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Abschied von einer liebgewonnenen Worthülse

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Schweden hat vergangene Woche seinen Neutralitätsstatus aufgekündigt. War das mehr als eine Wortspende in Richtung EG, wenn man bedenkt, daß Schweden im Kriegsfall weiterhin neutral bleiben will? Was bedeutet Neutralität in einem veränderten, aber doch nicht so neuen Europa? Österreich darf sich diesen Fragen nicht enziehen.

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Schweden hat vergangene Woche seinen Neutralitätsstatus aufgekündigt. War das mehr als eine Wortspende in Richtung EG, wenn man bedenkt, daß Schweden im Kriegsfall weiterhin neutral bleiben will? Was bedeutet Neutralität in einem veränderten, aber doch nicht so neuen Europa? Österreich darf sich diesen Fragen nicht enziehen.

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Ist der harte Kern jeder Neutralität -militärische Bündnisfreiheit und Fernhalten von kriegerischen Aktionen außer zur Selbstverteidigung - im gegenwärtigen Europa der Umwälzungen tatsächlich obsolet geworden? Schweden sieht das so und hat verbal von der Neutralität Abschied genommen. Im Gegensatz zu Österreich konnte der skandinavische Staat dies relativ leicht erklären, weil es sich -wie der Völkerrechtler Heribert Köck darstellt - dabei nur um eine neutrale Tradition handelte, die nie formell begründet wurde. Österreichs dauernde Neutralität ist international verankert: der Kleinstaat hat sich gegenüber der internationalen Gemeinschaft verpflichtet und die anderen dazu, diesen Status zu respektieren. Schwedens Neutralität war zudem keine dauernde. Sie erwuchs aus den Einsichten des 19. Jahrhunderts, daß es besser wäre, sich aus den europäischen Streitigkeiten herauszuhalten. Interesse an Schwedens Neutralität hatten Briten, Deutsche und auch Russen. Es gab zwar Vorstöße, Schwedens neutralen Status auch dauerhaft zu verankern, es kam aber formell nie dazu. Theoretisch hätte Schweden also jederzeit seine Neutralität beenden können.

Unklar bleibt die Formulierung, daß man im Kriegsfall neutral bleiben wolle. Köck interpretiert diesen eigentlich neutralen Vorbehalt folgendermaßen: „Schweden wird sich weiterhin nicht an herkömmlichen Allianzen und Kriegen beteiligen, aber sehr wohl stärker an UNO-Maßnahmen und am erst auszubildenden europäischen Sicherheitssystem. Denn es ist ein Unterschied, ob man sich an Kriegen oder an einem System kollektiver Sicherheit beteiligt." Der springende Punkt für Österreich ist nach Köcks Worten die bisherige offizielle Position, auch an diesem System nicht teilnehmen zu wollen.

Im klassischen Sinne gebe es aber keine Allianzen mehr, deswegen sei die klassische Neutralität obsolet geworden. „Von der Neutralität wird nichts bleiben", meint Köck denn auch. „Die Worthülse muß ins Museum wandern. Im Rahmen der kollektiven Sicherheit müssen auch Neutrale bereit sein, Kontingente nicht nur für Friedenstruppen, sondern auch für militärische Eingreiftruppen zur Verfügung zu stellen", betont der Völkerrechtler und meint - anders als dies seinerzeit der neugewählte Bundespräsident Thomas Klestil darstellte: Österreichs Neutralität sei auf UNO-Aktionen hin angelegt -, daß der klassische Inhalt von Neutralität bedeute, auch im Rahmen eines kollektiven Sicherheitssystems nicht mitmachen zu dürfen.

Für Österreich stellen sich drei gewichtige Fragen: Soll es seine Neutralität aufkündigen? Hat Österreich aufgrund der veränderten Umstände das Recht dazu? Und wie macht man das korrekterweise? Heribert Köck ist der Meinung, daß Neutralität eben der veränderten politischen Gegebenheiten wegen nicht mehr notwendig ist. Neutralität wird in Europa nicht mehr geschätzt, EG-Politiker machen seit langem kein Hehl daraus.

Ein diesbezüglicher Bewußtseinswandel der österreichischen Bevölkerung läßt noch auf sich warten. Köck: „Wir brauchen in Österreich eine Übergangsfrist, um den Leuten den Wegfall der Neutralität so zu verkaufen, daß sie nicht verunsichert sind. Bei uns wurde Neutralität stark ideologisiert: alles wurde als Folge der Neutralität gedeutet. Die Schweiz hat das ganz anders gesehen, Wirtschaft beispielsweise hat mit Neutralität nichts zu tun."

Heribert Köck tritt vehement für eine Änderung der österreichischen Position ein, weil die Bedingungen der Neutralität Österreichs weggefallen sind. Deswegen habe Österreich auch das Recht, sich davon loszusagen. Der korrekte Vorgang dafür -Schweden habe es da leichter gehabt - ist nach Meinung Köcks eine Mitteilung an den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, daß die dauernde Neutralität wegen Wegfalls der Gründe erledigt sei.

Egon Matzner, Finanzwissenschaftler an der TU-Wien und Direktor des internationalen Instituts für Management und Verwaltung in Berlin, glaubt hingegen an die weitere Funktionalität der Neutralität. Zur europäischen „Heerfahrtspflicht" als Preis für die EG-Vollmitgliedschaft sollte Österreich seiner Meinung nach „laut und vernehmlich nein sagen" (in: Zukunft 1/1992). Österreich „sollte sich zu der bereits existierenden universellen Heerfahrtspflicht, die auf militärische Aktionen beschränkt ist, die vom UNO-Sicherheitsrat beschlossen oder befürwortet werden, bekennen".

Noch ist ein europäisches Sicherheitssystem ferne Zukunftsmusik. Es existiert ja nicht einmal der Wille zu einer gemeinsamen europäischen Außenpolitik. Die Hilflosigkeit EG-Europas gegenüber Jugoslawien oder dem seinerzeitigen kommunistischen Osten zeigt, daß Vertrauen eher als rasche Veränderungen gefragt ist. Solange Instabilität diesen Kontinent kennzeichnet, sind gewisse grundlegende Haltungen von Staaten unabdingbar. Österreichs Neutralität gehört dazu. Das heißt nicht, daß mit einem neuen Sicherheitssystem nicht experimentiert werden darf und soll. Schließlich wird sich in Österreich auch die Frage stellen, ob in einem sogenannten kollektiven Sicherheitssystem nicht auch andere als militärische Beiträge zur Friedenserhaltung und -förderung notwendig sind und als solidarisches Opfer an die Staatengemeinschaft anerkannt werden müssen.

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