von anderen bedeutenden Akademikern, auch im Hinblick auf die jungen Ärzte. Ich kenne viele bedeutende und sehr engagierte Ärzte. Aber ich höre immer wieder von Laxheit, Wurstigkeit in den Krankenhäusern und Kliniken.

Ich denke an meine Gymnasialjahre zurück. Ich habe in acht Jahren die lateinische Sprache einigermaßen erlernt. Wenn ich die vortrefflichen Latein-Nachhilfe-Sendungen des ORF hörte, bin ich einigermaßen mitgekommen. Aber ich habe weder Physik noch Griechisch, weder Geschichte noch Mathematik erlernt. Ich habe mich durchgeschwindelt, mit Glück und mit Geschick — irgend etwas hat damals nicht gestimmt mit dem allgemeinbildenden Unterricht; und ich glaube: das ist seither so geblieben oder schlimmer geworden.

Man hat Gelegenheit, von Fachleuten Wichtiges zu erfahren, und man hört nicht hin.

Wenn Ferien stattfinden, wenn es schulfreie Tage gibt, ist man froh.

Und das mag bei den mittleren Schulen so sein dürfen, aber, sofern man ein Studium wählt, absichtlich, bewußt, als Basis für eine künftige Berufsausübung... ich versteh's nicht.

Das alte Bild des Studenten, des kneipenden, tachinierenden, lebenslustigen Studenten: „Der Herr Professor sitzt im Kollegium”, doch es ist besser, „wir trinken eins'rum”, ist historisch, gewiß, aber wie ist's heute?

Mir scheint, daß wir alle ein unscharfes, unrichtiges, perverses Verhältnis zum Phänomen der Arbeit haben.

Einst war die Sozialdemokratie Fahnenträgerin der Arbeit. Das „Lied der Arbeit”, wenn auch textlich und musikalisch problematisch, hat mich immer gerührt und bewegt. Und unser Sozialminister, umstritten und angefeindet, hat noch im alten sozialdemokratischen Sinn ein Herz für die arbeitenden Menschen, deren Leben er erleichtern will.

Daß der Arbeitsplatz infolge einer unseligen Technisierung kostbar geworden ist, sollte — so dachte ich lange — die Beziehung der Menschen zur Arbeit ändern, wandeln, reformieren. Man sollte nun, man werde nun, dachte ich, die Tatsache des Arbeitens, Arbeiten-Könnens, Arbeiten-Dürfens endlich positiv werten.

Die Tatsache der Arbeitslosigkeit bedrängt mein Bewußtsein, geprägt von bösen Erinnerungen an die dreißiger Jahre. Vor allem die Jugendarbeitslosigkeit. Die

Tatsache, daß Arbeitslose unterstützt werden, gibt mir viel.

Doch dann höre ich immer wieder — und darum habe ich das alles aufgeschrieben, als ich gefragt wurde, „was mich am meisten beunruhigt und bedrängt” —

— und habe einmal nicht die Lage der Schriftsteller-Kolleginnen und Kollegen, mein ewiges Thema seit Jahrzehnten, in den Mittelpunkt gestellt

— dann höre ich immer wieder, daß es Menschen gibt, die sich bestätigen lassen, daß sie sich um eine Stelle beworben haben, damit sie die Arbeitslosenunterstützung beziehen können, die aber nur auf die Bestätigung und nicht auf Arbeit Wert legen

— dann höre ich, daß es Leute gibt, die höhnisch sagen: Ich bin doch nicht teppert, daß ich arbeiten geh', wo ich doch die Arbeitslosenunterstützung kassieren kann.

Und dieser tote Winkel unseres Wohlfahrtsstaats beunruhigt und bedrängt mich.

Bisher in dieser Reihe erschienen: „Leben in kalten Zeiten” von Heinz Pototschnig (Nr. 49/ 84), „Oblatenfrühling” von Friederike May-röcker (Nr. 50/84), „Zug der Lemminge” von Peter Marginter (Nr. 3/85), „Freigewählte Ohnmacht” von Rudolf Bayr (Nr. 4/85).

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