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Abwehrkampf mit Todesverachtung

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Daß der Widerstand der Dollfuß-Regierung gegen den Nationalsozialismus im heutigen Österreich kaum Beachtung findet, befremdet einen bekannten deutschen Historiker geradezu. Hier Auszüge aus seinem neuen Buch, in denen er „zur Problematik versuchter Verleugnung des Widerstandes" Stellung nimmt.

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Daß der Widerstand der Dollfuß-Regierung gegen den Nationalsozialismus im heutigen Österreich kaum Beachtung findet, befremdet einen bekannten deutschen Historiker geradezu. Hier Auszüge aus seinem neuen Buch, in denen er „zur Problematik versuchter Verleugnung des Widerstandes" Stellung nimmt.

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Angesichts des sich bis in die Gegenwart für Österreich positiv auswirkenden und international gewürdigten Abwehrerfolges, den das schwache Dollfuß-System damals nicht nur für Österreich, sondern auch im Interesse der bestehenden europäischen Friedensordnung erzielen konnte, ist es nicht nur erstaunlich, sondern geradezu befremdlich, daß der Widerstand der Jahre 1933 bis 1934, der im Juliputsch seinen Höhepunkt fand, im heutigen Österreich kaum gewürdigt, ja im Gegenteil, eher geleugnet wird. Das trifft nicht für alle, jedoch für größere Teile der geschichtsbewuß-ten Öffentlichkeit zu ...

In Frankreich, Deutschland und anderen Ländern scheint man

sehr wohl dazu in der Lage zu sein, die Widerstandsleistung von Personen und Gruppen ungeachtet ihrer auch nicht immer demokratischen Orientierung in Weltanschauung und Innenpolitik unbefangen zu bewerten.

Die inhaltlich ganz anders strukturierte Demokratie der Ersten österreichischen Republik zerrüttete sich selbst, bevor sie eine

Minderheit mit Leichtigkeit und ohne Widerstand der großen außerparteilichen Öffentlichkeit außer Kraft setzen konnte. Ihr fehlten die Fundamente einer gemeinsamen Staats- und Vaterlandsbejahung ebenso wie die heutige Uberordnung der demokratischen Lebensformen über einzelne Parteiinteressen ...

Der Dollfuß-Regierung kann im geschichtlichen Rückblick der Vorwurf des Verfassungsbruchs und des aus ihrer Demokratieskepsis entstandenen Experiments einer Minderheitsdiktatur im Zeichen ständestaatlicher Ordnungsvorstellungen nicht erspart werden. Die Halbherzigkeit und Unklarheit ihrer Sondierungsversuche in Richtung auf den stärker reformistischen Flügel des sozialdemokratischen Lagers waren schwere Fehler wie auch die — selbst in ihrem eigenen Lager scharf kritisierte und inhaltlich beschämende — Rachejustiz am Ende der Februarrevolte, die in neun Todesurteilen ausartete.

All das bedarf der warnenden und kritischen Erinnerung. Aber ebenso richtig ist, daß die Führer dieser Bewegung und Zehntausende ihrer Anhänger — oft mit Todesverachtung und auch mit Todesopfern — an ihrer Spitze Dollfuß selbst — den einzigen Kampf, den es in der gesamten re-

publikanischen Geschichte

Österreichs um dessen Existenz als Staat gegeben hat, dynamisch gekämpft und letztlich gewonnen haben. Und das verdient von allen demokratischen Kräften des neuen Österreich und des freien Europa ebenso gewürdigt zu werden, wie die Fehlgriffe dieses Systems der Kritik bedürfen...

Als die Bundesregierung der großen schwarz-roten Koalition angesichts einer Viermächtebesatzung um die Anerkennung ihres Status als „freier Staat" rang, veröffentlichte sie 1946 zur Untermauerung ihres Anspruchs auf „Gerechtigkeit für Österreich" eine als Rot-Weiß-Rot-Buch bezeichnete Dokumentation, in der es unter anderem heißt:

„Da trotz aller Schwierigkeiten, trotz des ungleichen Kräfteverhältnisses zwischen Angreifer und Angegriffenem und trotz des Ausbleibens entsprechender diplomatischer und wirtschaftlicher ausländischer Unterstüt-

zung die österreichische Regierung, ihre Exekutive und die überwiegende Mehrheit des österreichischen Volkes in ihrem Widerstand gegen die nationalsozialistischen Vergewaltigungsversuche nicht erlahmte, steigerte der Nationalsozialismus seinen Terror, bis er schließlich im Juliputsch 1934 zum ersten großangelegten Angriff gegen die bestehende europäische Ordnung schritt.

Die bei der Abwehr dieses nationalsozialistischen Anschlages gefallenen österreichischen Patrioten sind die ersten Blutzeugen der freien Welt im Kampfe gegen Hitler. Der rasche Zusammenbruch des Putsches ist der Beweis, daß nicht nur die österreichische Regierung, sondern auch das österreichische Volk Hitler ablehnte ..."

Sollte man heute hinter dieses gemeinsame Bekenntnis der beiden großen Parteien der Zweiten Republik vom Jahr 1946 zurückgehen? Seine Urheber waren Zeugen und Zeitgenossen dieses auf Leben und Tod geführten Abwehrkampfes und des in ihm erstmals durchbrechenden Willens zur Erhaltung des österreichischen Staates und seiner Unabhängigkeit.

Der Autor ist Professor und Direktor des Seminars für Internationale Politik im Ge-schwister-Scholl-Institut der Universität München.

Auszug aus: HITLERS NIEDERLAGE IN ÖSTERREICH. Bewaffneter NS-Putsch, Kanzlermord und Österreichs Abwehrsieg 1934. Von Gottfried-Karl Kindermann. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 1984.280 Seiten, kart., öS 232,-.

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