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Abschied von alten Vorbildern

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Die Jugend hat keine Vorbilder, meinen die einen, sie wolle auch keine haben, vermuten andere. Gedanken über den Stellenwert von Vorbildern im folgenden Beitrag.

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Die Jugend hat keine Vorbilder, meinen die einen, sie wolle auch keine haben, vermuten andere. Gedanken über den Stellenwert von Vorbildern im folgenden Beitrag.

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Gehen wir einmal der Hypothese von der „Jugend ohne Vorbilder“ nach: Zumindest oberflächlich besehen scheint sie zu Recht zu bestehen. In einer repräsentativen Jugendstudie (1000 Jugendliche zwischen 14 und 24 Jahren wurden befragt) verweigerten fast zwei Drittel der Befragten die Aussage, wenn man sie ganz offen nach Vorbildern, das heißt nach bekannten Persönlichkeiten, fragt.

Eine öffentliche Vorbildrolle findet nur bei einem Drittel bejahenden Zuspruch: Meist sind es Sportler (elf Prozent), interessanterweise auch Politiker (zehn Prozent), Rock- und Popstars (acht Prozent)...

Die Sozialforschung läßt die Kategorien zwischen Vorbildern und angehimmelten Idolen verschwimmen; aber vielleicht ist das auch manchmal selbst bei gewissenhafter Prüfung schwer zu unterscheiden.

Sind nun zwei Drittel tatsächlich „vorbildlos“? Sicher nicht. Sie haben bloß keine öffentlich vermittelten, für ganze Gruppen verbindliche Vorbilder. Viele hätten — wäre die Frage zugelassen gewesen - auf nahe Verwandte, Eltern, Lehrer oder Freunde verwiesen; andere wieder auf bedeutende Menschen, die ihnen in Geschichte, Literatur oder Wissenschaft begegnet sind, die etwas von den Möglichkeiten des Menschlichen dargestellt und somit eine Spur hinterlassen haben - ohne daß man das Wort Vorbild auf sie anwenden will.

Aber gehen wir immerhin davon aus, daß die weithin sichtbaren, verbindlichen, öffentlichen Vorbilder „der Jugend“ fehlen. Woran, wenn es so ist, kann das liegen?

Die Sozialwissenschaften bieten ein paar Erklärungsansätze: Ein beliebtes Erklärungsschema bietet eine allgemein gefaßte Theorie der Modernität. Das Leben in der arbeitsteiligen Welt, vielfältig und hochspezialisiert, wie es ist, zwingt zur Vielfalt der Rollen. Man ist vieles zugleich und wenig ganz.

Unter der Bedingung dieser Modernität werden eindeutige Vorbilder, die sich erkennbar treu bleiben, rar; sie verkommen leicht zur Rolle. Ein wenig ist es wohl so, daß der Rollenbegriff den Charakterbegriff auflöst und damit auch die Festigkeit eines Vorbilds.

Abgesehen von der Moderni-tätshypothese könnte man zur Erklärung des angenommenen „Vorbildschwunds“ eine Abart des Wertwandelphänomens anführen.

Unsere westliche Kultur ist -nach wie vor - geprägt durch Konsum, durch die Suche weiter Kreise nach Konsum-Glück, durch das Verlangen nach hedonistischer Stimulation. Sozialpsychologen diagnostizieren das Heraufkommen einer narzißtischen Persönlichkeit.

In Zeiten der Krisen und der Sorge wird das Alltagsleben zu einer Uberlebensübung, um sich gegen die befürchteten Unsicherheiten zu wappnen.

Rückzug und Fixierung aufs Uberleben sind mit Ich-Zen-triertheit und Privatisierungstendenzen (einmal nicht ökonomisch gemeint) durchaus vereinbar. Ein Narziß braucht aber kein Vorbild. Es genügt ihm ein Spiegel.

Vielleicht werden Vorbilder auch rar, weil sie in dieser sprachlichen Fassung nicht mehr nachgefragt werden. Es haftet dem Vorbild-Begriff die Aura der Autorität an. Die Autorität aber haben wir zu „hinterfragen“ gelernt. Sie zu „durchschauen“ ist schon ein Spiel für sich geworden, das angenehme Uberlegen-heitsgefühle vermittelt. In einer Zeit, wo Selbstentfaltungswerte

„Ein Narziß braucht aber kein Vorbild. Es genügt ihm ein Spiegel.

(Spontaneität, Selbstverwirklichung ...) im Steigen sind, ist eine Anbetung von „alten Vorbildern“ unwahrscheinlich.

Dabei entsteht für dieses selbst-entfaltungswütige Ich« durchaus die Gefahr, in ein „Werteloch“ zu fallen. Aber das merkt man erst, wenn man drin ist.

