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Abschied von der KP?

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Am 13. September wird Corrado Alunni, Führer der berüchtigten „Roten Brigaden“ und Hauptbeteiligter an der Entführung des christlich-demokratischen Parteipräsidenten Aldo Moro, von der italienischen Polizei verhaftet. Zwei Tage später wird auch seine Kumpanin Marina Zoni gestellt.

Zur selben Zeit explodiert in Italien eine innenpolitische Bombe, deren Sprengkraft noch gar nicht abzusehen ist. Die Mailänder Tageszeitung „Cor-riere della Sera“ veröffentlicht am 14. September einen Brief Moros aus seinem „Volksgefängnis“ an seinen Sekretär und Ratgeber Ancora. In diesem Brief schreibt Moro wörtlich: „Als Belohnung für die Mühen und Bemühungen erhalte ich von den Kommunisten das Todesurteil.“

Und weiter beklagt sich der Parteipräsident über die „rigide und unnachgiebige Haltung der Kommunisten“, die seine Entführung als Vorwand genommen hätten, um zu zeigen, wer in einem Krisenfall für Ordnung und Recht sorgen würde. Aber in dem Brief Moros schwingt auch eine Kritik an der Haltung der eigenen Partei mit, die sich kompromißlos gezeigt hatte und jeden „Vorschlag“ der Terroristen auf einen etwaigen Geiselaustausch abgelehnt hatte.

Eine weitere „Enthüllung“ treibt diese Kritik noch weiter. Das Überale Wochenmagazin „Europeo“ druckt am selben Tag einen geheimen Passus aus dem Tagebuch des italienischen Sozialistenchefs Bettino Craxi ab, in dem er wörtlich die Christdemokraten des „Willens zum sinnlosen Blutvergießen“ bezichtigt.

„Eine geschickte sozialistische Taktik“, deutet die Turiner „Stampa“ an und schreibt: „Wenn alles wahr wäre, so gäbe es in Italien diese Situation: eine gute Partei, die PSI (Sozialisten), eine schlimme, die PCI (Kommunisten) und einen Verräter, die DC (De-mocrazia cristiana). Die Sozialisten wären gut, weil sie Menschüchkeit gezeigt haben und das Leben Moros retten wollten, die Kommunisten böse, weil sie die tragische Situation genützt und sich als Hüter von Recht und Ordnung aufgespielt hätten, und die De-mocristiani wären Verräter, weil sie das Leben ihres Präsidenten geopfert haben, um als Wahrer der Demokratie dazustehen.“

Die Gründe für diesen Skandal hegen allerdings schon weiter zurück. Die Sozialisten hatten - wie schon so oft - durch ein waghalsiges Manöver die „heilige Ruhe im Sommer“ gestört. Mit einem Interview des stellvertretenden sozialistischen Parteisekretärs Claudio Signorile, treuer Vasall von Craxi, der ganz dezidiert erklärte: „Die Kommunistische Partei hat sich immer auf der leninistischen Linie bewegt. Darum ist sie ungeeignet für eine Regierungsbeteiligung.“ Die Kommunisten waren perplex und der adelige Parteichef Enrico Berlinguer hatte keine besseren Argumente als die Antwort: „Der Vorwurf des Leninismus ist eine Unterstellung!“

Dahn meldete sich Bettino Craxi mit seiner ganzen Autorität zu Wort. Craxi ist Mailänder und seit mehr als einem Jahr Führer der italienischen Sozialisten. „Sozialdemokrat“, sagen seine Feinde zu ihm. Denn er hat in der kurzen Zeit seiner Führerschaft die harte, marxistische Linie seines Vorgängers De Martino abgeschwächt, hat die Partei „germanisiert“, wie man in Italien so schön sagt.

Dieser Bettino Craxi hat dann in einem langen Essay eine Diskussion über den Leninismus vom Zaum gebrochen, die manche Kommunisten erschaudern üeß: „Leninismus und Pluraüsmus sind zwei widersprüchüche Begriffe. Wenn der erste überwiegt (wie in der UdSSR), muß der zweite untergehen.“ Das war mehr als eine Spitze gegen die PCI und deren Versuch eines „demokratischen Zentra-üsmus“ - das war eine ideologische Trennung, wie sie seit dem Jahre 1921 .(damals spalteten sich die Kommunisten unter dem charismatischen Parteiführer Antonio Gramsci von den Soziaüsten ab) in Itaüen nicht mehr zwischen sogenannten Brüderparteien geführt worden war.

„Diese Aussage von Craxi ist ja schärfer als das SPD-Parteiprogramm von Bad Godesberg“, schäumte ein treuer kommunistischer Journaüst. Die „Unitä“ sah darin „Zeichen der ideologischen Verrohung“. Zu mehr reichte es anscheinend nicht.

Und Aldo Aniasi, soziaüstischer Ex-bürgermeistervonMaüand, schrie sich auf einer Parteiveranstaltung den Unmut von der Seele: „Wir haben es satt, wie kleinere Brüder oder Schemen behandelt zu werden.“ Das sozia-üstische Fußvolk strotzt vor neugewonnenem Selbstbewußtsein.

Eine Trennung von Kommunisten und Soziaüsten scheint perfekt. „Es gibt Differenzen, die über das Ideologische und Realpolitische hinausgehen“, schreibt Craxi noch einmal und läßt seine Abgeordneten gegen den Besuch einer itaüenischen Delegation auf der Moskauer Messe (14.-17. September) protestieren. Der „kleine Bruder“ wird selbständig. In Venedig streiten sich Soziaüsten und Kommunisten in der Stadtverwaltung, in vielen Regionen schielen die Soziaüsten schon nach rechts, um die lästige Koalition mit den Kommunisten loszuwerden. Die Linie der kommunistischen Gewerkschaft Cgil wird von Sozialisten hart attak-kiert.

Berünguer und Genossen scheinen ratlos und verwirrt. Noch dazu, da ihnen vor wenigen Tagen die Zeitschrift „Espresso“ in einer demographischen Analyse „Dirigismus und mangelnde Kommunikation in der Partei“ vorgeworfen hat.

Craxi ist ein gewiegter Taktiker. Er hat erkannt, daß der kommunistische Vorstoß - teilweise auf Kosten der soziaüsten errungen - gestoppt und daß die „Democrazia Cristiana“ keineswegs tot ist. Nun sieht er Chancen für seine Partei, endüch die Zwanzigprozenthürde zu überspringen. „Der demokratische Soziaüsmus“ ist sein Nahziel, die Soziaüsten Frankreichs sein Vorbild. Auch wenn altgediente Sozialisten murren und mit dieser Partei nichts mehr zu tun haben wollen.

Als Craxi im Mai dieses Jahres halb-offizieU mit den Führern der Christdemokraten zusammentraf, nahm man das nicht weiter ernst. Jetzt, nach den aufwühlenden Ereignissen der letzten Tage, erhält dieses Treffen im nachhinein innenpoütische Relevanz. Schielt Craxi nach einer neuen Koalition mit den Democristiani?

Die scheinen dem nicht abgeneigt Die charismatischen Führer PiccoU. und Fanfani haben zusammen mit Parteisekretär Zaccagnini Signale für die Öffnung zu den Soziaüsten gegeben. In verschiedenen Städten werden die ersten Zentrumskoalitionen gebildet Die „Svolta storica“, die historische Wende der Sozialisten, scheint ernst gemeint. ,

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