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Abschied von blutiger Vergangenheit

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Kongo-Zaire stellte zu Beginn der sechziger Jahre das Symbol von Anarchie und Massakern in den unabhängig gewordenen Kolonien dar. Der damalige UNO-Generalsekretär Hammarsk jold fand im „ex-belgischen Kongo” den Tod. In der Zwischenzeit haben die Roten Khmer Kambodschas, die Tschetniks von Serbien und in Afrika Liberia und Somalia alle Rekorde an Massenmord gebrochen. Vor wenigen Tagen jedoch wurde Philippe Bernard, der neue französische Botschafter in Kinshasa, bei Unruhen erschossen. Ein grausiger Neubeginn?

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Kongo-Zaire stellte zu Beginn der sechziger Jahre das Symbol von Anarchie und Massakern in den unabhängig gewordenen Kolonien dar. Der damalige UNO-Generalsekretär Hammarsk jold fand im „ex-belgischen Kongo” den Tod. In der Zwischenzeit haben die Roten Khmer Kambodschas, die Tschetniks von Serbien und in Afrika Liberia und Somalia alle Rekorde an Massenmord gebrochen. Vor wenigen Tagen jedoch wurde Philippe Bernard, der neue französische Botschafter in Kinshasa, bei Unruhen erschossen. Ein grausiger Neubeginn?

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Damals, vor mehr als dreißig Jahren, war der heutige Noch-Präsident Mobutu Hauptakteur im mörderischen Spiel. Seine Rolle bestand darin, im größeren Zusammenhang des Kalten Krieges dem demokratischen Westen eine wichtige Stellung zu sichern und sei es mit einer Diktatur. Heute fühlt sich Mobutu von seinen einstigen Verbündeten schmählich verraten. Hat er sich nicht ausdrücklich mit dem Übergang zur Demokratie einverstanden erklärt?

Die weltweite demokratische Strömung der ausgehenden achtziger Jahre hatte auch Afrika erfaßt. Die Völker Afrikas fanden, sie hätten genug gelitten unter ihren Diktatoren, gleichgültig ob die sich als Linke oder Rechte bezeichneten. Das war der allgemeine Konsens, von den Eliten bis zu den letzten Dorfbewohnern hinten im Busch. Doch Demokratie ist ein merkwürdiges Werkzeug, das nicht nur Demokraten Gelegenheit gibt, damit zu hantieren.

Ein kleinerer Teil der afrikanischen Diktatoren versuchte von vornherein, jeglicher Schmälerung ihrer Macht mit Gewalt zu begegnen. Das Ergebnis sah man in Liberia und Somalia. Auch Präsident Mussa Traore .von Mali versuchte sich in brutaler Unterdrückung, kam damit aber nur auf kurzem Weg in die Gefängniszelle. Zur Zeit läuft in Bamako der Prozeß gegen ihn wegen der Ermordung von 150 Schülern und Studenten anläßlich einer friedlichen Demonstration.

Kerekou in Benin und Sassou Nguesso im Kongo wurden von einer verfassungsgebenden Nationalversammlung repräsentativer Vertreter des Landes gewaltlos abgewählt und nehmen - meist ohne Chance, wieder gewählt zu werden - am demokratischen politischen Leben teil. Dazwischen gibt es Präsidenten wie Ken-neth Kaunda von Sambia, der eine ehrliche Wahl verlor, und andere wie Houphouet Boigny von Elfenbeinküste und Daniel Arap Moi von Kenia, die lieber Wahlen organisieren, bei denen sie von vornherein sicher sind, gewählt zu werden. Präsident Mobutu von Zaire hätte das auch gerne getan, doch er zögerte zu lange. In der

Zwischenzeit hatte sich die Bevölkerung bereits auf eine unabhängige, verfassunggebende Nationalversammlung nach kongolesischem Muster geeinigt.

Im (ex-französischen) Kongo, mit der Hauptstadt Brazzaville, war es der Opposition zur linken Einheitspartei gelungen, Anfang 1991 eine Generalversammlung aller politischen Kräfte einschließlich der Einheitspartei und der Armeeführung zu organisieren. Nach dem Muster der verfassunggebenden Nationalversammlungen der amerikanischen und der französischen Revolutionen arbeiteten die

Teilnehmer an dieser „Constituante” die eigene Vergangenheit seit der Unabhängigkeit auf und erstellten den legalen Rahmen für den demokratischen Ablauf des zukünftigen politischen Lebens im Kongo. Vor Beginn dieser Constituante war bereits ein allgemeiner Konsens zwischen Bevölkerung, Armee und Politikern erreicht worden, auf jegliche Gewalt zu verzichten.

