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Absage ans Klischee

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Bei der Programmierung der Salzburger Festspielkonzerte zeichnen sich erfreuliche Tendenzen ab: Liederabende, Orchester-und Solistenkonzerte enthalten jetzt immer wieder selten gespielte Werke, die den oft schon erstarrt wirkenden Konzerten neue Impulse, ein neues Gesicht geben. Das wenig Gängige, Rare, ja sogar richtige Außenseiterwerke werden ins Programm integriert, und der Festspieldirektion ist damit endlich bewiesen, daß eine Janowitz, ein Abbado, ein Gedda oder Muti sich auch ohne die üblichen „Schlager“ im Programm zu Höchstpreisen verkaufen lassen. Ja sogar neue und neueste Musik wird bereits bejubelt, wie die Aufführung von Ligetis „Lontano“ mit den Wiener Philharmonikern unter Claudio Abbado zeigte.

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Bei der Programmierung der Salzburger Festspielkonzerte zeichnen sich erfreuliche Tendenzen ab: Liederabende, Orchester-und Solistenkonzerte enthalten jetzt immer wieder selten gespielte Werke, die den oft schon erstarrt wirkenden Konzerten neue Impulse, ein neues Gesicht geben. Das wenig Gängige, Rare, ja sogar richtige Außenseiterwerke werden ins Programm integriert, und der Festspieldirektion ist damit endlich bewiesen, daß eine Janowitz, ein Abbado, ein Gedda oder Muti sich auch ohne die üblichen „Schlager“ im Programm zu Höchstpreisen verkaufen lassen. Ja sogar neue und neueste Musik wird bereits bejubelt, wie die Aufführung von Ligetis „Lontano“ mit den Wiener Philharmonikern unter Claudio Abbado zeigte.

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Eines der interessantesten, mit Spannung erwarteten Konzerte war natürlich die erste Begegnung Herbert von Karajans mit dem Pianisten Mauriziq Pollini in der Aufführung des a-Moll-Klavierkonzerts von Schumann. Aber dachte man, hier eine sensationelle Auseinandersetzung zweier großer Eigenwilliger zu erleben, so wurde man schwer enttäuscht: Denn Pollini spielte Schumann farblos, unengagiert; eine wenig interessante „trockengelegte“ Aufführung, weil ihr das Fulminante, der Glanz fehlten. Pollini markierte Tempounterschiede entschieden zuwenig, spielte mit gleichförmigem Anschlag, ließ das Werk dahinplätschern. Von kritischer Reflexdon kerne Spur; ja, er korres-spondierte nicht einmal mit den Wiener Philharmonikern, weil er so sehr auf sich selbst konzentriert war. Was er mit dieser Wiedergabe beabsichtigte, war zwar klar: ein „Abräumen“ der aufwendig-pathetischen Gesten, ein Zurücknehmen des „falschen Feuers“, ein Aussparen des allzu Subjektiven... Aber kan das gelingen, wenn man es gegen Dirigent und Orchester wagt, kann das gelingen, ohne daß dabei der Romantiker Schumann auf der Strecke bleibt? Von Karajan hörte man außerdem eine mit bewundernswerter Intensität dirigierte „Achte“ von Dvorak.

Claudio Abbado wagte sich in seinem zweiten Konzert im Mozarteum gemeinsam mit Friedrich Gulda an Mozarts B-Dur-Klavierkonzert (KV 595): Gulda gefiel nicht recht als Mozart-Interpret. Abgesehen von seinein manchmal unverständlichen Eigenwilligkeiten, spute man hier zu sehr, wie sehr Abbado seine klaren musikalischen Vorstellunigen verteidigen mußte.Natürlich ist dieses Mozart-Konzert mit seinen reichen Kontrasten, träumerischen Romanzenstimmungen, dunklen „Don Giovanni“- und „Zauberflöten“-Reminiszenzen für Gulda das ideale Vehikel: Kein Werk der starren klassischen Regeln, sondern eines, in dem Mozart immer wieder ausbricht, von Formenregeln und Bräuchen abweicht. Gulda spielt das Werk mit einem weich singenden Anschlag, reich im Pedal, erfreulich „unvirtuos“. Den strengen Rhythmus durchbricht er freilich gelegentlich mit sehr persönlich getönten Phrasen, die Kadenzen führen in seinem plölfelich prall und fest werdenden Zugriff eine Art Eigenleben, ja brechen aus dem Gefüge.

