7060883-1991_36_03.jpg
Digital In Arbeit

Abschied von hehren Zielen

Werbung
Werbung
Werbung

Die Zeit der Euphorie in Europa ist vorbei. Mit griffigen Slogans ist nicht mehr Politik zu machen. Appelle zu Solidarität verpuffen dort, wo Opfer gefordert sind, die wehtun.

Nicht nur die Deutschen geben ein Beispiel dafür ab, wie wenig hehre Ideale und Ziele mit Realpolitik gemein haben. Wenn's um den Inhalt des eigenen Säckels geht, werden Einheit, Humanität, Freiheit, Selbstbestimmung zu nachgeordneten Begriffen.

Das katholische Italien mit seinen 57 Millionen Einwohnern konnte kurzfristig die Zahl von etwa 13.000 albanischen Flüchtlingen nicht bewältigen. Deutschland diskutiert die „Modifizierung" des Asylparagraphen im Grundrecht. In Österreich wird von allen Parteien eine Negativstimmung gegenüber der sogenannten Ausländerüberflu-tung geschürt, bei gleichzeitigem Abspulen der alten Leier vom traditionellen Asylland Österreich.

Die Konflikte im frei gewordenen Osten Europas, wirtschaftlicher, nationaler, politischer Natur, werden noch mehr Menschen als bisher zur Wanderung veranlassen. Zunächst werden sich Bedrohte absetzen, aus Jugoslawien ist diese Bewegung schon im Gange. Dabei handelt es sich natürlich um den klassischen Fall von Flüchtlingen vor Krieg und lebensbedrohender Situation. In Österreich stehen Asylwerber aus Jugoslawien mit 1.800 Personen - davon 450 allein im August - bereits an zweiter Stelle der Flüchtlingsstatistik.

Davon zu unterscheiden sind wohl jene Massen von sogenannten Wirt-schaftsflüchtlingen, die sich aus Osteuropa in den nächsten Jahren verabschieden werden. Ist Österreich, ist Europa dafür gewappnet? Kann von einem Staat - wie bei der Katastrophenvorsorge - verlangt werden, bezüglich der Migrationsbewegungen, die vorausgesehen werden, Maßnahmen zu setzen, die diese verstärken könnten?

Bisher hat Europa diese Fragen nicht nur nicht beantwortet, sondern sich noch gar nicht in dieser Deutlichkeit gestellt. Das Problem ist nur europaweit in den Griff zu bekommen. Erfreulich, daß Österreich mit einer Europaratsinitiative im Jänner dieses Jahres zur Migrationsproblematik einen ersten, wenn auch vorerst erfolglosen Schritt in die richtige Richtung gesetzt hat.

Von der Politik sind klare Vorgaben gefordert. Das Schwimmen auf vermeintlichen Volksmeinungen löst die Probleme nicht. Sonst droht aus dem Europa der verschlossenen Augen gegenüber der Not der Nachbarn und des verschlossenen Mundes gegenüber dem Unrecht in den Krisengebieten ein Europa der geschlossenen Türen zu werden.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung