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Absage an Materialismus

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Der Geist, von dem es heißt, daß er weht, wo er will, erstickt er nicht in unserem von materiellen Sorgen, Wünschen und Ängsten zugedeckten Alltag? Und erst recht der Hl. Geist, wie ihn das Christentum versteht? Und da richtet nun der Papst eine Enzyklika, ein Lehrschreiben, an die Welt über eben diesen Hl. Geist, über seine Bedeutung für Kirche und heutige Welt: eine 150 Druckseiten lange theologisch-philosophische Abhandlung.

Keine Dogmenverkündigung, auch kein Richtlinienerlaß, Johannes Paul II. bezeichnet viel-

mehr seine fünfte Enzyklika selbst eher bescheiden „als Betrachtungen“, „Überlegungen“. Alles, worüber er da reflektiert, nachdenkt, ist schon einmal von Theologen bedacht und geschrieben worden, manches vielleicht sogar präziser und systematischer. Nur hat es keine Schlagzeilen gemacht, keine Meldungen in den großen Nachrichtenagenturen der Welt.

Dieser Papst aber hat den Mut und das Gottvertrauen, seine Bibelexegese und theologische Darstellung des Zusammenhanges von Vater und Sohn mit dem Hl. Geist in der Dreieinigkeit des christlichen Gottesbegriffes, wie eine wichtige Nachricht mit Sperrfrist schon einen Tag vor der offiziellen Publikation den Jour-

nalisten in Rom auszuhändigen. Nicht zur eigenen Erbauung, sondern damit sie diese Botschaft vom Hl. Geist in die kurzatmige Sprache der modernen Massenmedien umsetzen — eine Sprache, die ja selbst beim Sagbaren oft so sprachlos bleibt.

Und so geschieht es nun, daß aus den langen differenzierten Betrachtungen des Papstes nur die ganz wenigen Sätze oder Worte zitiert werden, die von handfester Aktualität, wenn nicht gar politischer zu sein scheinen. (In der Wiener „Presse“ sogar in der Uberschrift, nicht im Text!)

Zum Beispiel die Klage des Papstes über den Widerstand, der gegen den HL Geist heute vom atheistischen Materialismus, zumal vom dialektischen und historischen, geleistet wird, dieser Ideologie, die „noch immer“ als Substanz des Marxismus gilt. Ein materialistischer Widerstand gegen den Geist des Lebens, den der Papst aber auch in den „finsteren Zeichen des Todes, die sich am Horizont unserer Zeit verdichten“, lokalisiert.

Er zählt diese Zeichen auf: den Rüstungswettlauf, die Gefahr atomarer Selbstzerstörung, den Hunger in der Welt, die Kriege und den Terrorismus. Und er zitiert aus dem schon vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil erstellten Katalog des lebens- und geistfeindlichen Bösen: jede Art von Mord, Völkermord, Abtreibung, Euthanasie, auch Folter, Sklaverei, Prostitution und Ausbeutung.

Dem Papst geht es darum, so schreibt er, dem Gehetzten, nach

Frieden (auch mit sich selbst) suchenden heutigen Menschen klarzumachen, daß erst der christlich verstandene Hl. Geist das Böse, die Sünde, bewußtmache. Er, der Mensch, könne nicht selbst entscheiden, was gut und böse ist; erst das Gewissen, als Geschenk des HL Geistes, ermöglicht dies.

Den weitverbreiteten Mangel an Sündenbewußtsein führt der Papst ganz einfach auf den bösen Geist zurück, den er mit Satan bezeichnet. Daß der Mensch heute, wie eh und je, moralisch in die Irre geht, daß die Welt, zumal unsere säkularisierte, dem Religiösen so entfremdete, dennoch nach Sinn und Geist sucht und dabei Verfälschungen, Lügen und Selbstbetrug zum Opfer fällt — wer, auch unter den Nichtgläubigen, wüßte dies nicht?

Der Papst zitiert, ohne den Namen zu nennen, das Wort des Philosophen Friedrich Nietzsche vom „Tod Gottes“. Das sei eine Absurdität, schreibt der Papst. Aber das Ja zum Leben, zum Geist Gottes und zu einer „Zivilisation der Liebe“, das der Papst predigt, ist in seiner Enzyklika so eingehüllt in ein theologisch-kirchenamtliches Begriffsinstrumentarium, daß für den Durchschnittsgläubigen der Zugang schwer wird. Von Nietzsche stammt ja auch das böse Wort: Gott ersticke an der Theologie.

Nun ist Johannes Paul II. zum Glück für die Kirche nicht so sehr Theologe, sondern ein Papst, der seine Botschaft selbst charismatisch verkörpert und so in alle Welt hinausträgt.

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