Interessant wie Abbado Mozarts D-Dur-Symphonie (KV 297) und das B-Dur-Divertimento (KV 287), die zweite „Lodronsche Nachtmusik“ dirigiert. Seine Mozart-Wiedergaben sind klar, sehr sachlich, organisch gewachsen. Das Geheimnis seines Erfolgs ist wohl die Übereinstimmung seines Musizierens mit der großen Atemkurve dieser Musik. Wie sonst eigentlich nur Karl Böhm, vermag er dem Zuhörer den Eindruck zu schaffen, Zeuge zu sein, wie ein Werk aus dem Material gleichsam neu geschaffen wird. (Ein Eindruck, den man zum Beispiel bei Karajan, vor allem in seiner „Zauberflöten“-Aufführung, so sehr vermißt.) Vergleicht man übrigens Abbado mit seinem etwas jüngeren Kollegen Riccardo Muti, so sieht man, was allein Temperamentsunterschiede beim Musizieren von Mozart-Werken ausmachen. Muti ist stets der, der Elegant-Verspieltes herausstreicht, der Koketterie, gelösten Glanz, glattpolierte Oberflächen schätzt, der Mozart weniger tief und besinnlich dirigiert, ihn dafür manchmal eher Rossini annähert. Allerdings ohne Substanzverlust, wie er in seinem „Philharmonischen“ Konzert im Kleinen Festspielhaus vorführte: Mit Gerhard Hetzel und Rudolf Streng als Solisten bescherte er eine makellose „Konzertante Symphonie“ (KV 364); in Prokofjews „Sinfonietta“ münzte er Mozartisches, klassische Formen-schönheit und kammermuskalischen Musizierstil auf die frühe Moderne um.

In der Reihe der Liederabende sangen vorerst Christa Ludwig, Teresa Zylis-Gara, Hermann Prey, Nicolai Gedda, Peter Schreier, Gundula Janowitz... Mit Ausnahme Schreiers, der ein weniger originelles Brahms-Schubert-Erfolgs-programm präsentierte, durchwegs Versuche, neue Wege zu gehen: So mußte man bei Gundula Janowitz den Mut bewundern, mit dem sie sich in das Abenteuer „unbekanntes Lied“ stürzt. Fast zwei Jahre lang hat sie sich mit Debussy und Liszt auseinandergesetzt, an deren Liedern gearbeitet. Das Ergebnis nötigt Anerkennung ab, zeigt allerdings auch die Grenzen, die jeder Sängerin bei gewissen Werken gesetzt sind. Denn die Janowitz verfügt über eine Mozart-Stimme, die allenfalls noch Wagner singen kann, aber für Debussy völlig ungeeignet ist. Zu sohwerfällig singt sie Debussys Kantilenenbögen aus, wo nur Andeutungen, oft nur ein Hauch notwendig sind. Jeder Seufzer Debussys, der artistische Chansonstil, das Spiel der Ausdrucksnuan-cen, Farben, das Raunen ist zu belastet. Den „Proses lyriques“ wie die „Fetes, galantes“ (nach Verlaine) fehlte in ihrer Darstellung außerdem die literarische Dimension. Liszts artistische Stücke wären ebenfalls besser auszuloten gewesen. Die pianistische „Aufforderung“ ihres sensiblen Begleiters Irwin Gage, hat sie jedenfalls nicht wahrgenommen.

