6956707-1984_32_12.jpg
Digital In Arbeit

Abschied aus Resignation

19451960198020002020

Andrej Tarkowskij, Moskaus begabtester, aber von den Kulturbehörden mit Mißtrauen behandelter Filmregisseur, kehrt nach Engagements im Westen nicht mehr in seine Heimat zurück. Die Bitte um politisches Asyl ist die Resignation des heute 52jährigen vorden Schikanen und der Bevormundung durch die KP-Bürokratie.

19451960198020002020

Andrej Tarkowskij, Moskaus begabtester, aber von den Kulturbehörden mit Mißtrauen behandelter Filmregisseur, kehrt nach Engagements im Westen nicht mehr in seine Heimat zurück. Die Bitte um politisches Asyl ist die Resignation des heute 52jährigen vorden Schikanen und der Bevormundung durch die KP-Bürokratie.

Werbung
Werbung
Werbung

Tarkowskij entschloß sich zum schmerzlichen Schritt, seinem Vaterland voraussichtlich für immer Lebewohl zu sagen, weil ihm nur die andere Welt die Möglichkeit bietet, sein großes Talent vollends zu entfalten. Resignation, nicht die Aussicht auf lukrati-

ve Filmverträge ist das Motiv des endgültigen Bruches mit den sowjetischen, parteigelenkten Filmautorität.

Tarkowskij ist das Musterbeispiel eines sowjetischen Künstlers, der nicht bereit ist, den nötigen Kompromiß einzugehen — auf Kosten und zu Lasten seiner

schöpferischen Ausdruckskraft. Unter diesen Vorzeichen ist seine bisherige Laufbahn das Beispiel zermürbender Auseinandersetzung mit jenen, die ihre Genehmigung für Drehbücher und Filmsujets erteilen.

Vor 22 Jahren stieg Tarkowskij mit seinem in der Sowjetunion umstrittenen, genialen Filmerstling „Iwans Kindheit" unvermittelt zu Weltruhm auf. Der „Goldene Löwe" 1962 in Venedig war der Lohn im Ausland, den ihm die Heimat versagte.

„Iwans Kindheit" war ausdrücklich als Vorbereitung für das spätere Monumentalwerk über den legendären Ikonenmaler und Mönch „Andrej Rubljow" gedreht worden, das schonungslos realistische Epos über die Leiden des mittelalterlichen Russen. Vier Jahre lag das Filmwerk beinahe vergessen in den Archiven, bevor es „aus Versehen" in westliche Kinos gelangte.

Erst das überschwengliche Lob, das westliche Filmkritiker „Rubljow", der in einem von Tartaren verwüsteten Rußland die Renaissance-Malerei vorweggenommen hatte, spendeten, veranlaßte die allgewaltigen Zensoren, das Werk mit Kürzungen dem Publikum

des Landes freizugeben. Nach Ansicht westlicher Sachverständiger das beste Werk seit Eisenstein und würdig in der Tradition eines Mejerhold.

Auf Entscheidung der damaligen Kulturministerin Furzewa, einer gelernten Textilarbeiterin, wurde „Rubljow" nur einer beschränkten Zuschauerzahl zugänglich und mit dem abwertenden Stempel „historisch anfechtbar" und „zu naturalistisch" versehen. Die ungeheure Nachfrage in der Bevölkerung ist kein Maßstab für die Interpreten ideologischer Reinheit in Kunst und Kultur.

Die späteren Schöpfungen in der Heimat („Der Spiegel", „Solaris", „Stalker") erlebten ein ähnliches Schicksal. Vor allem lehnten die Behörden Tarkowskij s wachsende Symbolik im Stile von Bergman ab. Positive Kritiken im Westen, Filmpreise und Auszeichnungen hielten Kulturminister Demitschwe und seine Mannen nicht ab, die Werke in Vorstadtkinos zu verbannen und bald schon wieder vom Spielplan abzusetzen.

Dazu hielt Goskino, das Monopol der sowjetischen Filmindustrie, in einer breiten Kampagne

den Mythos hoch, Tarkowskijs Filme seien in der Heimat nicht gefragt. Jeder Besucher im Osten konnte sich aber selbst von dem großen Interesse für die Filmschöpfungen Tarkowskijs überzeugen.

Der freiwillig ins Exil gegangene Regisseur faßt für die Londoner „Times" seine Laufbahn und sein Schicksal zusammen: „In 20 Jahren habe ich in Rußland nur fünf Filme gemacht. Ich kann sagen, daß ich in 15 dieser zwanzig Jahre ohne Arbeit gewesen bin. Projekte wurden zurückgewiesen - ich plante einen Film über Tol-stoj und einen anderen über Dostojewski ... Wenn ausländische Filmfestspiele meine Filme anforderten, machte Goskino immer Schwierigkeiten. Es gab einen großen Skandal mit Cannes über den .Spiegel'."

Es versteht sich von selbst, daß Tarkowskijs Filme auf keinem der Moskauer Filmfestspiele je-

mals vorgeführt worden sind, dieses Schicksal teilt er mit anderen sowjetischen Filmemachern von Weltruf, aber von der Gunst der Kulturbehörden Ausgeschlossener: Paradganow, Abuladse, Mas-henko u. a.

Wie Jurij Ljubimow

Erst nach langem Zögern gaben die Behörden die Erlaubnis zur ersten Arbeit Tarkowskij s im Ausland. In Italien drehte der Regisseur „Nostalgie", das Schicksal eines von Heimweh nach „Mütterchen Rußland" sich verzehrenden sowjetischen Poeten in der Fremde. Es ist die bildlich gestaltete Aussicht des.Schöpfers, wie sein Vater selbst ein geschätzter Dichter, auf das künftige Leben in der selbstgewählten Verbannung. So verspricht er denn auch: „Ich bin Russe und bleibe es — mit oder ohne sowjetischen Paß."

In der Ägide Tschernenkos ist Tarkowskij schon der zweite Regisseur, der sich dem Zugriff der Partei und ihrer Schuhriegelei entzieht. Im Februar beschloß der Theaterdirektor der Moskauer Avantgardebühne Taganka, Jurij Ljubimow, nicht mehr in die Heimat zurückzukehren. Beide teilen das Geschick in Vergangenheit und in Zukunft.

Zurück liegt die aufreibende Auseinandersetzung mit Filmminister Jermasch im Falle von Tarkowskij, mit Kulturminister Demitschwe bei Ljubimow. Beide haben allen künstlich errichteten Hürden zum Trotz aufsehenerregende Meisterwerke geschaffen. Beide werden unweigerlich zu „Unpersonen" erklärt, das heißt offiziell aus dem Gedächtnis der Sowjetbürger gestrichen.

So erging es Künstlerkollegen von Bunin bis Solschenitzin, Ro-stropowitsch und Maximow und vieler anderer, die in der Fremde die erstmals von willkürlicher Bevormundung freie kreative Atmosphäre suchen. Tarkowskij ist nicht der letzte ...

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung