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Abschied von Bruder Baum?

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Der Stoff, aus dem Bäume sind, siecht dahin. In Österreich kränkelt ein Viertel der Wälder, in Deutschland die Hälfte. Schadstoffe verringern ist das Gebot der Stunde.

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Der Stoff, aus dem Bäume sind, siecht dahin. In Österreich kränkelt ein Viertel der Wälder, in Deutschland die Hälfte. Schadstoffe verringern ist das Gebot der Stunde.

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„Im Jahr 1980 war praktisch noch nichts zu beobachten, jetzt sind nach letzten Erhebungen schon 25 Prozent der österreichischen Waldbäume sichtbar geschädigt.“ Diese rasant fortschreitende Entwicklung macht Edgar Cabela, im Forschungszentrum Seibersdorf für die Koordination der Forschungsinitiative gegen das Waldsterben zuständig, mehr Sorgen als die absoluten Zahlen. In der Bundesrepublik Deutschland, wo das Waldsterben etwas früher begonnen hat, soll bereits die Hälfte aller Bäume sichtbare Schäden zeigen.

Fünf Minuten vor zwölf - manche meinen: fünf Minuten nach zwölf - ist gegen Ende 1983 auf Initiative der Wiener Universität für Bodenkultur die österreichische Forschungsinitiative gegen das Waldsterben ins Leben gerufen worden. Die 30 Millionen Schilling Gesamtvolumen für die 53 bis Ende 1985 genehmigten Projekte werden fast zur Gänze vom Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung getragen, zwei Projekte subventioniert das Land Niederösterreich. Mit der Koordination der Initiative wurde 1985 das Forschungszentrum Seibersdorf betraut.

Weil es sich um ein dringliches Programm handelt und man dabei flexibel agieren will, gibt es kein umfassendes Konzept. Daran wird ebenso gearbeitet wie am Aufbau einer EDV-gestützten Dokumentation, die für alle Interessenten abrufbare Daten speichert und in Verbindung mit internationalen Datenbanken steht. Hier gibt es bereits Kontakte mit der Bundesrepublik Deutschland, der Schweiz und den Vereinigten Staaten von Amerika. Interessant ist, daß in den USA zunächst vorwiegend der Einfluß des „sauren Regens“ auf Gewässer, Boden und Bauwerke erforscht wurde, nun aber bereits ein Drittel des diesbezüglichen Programms der Waldschadensforschung gewidmet ist.

Die Zeit drängt. Die Forscher können sich nicht auf eine systematische Ursache-Wirkung-Analyse beschränken. Bevor dies alles restlos geklärt ist, wird unter allen Wipfeln bereits Ruh' herrschen, wird es den Wald nicht mehr geben. Vielmehr müssen möglichst rasch Antworten auf sehr praktische Fragen gefunden werden: Wie kann man das Waldsterben bremsen? Wie kann man aufgetretene Schäden sanieren?

Edgar Cabela stellt zunächst eines klar: „Es gibt klassische Rauchschäden an Bäumen im Bereich von Großstädten, Glashütten, Aluminiumwerken, Betrieben der metallverarbeitenden Industrie. Hier sind die Ursache-Wirkung-Parameter bekannt. Das heutige großflächige, diffuse Waldsterben hat damit nichts zu tun.“

Kennzeichnend für die neuere Entwicklung ist die Tatsache, daß man die Schäden nicht mehr direkt mit bestimmten Emittenten (Schadstoffausstoßern) in Zusammenhang bringen kann. Die Schäden sind auch in sogenannten „Reinluftgebieten“ feststellbar. Erste Anzeichen dieser Entwicklung traten Mitte der fünfziger Jahre in Mitteleuropa (CSSR, Bayern, Polen) auf, als wesentlichste Ursache ist die Luftverschmutzungunbestritten. Es gelte daher, so Cabela, die Emissionssituation vor Mitte der fünfziger Jahre wieder herzustellen.

Das Waldsterben läßt sich freilich nicht auf eine Ursache reduzieren, wahrscheinlich spielt dabei ein ganzes Bündel von Faktoren eine Rolle:

• die globale Umweltverschmutzung, verstärkt durch ungünstige Wetterlagen,

• der Fremdenverkehr (das Massen-Tiefschnee-Skifahren führt dazu, daß junge Bäume von Stahlkanten zersägt werden und nicht aufkommen; der Skipistenbau zerstört die Humusschicht),

• die ökologisch falsche Anlage von Forstwegen, Anpflanzungen an falschen Standorten,

• Schädlinge, gegenüber denen ein aus anderen Ursachen geschwächter Baum nicht mehr genügend Widerstandskräfte besitzt.