Als in einer der interessantesten Interpreten russischer Liedkunst erwies sich übrigens Nicolai Gedda, begleitet von Alexis Weissenberg. Er sang Lieder von Glinka, Mussorgsky und Rachmaninoff. Das Geheimnis Geddas, der nun schon seit 14 Jahren bei den Salzburger Festspielen beheimatet ist, liegt in der beispielhaft selbstkritischen Einstellung und Stimmkultur dieses Tenors. Seine Programmauswahl, die Abstimmung der Lieder auf Volumen und Timbre seiner Stimme sind perfekt; kaum jemals singt er etwas, das ihm nicht liegt. Nicht weniger beispielhaft ist,

Wie beinahe jedes Jahr, hatten die Bregenzer Festspiele auch heuer wieder die Uraufführung eines Schauspiels zu bieten, das diesmal zwischen dem romantisch-mittelalterlichen Gemäuer im Hof des die Stadt überragenden Martinsturms mit dem von Bruno Felix geleiteten Ensemble des Theaters für Vorarlberg in Szene ging. Unter dem Titel „Der rote Bräutigam“ hat Lotte Ingrisch es eigens für diesen stimulierenden Bregenzer Spielort geschrieben, wobei das Parbadjektiv nicht so sehr die weltanschauliche Gesinnung der Autorin als vielmehr die Hautfarbe der Titelfigur — eines vermeintlichen Indianers — signalisieren soll. Gleich den meisten Schöpfungen dieser an Nestroyschen Wortspielereien orientierten Schriftstellerin ist auch dieses dreiaktige Lustspiel eine Mischung aus zeitlos angesiedelter sozial- und gesellschaftspolitischer Kritik sowie derb-deftiger Moritaten-schilderunig mit einem kräftigen Schuß makabren, schwarzen Humors und bissiger Ironie. Zielscheibe ihrer manchmal in die Breite geratenen spöttischen Sentenzen und leicht absurd gefärbten Aktionen ist das labile und korrupte Spiel der Mächtigen, gerankt um das borniert-aufdringliche Gehaben einer kleinstädtischen Bürgermeisterfamilie namens Gackerschwanz, deren Abwesenheit die von dem abgeblitzten und intellektuell verseuchten Ge-memdesekretär Nasentrost aus der Gosse ans Licht gezogenen Gestalten — Totengräber Schabelwurm, Toilettenfrau Besentier und Hure Schnurr-puschel — dazu benutzen, deren Positionen angesichts des auf spendablen Freiersfüßen wandelnden falschen Indianerhäuptlings „Tolle Krähe“ vorübergehend zu usurpieren. Bruno Felix hatte diesen etwas verworrenen Mummenschanz mit lustig überdrehten Regieeinfällen in Spiel und Sprache flott inszeniert und dabei vor allem Marianne Kamm als kommentierende vox populi namens Mitzi Popula sowie Herfa Block, Andrea von Massenbach und Kurt Sternik zu munter vorwärtstreibenden Helfern gehabt.

Gepflegt-charmante und leicht parfümierte Theaterluft aus Burg und Josefstadt durchwehte die von Josef Meinrad einfühlsam inszenierte und souverän gespielte Aufführung des Lustspiels „Der Unbestechliche“ von Hugo von Hofmannsthal im Theater wie er sein kostbares lyrisches Material einsetzt, mit welcher Behutsamkeit und Diskretion er gestaltet. Ja, er schafft es, einen halben Abend lang ausschließlich mit sanftem Piano Nummern vorzutragen und dennoch sein Publikum in Hochspannung zu halten.

Hermann Prey sang im Großen Festspielhaus Lieder von Richard Strauss. Es war ein Fest der Fans, die die sympathische Schlichtheit seiner Wiedergabe, die geschmeidige schlanke Baritonstimme, ihre Ausdrucksfähigkeit und betörende Samtigkeit bewunderten und bejubelten. Nicht minder wurde auch Peter Schreier bejubelt. Sein Manko war nur Jörg Demus als Begleiter der den Sänger einige Male in kritische Situationen manövrierte.

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