Schwergewichtiger Gegner

Die Kongolesen waren damals wohl ein wenig zu optimistisch gewesen, wenn sie dachten, mit der Constituante bereits eine demokratische Gesellschaft geschaffen zu haben. Nach der jahrzehntelangen Diktatur gab es jedoch kein rechtes Verständnis von dem, was eine „demokratische Partei” nun genau vorstellen sollte. Nur langsam kristallisierten sich Gruppierungen mit einigermaßen klaren Vorstellungen über die Art, die Gesellschaft zu organisieren. Mit anderen Worten, der Ubergang von einer nicht mehr funktionierenden Diktatur zu einer noch nicht allzu gut funktionierenden Demokratie wird über drei Jahre gedauert haben.

Dem kongolesischen Beispiel versuchte auch die Opposition in Zaire zu folgen. In Mobutu hatte sie allerdings einen schwergewichtigen Gegner. Nur unter dem Druck seiner ehemaligen Schutzmächte Belgien, Frankreich und vor allem den USA bequemte er sich dazu, seine Truppen am Zügel zu halten und mit seiner alten Einheitspartei am demokratischen Prozeß teilzunehmen.

Kernpunkt der Erneuerung war nun allerdings Verzicht auf Gewalt von allen Seiten. Die Bevölkerung ist ja sowieso dagegen, doch es gibt auch keinen wichtigeren Oppositionspolitiker Zaires mehr, der bereit wäre, Gewalt als politisches Werkzeug einzusetzen. Sie alle lehnen jeden Rückfall in die blutige Vergangenheit ab. Liberia und Somalia dienen dabei als abschreckende Beispiele. Im Umfeld des Golfkrieges spielte im übrigen die Annahme keine geringe Rolle, die einstigen „Westmächte” und jetzt einfach nur Industriemächte würden Gewalt eines Diktators nicht mehr zulassen. Seit Sarajewo ist dieser Glaube jedoch wieder geschwunden.

Nun ist allerdings ein afrikanischer Diktator kein solch absoluter Herrscher wie er nach außen hin erscheint. Er ist in ein gesellschaftliches Netzwerk eingebunden, über das hinweg er nicht handeln kann. Entgegen der gängigen Ansicht handelt es sich dabei nicht so sehr um den Stamm, als vielmehr um den Klan. Der Stamm ist ein loses Gebilde, dem gegenüber niemand wirklich verpflichtet ist. Er dient vor allem als Rahmen für Bündnisse. Die zentrale gesellschaftliche Organisation für einen Schwarzafrikaner ist der Klan.

Der Afrikaner, der in den Jahrzehnten der leninistisch organisierten Einheitsparteien Präsident wurde, gleichgültig ob er sich dabei auf den Marxismus berief oder sich als überzeugter Kapitalist deklarierte, benützte die hierarchische Struktur der Staatspartei, um die Mitglieder seines Klans in die staatlichen Schlüsselstellungen zu bringen. Der Klan betrachtete hierauf den Staat als sein Privateigentum. Wenn der Präsident dagegen versuchte, den Staat im Interesse der gesamten Bevölkerung zu verwalten, dann wurde das vom Rat der Klan-Alten al s Verrat betrachtet und entsprechend bestraft. Auf dieser Ebene kam nur die Todesstrafe in Frage. 1977 wurde wegen „Verrats am Klan und den Klans verbündeten” der damalige kongolesische Präsident NGouabi von seinem eigenen Klan und dessen \ . Verbündeten ermordet.

Interessen von Klans

Wenn afrikanische Präsidenten, wie der Liberianer James Doe oder der Somali Siad Barre, bis zuletzt ihren Platz verteidigen, dann liegt dem nicht einfach persönlicher Starrsinn zugrunde. Von Mobutu weiß man, daß sein im Ausland angelegtes Vermögen den gesamten Schulden Zaires nahekommt, etwa um die sechs Milliarden Dollar. Er könnte also sehr wohl den Weg so manchen anderen Ex-Diktators gehen und sein Vermögen in Ruhe an der Cöte d' A-zur oder den Bahamas oder sonst einem angenehmen Ort genießen. Doch seine Leute wissen, daß sie zu Hause die Rechnung bezahlen müßten. Zu viel ist gestohlen, zu viel ist gemordet worden und Verzicht auf Gewalt heißt in den Augen der demokratischen Opposition nicht Verzicht auf strafrechtliche Verfolgung von Verbrechen.

Versuchte Präsident Mobutu heute, den Forderungen derOpposition nachzukommen und zurückzutreten, er würde keine ganze Woche mehr am Leben bleiben. Sei es beim Versuch, ein Flugzeug zu besteigen, sei es in seinem Palast, er würde von seinen eigenen Klansmitgliedern ermordet werden.

DieOpposition ist nicht immer ganz frei von Klansinteressen, doch insgesamt hat sich in den letzten Jahren eine neue Haltung zur Gesellschaft herausgebildet. Auch die Alten verstehen, daß die Beherrschung des Staats durch einen Klan in den Abgrund führen muß. Daher einigt man sich jetzt in Schwarzafrika mehr über eine Abstimmung der nationalen Interessen auf regionaler Ebene, wir würden sagen auf der Ebene eines1 Bundeslandes.

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