6965688-1985_13_05.jpg
Digital In Arbeit

Abwägung der Interessen

19451960198020002020

In der FURCHE wird seit geraumer Zeit über die Probleme der künstlichen Zeugung von Leben berichtet. Eine Menschenrechtstagung letzte Woche in Wien drängte auf gemeinsames Vorgehen.

19451960198020002020

In der FURCHE wird seit geraumer Zeit über die Probleme der künstlichen Zeugung von Leben berichtet. Eine Menschenrechtstagung letzte Woche in Wien drängte auf gemeinsames Vorgehen.

Werbung
Werbung
Werbung

Die künstliche Zeugung ermöglicht es, der Sterilität eines Paares abzuhelfen. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage: Soll die künstliche Zeugung auf sterile Paare beschränkt werden? Sollen die Verfahren der künstlichen Zeugung nicht jedem Menschen zugänglich sein?

Als Abhilfe bei Sterilität eines Paares setzt die künstliche Zeugung die Einwilligung beider

Ehepartner oder Lebensgefährten voraus. Für den, der das Kind nur aufnimmt, ohne an der Zeugung beteiligt gewesen zu sein, ist der Sachverhalt vergleichbar mit einer vorzeitig verfügten Adoption.

Wird die künstliche Zeugung dem freien Ermessen eines erwachsenen Menschen überlassen, verleiht sie aber auch der Filiati-on (= Abstammungsrecht) eine neue Dimension.

Dieser neue Tatbestand ist angesichts der erweiterten Autonomie, die der Frau zugebilligt wird, zu prüfen. Sie kann allein entscheiden, ein Kind auszutragen und zu gebären, ohne daß ein Mann, nicht einmal der Partner einer Nacht, für die Zeugung erforderlich wäre.

Jedem Menschen die Freiheit zu lassen, Verfahren der künstlichen Zeugung zu beanspruchen, bedeutet im Grunde genommen, die Zeugungsfähigkeit der Frau zu erhöhen. Mehr noch, denn es erweist sich, daß der Mann, um zeugen zu können, zwar die Frau braucht, die Frau hingegen den

Mann nicht mehr braucht.

Die europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte widmet Artikel 2 dem Recht jedes Menschen auf Leben. Dieses Recht schützt den einzelnen gegenüber anderen, vor Gewaltanwendungen jeder Art, die sein Leben gefährden.

Soll man diesem Recht auf Leben nicht einen größeren Geltungsbereich zubilligen? Räumt es nicht auch eine Fähigkeit ein, die jeder Person zuerkannt wird? Das Recht auf Leben scheint wohl auch indirekt das Recht jedes Menschen, Leben geben zu können, sowie die Freiheit bei der Wahl der Mitteln, mit denen er Leben geben kann, zu umfassen.

Diese Freiheit zu zeugen und die hierfür erforderlichen Mittel zu wählen, kann sich auf ein anderes Grundrecht stützen, das in der europäischen Konvention verankert ist, sofern man bereit ist, diesem Recht seine volle Geltung zu geben.

Die Konvention zählt im Rang der Menschenrechte das Recht auf Privatleben (Artikel 9) auf. Hat das Recht auf Privatleben nicht noch eine tiefere Bedeutung? Sichert es nicht den Anspruch jedes Menschen, die für ihn wesentlichen Entscheidungen selber fassen zu können? Ist das Recht auf Privatleben eine Einschränkung, die gegenüber Einmischungen anderer auferlegt wird, oder eine Entscheidungsfreiheit, die jeder Person in der eingeschränkten Sphäre des Privatlebens zuerkannt wird?

Wenn man sich für die zweite Auslegung nebst der ersten entschließt, hat jeder Mensch die Fähigkeit in Bereichen, die seine Person grundlegend betreffen, insbesondere die Fortpflanzung, zu entscheiden und zu handeln.

Diese mehr im Sinn einer Freiheit als eines Schutzes gegebene Auslegung wird sicherlich auf Zurückhaltung stoßen. Tritt man nicht jeder Art von Familienpolitik entgegen, wenn man der Frau allein das Recht auf eine künstliche Befruchtung und auf das Austragen eines transplantierten Embryos zubilligt?

Wir dürfen nicht darauf vergessen, daß in unseren Gesellschaften das Kind von nur einem Elternteil allmählich einen vergleichbaren, wenn nicht gleichgestellten Status wie ein eheliches Kind erlangt hat. Sind in diesem Zusammenhang die Forderungen einer geburtenfördernden Politik geltend zu machen? Hier handelt es sich jedoch um die Freiheit.Le-ben zu geben. Sind dem die Interessen des Kindes entgegenzustellen? Die Risiken, die zum Beispiel durch eine Blutsverwandschaft entstehen können, sind durch die den für künstliche Zeugung zuständigen Stellen auferlegten Regeln leicht zu umgehen.

Wie soll eine alleinstehende Frau rechtlich geahndet werden, die ein Kind haben wollte und eine künstliche Befruchtung oder die Verpflanzung einer Eizelle durchführen ließ?

Das Recht jedes Menschen, Hilfsmittel anzuwenden, um Leben geben zu können, fällt nicht in die Zuständigkeit der richterlichen Untersuchung und Strafe. Dieses Recht zu verweigern würde bedeuten, so manchen Menschen eine Entfaltung zu untersagen, ohne daß man den Vorteil erkennen könnte, den daraus andere Menschen ziehen würden.

Kann die Entscheidungsfreiheit bei der Zeugung nicht auch für eine andere Form der Abhilfe bei Unfruchtbarkeit der Frau geltend gemacht werden: die Beihilfe einer Leihmutter? Diese Art der Beihilfe hat einen durchaus konventionellen Charakter. Die Geschichte und Anthropologie geben dafür zahlreiche Beispiele.

Befreit man diese konventionelle Form der Beihilfe von allem, was die Aktualität um sie herum schafft, stellt man fest, daß sie einer im voraus verfügten Adoption nahe steht. Die mit ihr gepaarte Forderung, die sie von einer Adoption unterscheidet, ist in der Notwendigkeit zu sehen, der Leihmutter während der Schwangerschaft und einer kurzen Frist nach der Geburt das Recht auf Reue vorzubehalten.

Verbot jedes Handels

Wäre es vernünftig zu behaupten, so eine Absprache wäre zu ahnden, die beiden Mütter und der Vater wären zu Straftätern zu machen, die sich vor dem Strafrichter zu verantworten hätten?

Wir meinen, es genügt darauf zu verweisen, daß eine solche Absprache rechtsunwirksam ist, da sie kein Handelsgeschäft ist und der Zivilrichter weder der einen noch der anderen Mutter seinen Beistand anbieten könnte.

Solche Verhaltensweisen oder Absprachen dürfen keinesfalls kommerzialisiert werden. Jede Art von Handel oder einfach einer berufsmäßigen Vermittlung im Hinblick auf eine Absprache müssen unserer Meinung nach verboten sein.

Aus der Rede des französischen Justizministers Robert Badinter zum Thema „Menschenrechte gegenüber den Fortschritten der Medizin, der Biologie und der Biochemie” bei der Menschenrechtskonferenz des Europarates am 19./20. März in Wien.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung