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Abwanderungsbremse ?

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Hilferufe der oberösterreichischen Wirtschaft in den Bezirken an der bayrischen Grenze blieben jahrelang ungehört. Als man sie endlich hörte, nahm man sie nicht ernst. Enqueten, Dokumentationen und Maßnahmenkataloge, die den unaufhaltsam scheinenden Abwanderungstrend von oberösterreichischen Arbeitskräften in DM-trächtige, blau-weiße Weißwurstzonen stoppen sollten — wobei sich Landesregierung und Handelskammer besonders engagierten —, blieben beim Bund ohne Echo und spürbare Unterstützung.

In Oberösterreich ist man daher neuerdings vor allem auf den Wiener Ballhausplatz nicht gut zu sprechen. Stereotyp ist von dort seit vielen Monaten auf alle drängenden Anfragen und Urgenzen nur eine Antwort zu hören: bitte warten, wir müssen prüfen. Geprüft soll werden, wie die Bundeshilfe beschaffen sein sollte. Das klingt zunächst verheißungsvoll und sollte optimistisch stimmen.

Nur hat das offenbar langwierige Prüfungsverfahren einen ganz entscheidenden Schönheitsfehler: Daß man nämlich in Oberösterreich eine Reihe von detaillierten Vorschlägen, mit handfesten Begründungen versehen, schon längst deponiert hat.

Zwei Zahlen charakterisieren die Entwicklung, durch die vor allem kleinere Betriebe im Grenzraum in echte Existenzschwierigkeiten kamen: 1968 arbeiteten 25.000 Österreicher in Bayern. Heute sind es weit mehr als 50.000. Gut ein Fünftel davon stammt aus Oberösterreich — vorwiegend aus dem Grenzgebiet. Das heißt, daß der Wertschöpfung im Land jährlich viele Milliarden Schilling durch die Tages- oder Wochengrenzpendler verloren gehen.

Nun richtet sich aber der Wirtschaftsgrimm nicht gegen die Arbeiter und Angestellten. Man versteht die Motivation: höhere Löhne und Gehälter, und zum Teil auch bessere Arbeitsbedingungen.

Aber der Grenzlandwirtschaft müßte auf andere Weise geholfen werden, damit sie gegenüber den lockenden Angeboten aus Bayern im Wettbewerb um die Arbeitskräfte konkurrenzfähig wird, oder den Abgang von Abwanderern durch Betriebsrationalisierung leichter verschmerzen kann.

Die Oberösterreicher haben aber nicht nur gefordert, sondern auch selbst etwas getan. Die Landesregierung gab in den letzten 26 Monaten allein rund 25 Millionen Schilling an Zinsenbeihilfen, Darlehen und Förderungszuschüssen. Damit wurde ein Investitionskapital von mehreren hundert Millionen Schilling in Bewegung gebracht. Fast 500 betriebswirtschaftliche Unternehmensberatungen führte die Handelskammer durch. Eine Informationskampagne brachte Aufklärung über die Ausschöpfung aller Möglichkeiten, die das Arbeitsmarktförderungsgesetz bietet. Aber trotz allem: die Landes-ihstanzen können die Last nicht allein tragen. Erstens ist eine finanzielle Förderungsspritze des Bundes unentbehrlich, zweitens werden auch Gesetzesänderungen notwendig.

Landeshauptmann Wenzl und Landesrat Trauner präzisierten erst in den letzten Tagen neuerlich die wichtigsten Forderungen. Demnach soll eine Rationalisierungskreditaktion für die von der Abwanderung betroffenen Gebiete neu eingeführt werden. Außerdem wird eine stärkere Einbeziehung dieser Regionen in die bestehenden öffentlichen Kreditaktionen verlangt. Die Bauförderung von Sozial- und Gemeinschaftseinrichtungen in Form von begünstigten Abschreibungssätzen (wie im Wohnungsbau) soll zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen beitragen. Mit einer Novellierung des Arbeitsmarktförderungsgesetzes wird der Mitteleinsatz für die Schaffung attraktiver Arbeitplätze angestrebt. Schließlich peilt man eine Verpflichtungserklärung des Bundes an, der bei strukturbeeinflussenden Maßnahmen auf die Grenzgebiete Rücksicht nehmen soll.

Elegant wollte nur der Bundeskanzler aus dem Zugzwang schlüpfen, indem er erklärte, die österreichische Raumordnungskommission werde einen „multidimensio-nalen Kriteriensatz“ erarbeiten, um alle Gegebenheiten im Rahmen eines gesamtösterreichischen Raumordnungskonzeptes — auch für das Innviertel — erfassen und bewerten zu können. Diese geschraubte Ausdrucksweise prangerte dann auch der Kammeramtsdirektor der Linzer Handelskammer, Vinzenz Kotzina, in einem Leitartikel der „Oö. Kammerzeitung“ heftig an. Kotzina griff dabei ein bis dahin viel zuwenig beachtetes Problem auf: „Schon beträgt die Quote der Gastarbeiter 8 Prozent der unselbständig Beschäftigten. Demnach tauschen wir laufend hochqualifizierte Fachkräfte gegen zumeist weniger gut ausgebildete Ausländer ein. Es wäre also ein sehr verhängnisvoller Weg, wenn der Bund mit seiner Hilfe solange zuwarten würde, bis jedes Detail einer noch so komplizierten Raumordnung ausgeleuchtet ist. Das ewige Prüfen darf nicht zur Psychose werden.“

Es geschehen aber dennoch Zeichen und Wunder, glaubt man in Oberösterreich. Denn jetzt, nach jüngsten Äußerungen — und nota bene wenige Monate vor der Landtagswahl — will sich der Kanzler der Probleme persönlich annehmen. Aber nicht etwa durch Kontakte mit den zuständigen Stellen im Land, sondern auf einer internationalen Veranstaltung seiner Partei. Anfang April will Bruno Kreisky — auch mit Genossen aus Bayern — in der Grenzstadt Schärding Gespräche über die schwierige Lage führen. Und dabeisein wird sicherlich auch der SPÖ-Spitzenkandidat für die öberösterreichische Landtagswahl...

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