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Abschied von der Volkskirche

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„Wir brauchen eine Jugend, die nicht am Sonntag in die Kirche geht.“ Von offiziellen Parteileuten hätte ich so einen Satz erwartet — schließlich ist atheistische Erziehung offizielles Leitbild in der DDR. Aber wir saßen gemütlich in einem Jugendpfarramt und redeten über die Ghettosituation der Kirche in der DDR.

Sie ist doppelt: einmal von Staats wegen. Kirche als Verwalterin christlicher Kultur wird anerkannt, teilweise ist sie — derzeit noch — sogar erwünscht. Kirche als Diskussionspartner, als Ort für Engagierte, womöglich für Weltverbesserer — dazu sagt der Staat: nein, Kirche, bleib bei deinem Leisten. Sie soll Kirchen erhalten, bestehende Gemeinden betreuen, als Lückenbüßer diakonische Aufgaben erfüllen, Krankenhäuser, Kindergärten betreuen, sich um die Alten kümmern, in letzter Zeit auoh immer mehr um die Betreuung geistig und körperlich Behinderter. Das sind die Domänen, . in denen die Kirche in der DDR noch gebraucht wird.

Domänen auch, die dem christlichen Auftrag entsprechen und von der Kirche daher gern und mit Einsatz wahrgenommen werden. Auch das andere staatlich akzeptierte Arbeitsgebiet entspricht christlicher Tradition: Der Pfarrer gehört zu seiner Gemeinde, und die Gemeinde gehört in die Kirche, diesmal als Bauwerk verstanden — oder doch in ihre Nähe, in Gemeindesaal und Jugendraum.

Wenn auch im Westen berichtet wird, in der DDR seien die Kirchen voller, die Überalterung sei nicht so auffallend — ich fand diesen Eindruck nicht bestätigt. Die Gottesdienstbesucher, die ich sah, ähnelten auf fatale Weise den unseren: viele alte Menschen, einige junge, und völliges Fehlen der Generation „in den besten Jahren“. Die haben, in der DDR und anderswo, anderes zu tun. Und sie werden von der Kirche auch verschreokt; denn diese präsentiert sich als Bewahrerin, nicht aber erneuerungsträchtig. Historisch verständlich: ist doch das Alte vom Staat sanktioniert, oft mit Mühen dem Staat abgerungen, man will auf schwer Erkämpftes nicht gern verzichten. Daher eine Starre der Formen, wie sie auf die Dauer zum Austrocknen führen muß. Bei jeder Neuerung muß man einerseits neuerlich mit offiziellen Stellen in den Clinch gehen, und außerdem besteht die Gefahr der Salamitaktik.

Gerade, weil die Machtfrage letztlich zugunsten des atheistischen Staates entschieden ist, versucht die Kirche, ihre begrenzte, aber vorhandene Macht zu erhalten. Immerhin erklärten bei der letzten Volkszählung, bei der nach der Konfession gefragt wurde, noch vor der Entspannungsära etwa 60 Prozent der DDR-Bürger, sie fühlten sich einer christlichen Religionsgemeinschaft zugehörig. Ein Prozentsatz, der den Staat dazu zwingt, mit der Kirche zu rechnen.

Und gerade, weil der Staat mit der Präsenz der Kirche rechnen muß, entzieht er ihr anderseits, wo immer es geht, Einflußmöglichkeit. So etwa bei der Jugend.

Jugend anzusprechen, dazu braucht es neuer Wege; sie werden oft im Widerspruch mit der Kirchenleitung und dem Staat beschritten. So ist es sowohl im Sinne der Kirohenleitung wie des Staates (wäre sie sich dieser Interessengemeinschaft bewußt, die etablierte Kirche wäre entsetzt darüber, hier dem Staat in die Hand zu spielen), wenn Jugendtage und Freizeit mit christlicher Thematik überladen werden. Je mehr Bibel, desto frömmer, aber auch — vom Staat aus gesehen — desto unattraktiver.

Denn die Jugendlichen sind ideologiemüde. Sie sind von der ständigen Propaganda, der sie in Schule, Jugendorganisation und Massenmedien ausgesetzt sind, total überfahren. Man ist der Meinung, die Diskussion zwischen Christentum und Atheismus sei gelaufen, man müsse sich abfinden. Man muß Ohnehin ständig und überall ideologische Bekenntnisse ablegen — diese verlieren dadurch jeden Kurswert. Das latente Dilemma des Widerspruches zwischen privater Ideologie und öffentlicher, in der Schule verbredteter Ideologie, die nicht zusammenpassen, kann nicht aufgearbeitet werden und wird verdrängt

Echte Bereitschaft zur Ideologiekritik, an der Kirche wie am Staat, fehlt. Daher die eingangs zitierte Meinung eines Jugendpfarrers: Wir brauchen eine Jugend, die nicht am Sonntag in die Kirche geht. Schweigender Zusatz: junge Menschen, die trotzdem Christen sind. Sie könnten die Kluft zwischen Alltagsleben, wo man von Weltansohauungsf ragen überhaupt nicht redet, und Sonntagsleben vielleicht überbrücken^

Die Möglichkeiten, eine solche Jugend heranzuziehen, sind beschränkt Schon auf den Einladungsbriefen zu jeder kirchlichen Veranstaltung muß ein deutlich christliches Thema stehen, sonst könnte man der Kirche vorwerfen, ihre Kompetenzen überschritten zu haben.

Allerdings hat dieser Zwang, mit offenen Karten zu spielen, seine Vorteile: der Jugendliche weiß, er wird bei einer Christlichen Thematik jedenfalls zumindest nicht mit Staatsideologie überfahren werden. Man hat daher nicht um Teilnehmer zu bangen: christliche Jugendlager sind' gesucht. Gesucht, weil die „Marke Kirche“ Garant ist für Schutz vor Propaganda. Die Jugendleiter wissen — wenn sie gut sind — über dieses Motiv Bescheid. Und gehen sehr behutsam daran, aus der Einstellung „ich will nur abschalten“ herauszuführen und dann doch, von einem anderen Standpunkt aus, weltanschauliche Diskussionen herbeizuführen. Denn während man über bundesdeutsche Schüler ob ihrer Diskutierwut gerne lächelt, haben die DDR-Jugendlichen für Gerede längst nichts mehr übrig.

Sie kommen wieder, wenn sie die Zeit der Schule, die Zeit der massiven Propaganda, hinter sich haben. Ich konnte eine ganze Reihe von jungen Leuten kennenlernen, die mit 18 Jahren oder später zum erstenmal mit dem Christentum in Nahkontakt kamen; Spätfoekehrte sozusagen, Vorboten einer Entwicklung, die jetzt erst in Keimzellen da ist. Weg von der Valikskirche, weg vom Taufscheinautomatismus, weg vom kirchlichen Beamtentum.

Diese jungen Leute haben etliche Vorteile für sich zu verbuchen: so zum Beispiel, daß sie ihre Ausbildung unbeschadet der Schwierigkeiten, in die bekennende Christen immer noch geraten können, abgeschlossen haben. Sie toben teilweise auch schon eine gewisse Position erreicht, sie sind sozusagen bisher „ideologisch unbescholten“, und man kann sie jetzt nicht mehr auf kaltem Wege ausschalten. Sie können jetzt an relativ einflußreichen Stellen ihr Christsein deklarieren, ohne daß sie einschneidende Konsequenzen zu befürchten toben.

Offene Konflikte mit der Kirche vermeidet der Staat. Sehr direkt sagte man mir im Staatssekretariat für Kirchenfragen: „Wir sind sehr um Korrektheit bemüht. Die halbe Welt schaut ja auf uns.“ In den letzten Jahren, seit der Anerkennungs-welle der DDR, steigen die internationalen Kontakte. Auch die Überlegungen der UNO, „Meinungsmacher“ aufzunehmen, stärken das Prestige der Kirche. Außerdem stärkt sie die Tatsache, daß via Kirche Devisen fließen. So etwa zur Renovierung der Kirchen — viele sind zerstört, viele im Aufbau. Den Berliner Dom hat man lange Zeit nicht angerührt. „Was glauben Sie, wie das auf unsere Touristen wirken würde, wenn wir jetzt jahrelang einen Dom abtragen!“ sagte ein Gesprächspartner.

Wiederaufbauen stärkt die Moral; wenn nicht aus eigener Tasche finanziert, um so besser. Die Bundesrepublik schickt nicht nur Geld, nicht nur Baumaterial, sie schickt auch Arbeiter. Denn der Arbeitskräftemangel der DDR schreit zum Himmel.

Staatliches Gegengeschenk für diese Unterstützung aus dem Westen: fast nichts. Die Kirche kämpft darum, wenigstens in einem der neuentstandenen Wohngebiete auch eine neue Kirche bauen zu können, ebenfalls mit Westmark, versteht sich. Doch die Verhandlungen sind zäh.

Was die Kirche hat, nimmt man ihr nicht weg. Ihr aber neue Möglichkeiten zu geben — dazu entschließt man sich äußerst schwer.

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