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Abwehr der Gewalt des Bösen

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FURCHE: Warum merkt man die Botschaft des Evangeliums kaum in den kriegerischen Auseinandersetzungen in Jugoslawien?

PATRIARCH PAVLE: Für Menschen, die an Christus glauben, ist das Evangelium das einzige Heilmittel gegen jede Sünde und das Böse. Dazu gehört das Böse des Krieges, der Massenvernichtung von Menschen. Für einen Christen bedeutet jeder Mord eines anderen Menschen Brudermord, angefangen vom ersten Mord Kains an Abel. Nur, ob wir Kain oder Abel werden, ob unsere Taten gerecht oder böse sind, hängt von uns selber ab, weil Gott uns neben anderen auch die Gabe der Freiheit gegeben hat. Nach der Lehre Christi gibt es weder persönliche, noch nationale noch göttliche Interessen, die uns Christen erlauben würden, Verbrechen zu begehen. Das gilt für einzelne wie für Völker. Wir sind kaum noch dem Namen nach Christen - und daher sind die Grauen des Krieges so schrecklich sichtbar unter uns.

FURCHE: Was sind die größten Hindernisse für eine Verständigung mit der katholischen Kirche Kroatiens?

PAVLE: Auf den zwei Treffen der Delegationen der katholischen und der orthodoxen Kirche in Sremski Karlovci am 7. Mai und Slavonski Brod am 24. August dieses Jahres wandten sich beide Delegationen in ihrer Verantwortung Gott, den Menschen und dem eigenen Gewissen gegenüber an ihre Gläubigen, an die Verant wortl ichen der pol it ischen Parteien und besonders an die Machthaber, die kriegerischen Auseinandersetzungen abzubrechen und in ehrliche Verhandlungen einzutreten. Beide Seiten verurteilten die Unterdrük-kung freier, demokratischer Lebensformen und meinten, daß vom christlichen und menschlichen Standpunkt aus das Selbstbestimmungsrecht jedes Volkes unveräußerlich ist. Sie waren sich darin einig, daß nach diesen Prinzipien das kroatische Volk das Recht habe, aus Jugoslawien auszutreten. Die Unstimmigkeit entsteht erst, wenn man die Frage stellt: Hat das serbische Volk nach denselben Prinzipien, auf der Selbstbestimmung, das Recht, in Jugoslawien zu bleiben? Diese Frage bleibt ohne Antwort, wie die Stimme des einsamen „Rufers in der Wüste". Und der Krieg mit all seinen Schrecken geht weiter.

FURCHE: Was für eine Rolle spielt die serbisch-orthodoxe Kirche heute im öffentlichen Leben des Landes?

PAVLE: Unserer Kirche sind im Zweiten Weltkrieg schwere Wunden zugefügt worden. Nachdem über eine Million ihrer Gläubigen, etwa 500 Priester und Mönche und drei Bischöfe getötet worden waren, warteten nach dem Krieg weitere Bedrängnisse. Fast fünfzig Jahre wurde die Kirche von der atheistischen Macht im Lande unterdrückt und an ihrer Arbeit gehindert.

Nach dem Übergang in das Mehrparteiensystem suchten sie neuerliche Verfolgung und die Kriegsverwüstungen in Kroatien heim. Das Bemühen der Kirche um das wahrhaft Gute im Volk muß auch jetzt und immer innerhalb der Grenzen des Evangeliums Christi bleiben. Überschreitet man diese, legt man unweigerlich einen anderen Maßstab für Wahrheit und Gerechtigkeit an das eigene Volk als an das andere. Das aber würde für die Kirche heißen, daß sie ihrer göttlichen Bestimmung nicht gerecht wird. Das Volk würde dadurch seine Seele verlieren und in den Augen Gottes verfallen.

Ich glaube, daß die serbischortho-doxe Kirche bereit ist, jeden Schaden und jede Erniedrigung zu ertragen, nur das nicht.

FURCHE: Gibt es einen gerechten Krieg?

PAVLE: Ich glaube, daß es einen solchen Krieg auf Erden geben könnte, da es ihn schon im Himmel gibt. In der Apokalypse (12,7-9) lesen wir: „Daentbrannte im Himmel ein Kampf. Michael und seine Engel erhoben sich, um mit dem Drachen zu kämpfen. Der Drache und seine Engel kämpften, aber sie konnten sich nicht halten, und sie verloren ihren Platz im Himmel." Das Böse greift immer an und das Gute muß sich zur Wehr setzen. Die Abwehr also gegen die Gewalttaten des Bösen,die Verteidigung des eigenen Lebens und Friedens der Nächsten, das sind die Grenzen, die einen Krieg rechtfertigen.

Damit dieser Kampf aber wirklich der Ausdruck des Opfers aus Liebe zum Nächsten wird, muß man immer jenen Prinzipien folgen, die in unserem Volk durch zwei Worte ausgedrückt sind: Heldenhaftigkeit und Menschlichkeit. Heldenhaftigkeit bedeutet, sich gegen einen Feind zu wehren, und Menschlichkeit, den Feind vor einem selbst zu schützen. Auch gegen den Feind darf man nie unmenschlich vorgehen. Wenn er gefangengenommen wird, so ist es herzlos, ihn zu foltern oder zu massakrieren - und zwar um keinen Preis. Dort, wo man so vorgeht, gibt es weder Menschen noch Helden, dort sind Verbrecher am Werk.

Mit Patriarch Pavle sprach Renata Erich, die im Auftrag des WDR Fernsehen III für die Reihe „Gott und die Welt" gemeinsam mit dem ORF einen Beitrag über den Patriarchen und die serbisch-orthodoxe Kirche gedreht hat, der im Jänner gesendet wird.

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