Erste Erfahrungen aus Japan, wo man seit den frühen siebziger Jahren die Schwefeldioxid-Emissionen, die als Hauptverursacher des „sauren Regens“ und des Waldsterbens galten, auf ein Drittel gesenkt hat, zeigen, daß einseitige Reduzierungen von Schadstoffen unter Umständen negativ sind. Das Baumsterben in Japan verstärkte sich sogar, weil sich nun andere Schadstoffe, die aus Stickoxiden und Kohlenwasserstoffen entstehenden Fotooxidantien, vermehrt bemerkbar machten. Für Edgar Cabela ist es daher keine Frage, daß das Kraftwerk Dürnrohr nicht nur Entschwefelungs-, sondern auch Entstickungsvorrichtungen bekommen muß.

Im letzten Jahr soll sich das Waldsterben in Mitteleuropa verlangsamt haben. Cabela rät, diese Nachricht mit Vorsicht zu genießen, denn wir könnten auch nur Glück mit dem Wetter gehabt haben. Da die Ultraviolett-Strahlen bei der Entwicklung der gefährlichen Fotooxidantien eine Rolle spielen, könnte ein sonnenarmer Sommer sich positiv ausgewirkt haben.

Besonders dramatisch verläuft die Entwicklung bei den Nadelbäumen, wobei Österreich etwa drei bis vier Jahre hinter der Bundesrepublik Deutschland liegt. Vielleicht wächst schon in wenigen Jahren keine Tanne mehr in Österreich. Die Erfahrungen im Ausland zeigen übrigens, daß Nadelbäume zwar früher Schäden zeigen als Laubbäume, daß aber bei letzteren das Fortschreiten von Schäden viel rascher geht. In Österreich sind auch Eichen und Buchen schon in großer Zahl betroffen. Das Ulmensterben, so Cabela, sei allerdings auf Parasiten zurückzuführen.

„Die Bäume sind aber nur die Spitze eines Eisberges, ein erster Indikator, daß mit unserer Umwelt etwas nicht stimmt“, meint Edgar Cabela. Da Bäume alt werden, häufen sie besonders viele Schadstoffe an. In Kürze seien aber nun auch Probleme mit dem Boden zu erwarten, dessen Mikroorganismen die Verschmutzung wohl nicht mehr lange aushalten werden. In der Bundesrepublik Deutschland hat man bereits mit einem breit angelegten Bodenforschungsprogramm reagiert.

Welche konkrete Maßnahmen sind nun im Interesse des Waldes dringend notwendig?

Jeder Schadstoffausstoß muß verringert werden, ob Schwefeldioxid, Stickoxide oder Kohlenwasserstoffe. Alte Kraftwerke gehören saniert, Tempolimits - so Cabela — zwar nicht unbedingt verschärft, aber zumindest in ihrer jetzigen Form rigoros kontrolliert. Der Katalysator sollte — auch bei Diesel-Motoren — noch mehr forciert werden.

Können bereits kranke Bäume noch gerettet werden? Eis gibt eine Reihe von „wissenschaftlich nicht fundierten Rettungsmaßnahmen“ (Cabela), von denen sich die Eintragung von Gesteinsmehl — aus Urgestein — am besten bewährt hat, während Versuche mit Kalkung der Böden fehlgeschlagen sind. Durch Zufall gelangte bei einem Straßenbau Gesteinsmehl in einen kranken Wald - und siehe da, die Bäume erholten sich.

Über die Ursachen der Waldschäden gibt es etwa 50 wichtige Hypothesen (in der Luft befinden sich zirka vier Millionen vom Menschen erzeugte Stoffe). Wahrscheinlich trifft je nach geographischer Lage die eine oder andere Hypothese mehr zu, oft wird ein Bündel von Faktoren für das Waldsterben verantwortlich sein. Entscheidender als die Bo-denversauerung, die zunächst als Hauptursache galt, dürfte die direkte Schadstoffbelastung aus der Luft sein, die den Baum am Assimilieren hindert.

Diesen Dingen wollen die österreichischen Forscher am Beispiel des Lehrforstes Rosalia der Wiener Universität für Bodenkultur im Burgenland auf den Grund gehen. Mit Hilfe des Computers werden für dieses Gebiet die aufgrund unterschiedlicher Hypothesen für einen bestimmten Zeitablauf errechenbaren Schäden graphisch dargestellt. Anschließend werden diese Computer-Karten mit dem Ist-Zustand verglichen. Dann müßte nach Meinung der Forscher erkennbar sein, welche Hypothese der Wahrheit am nächsten kommt, und damit wären die Ursachen und mögliche Gegenmaßnahmen erkennbar.

Man gibt sich freilich nicht der Illusion hin, damit mehr als das Rätsel des Waldsterbens in einer einzigen Region lösen zu kennen.

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