Vielleicht hängt das Schwinden öffentlicher Vorbilder auch mit einer - zumindest in Österreich -lange Zeit wirksamen Vermiesung des Eliten-Begriffs zusammen. Gewisse Funktionseliten haben beim Hinweis auf die Notwendigkeit von Eliten für das Funktionieren einer Gesellschaft stets empört aufgeschrien. Vor allem die Politik verbat sich Einmischung von Wissenschaft, Kirche . oder Kunst in den politischen Diskurs.

Ein falscher Primat der Politik, die neben sich nichts gelten läßt als Testimonialfjguren und servile Experten, selbst aber unter Vorbildschwächen leidet, könnte mit ein Grund für den — immer noch hypothetischen — Rückgang dieser sonderbaren Spezies sein.

Den bequemen Rückzug so manchen potentiellen Vorbilds kann man aber auch damit erklären, daß Vorbildhaftigkeit zu einem ein wenig lächerlichen Begriff geworden ist. Und dennoch: Ohne Funktionseliten, zu denen auch Lehrer, Ärzte, Journalisten, Politiker und Mitglieder der kirchlichen Hierarchie zählen (können), ist eine spirituelle Tradition nicht denkbar. Beschränkt man sich heute auf Mitteüung des Praktischen, weil man die eigene Vorbildlichkeit nicht mehr ernst nimmt, weil ja ' Ernstnehmen schon etwas Komisches ist, etwas nicht der Jugend-Norm Gemäßes, etwas Erwachsenes?

Das trifft nicht nur Lehrer oder medial vermittelte Vorbilder. Das trifft auch Eltern. Ich erinnere mich eines Elternabends an der Schule meiner Tochter. Der Klassenlehrer erklärte eindringlich, die Kinder mit sechs Jahren wollten zu ihren Eltern aufblicken, sie verehren können, ja Ehrfurcht haben. Ich erinnere mich auch an das milde Lächeln, das seine Worte hervorgerufen haben.

Wenn die bisher genannten Umstände die Weiterexistenz von Vorbildern erschweren, heißt das, daß wir von ihnen Abschied zu nehmen haben? Hört man nicht auch allerorten von der Sehnsucht nach dem Sinn, von der Anfälligkeit für Rattenfänger, Sekten und Gurus, die sich aus der Bindungslosigkeit bei gleichzeitiger Bindungswilligkeit ergibt?

Vielleicht sind wir bei der Sichtung der Vorbilder auf die traditionellen Vorbildformen fixiert. Das Aussterben der „großen Menschen“, ja das Problematisch-

Werden dieses Begriffs ist aus meiner Perspektive kein Verfall, sondern eine Genesung.

Wirkliche Größe ist nicht an Heldenmerkmalen zu erkennen. Sie ist ein Mysterium. Der große Mann ist einer, ohne den die Welt uns unvollständig erschiene, weil bestimmte große Leistungen nur durch ihn innerhalb seiner Zeit und Umgebung möglich waren und sonst undenkbar sind.

Es wäre der richtige Moment, um innezuhalten und an seine Vorbilder zu denken, die einen geprägt haben, die uns ein Stück Welt eröffnet und uns verändert haben.

Aus sozialwissenschaftlichen Untersuchungen wissen wir, daß es heute noch sehr oft Bücher (das heißt ihre Urheber) sind, die Veränderungserlebnisse auslösen. Und in der modernen Welt haben sich durch die Medien die Angebote vervielfacht. Es wird schwieriger, die Vorbilder auszunehmen, zu erkennen und für wahr anzunehmen. Es erfordert nämlich Zeit, denn mit einem raschen Konsum ist es nicht getan. Neue Identität durch Vorbüdwirkung entsteht ja nicht durch Abschauen, sondern Nachvollzug, Gedanken- und Handlungsnachfolge.

Die Welt schiene uns ohne die Menschen, die uns in sie einführen, unvollständig, arm und kalt. Erst Eltern oder Lehrer machen sie reicher, vielschichtiger, lebendiger. Und wenn sie dies tun, haben sie die Funktion der „Großen“. Wenn sie nicht früh aufgehört haben zu reifen, wenn sie sich ihres offenen Endes bewußt sind, auch ihrer metaphysischen Dimension, werden sie auch Orien-tierungshilfen für ihre Kinder sein können.

Der Autor ist Geschäftsführer des Fessl-Meinungsforschungsinstitutes, sein Beitrag ein Auszug aus einem Vortrag beim Dreiländertreffen katholischer Publizisten am 23. Oktober in Augsburg.

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