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Ach, diese flinke Zeit!

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Schauen Sie sich das an—zitierte, wohl unwülkürlich, die ältere Büroleiterin den unvergeßlichen Kabarettisten Karl Farkas -, daß es sowas noch gibt.

Sie war mit dem morgendlichen Einlauf an den Schreibtisch des Herrn Regierungsrates getreten, übrigens ein wunderschönes Biedermeiermöbel, wie es einst auch Grillparzer diente, der im Büro sejne Dramen verfaßt und das ganz natürlich gefunden hatte. Mit dem Ausdruck der Verwunderung also überreicht die Dame dem Vorgesetzten die Morgenpost: was sie so erregte, war der Umstand, daß auf der Adresse eines Gesuches der Regierungsrat mit „Hochwohlgeboren" tituliert war: und nicht einmal in der abgekürzten Form „Hwg.", sondern ganz richtig ausgeschrieben. „Heutzutage schreiben's doch bestenfalls „S. g." drauf."

„Na, und?" erwiderte der Regierungsrat, „bin ich vielleicht hoch-wohl geboren? Ich kann mich jedenfalls nicht daran erinnern."

„Freilich, Sie sind eben von der jungen Generation", bemerkte die Büroleiterin, „Ich aber habe in meinen ersten Dienstjahren brav lernen müssen, wie man die Parteien anschreibt. Wir haben damals überhaupt mehr Respekt vor ihnen gehabt. Der Schneider, der war .wohlgeboren' die besseren Leute bis zum Baron hinauf waren .hochwohlgeboren', dann kam der Graf, der war einfach .hochgeboren', es folgten .Erlaucht', .Durchlaucht', endlich .Kaiserliche Hoheit' - aber an Erzherzöge haben wir ohnehin kaum geschrieben. Hätte ich da einen Fehler gemacht, wäre mir der Chef ordentlich gekommen.

Der junge Regierungsrat hörte sich den Erguß mit mäßigem Interesse an, tempora mutantur, dachte er, unser System ist doch zielführender, wir lassen ja auch den Adel weg, bei uns ist der Herzog von Ratibor eben der Herr Ra-tibor. Der offenbar hochwohlge-borene Grillparzer allerdings hatte es in anderer Hinsicht leichter; er konnte im Amt dichten, das soll man einmal bei uns probieren!

Darüber läßt sich gewiß noch manches sagen. Die größere Höflichkeit war angenehm für den, dem sie widerfuhr; aber für den Beamten ist sie wohl lästig, weshalb es leicht vorkommen kann, daß sie durch fröhlichen Witz ersetzt wird. Wenn ein Fahrgast in der Straßenbahn zu spät bemerkt, daß er aussteigen muß, hilft ihm der Schaffner mit dem Zuruf „Haben's g'schlafen?" auf die Sprünge.

Ahnliche kameradschaftliche Herztöne kann auch der Autofahrer vernehmen, der ein ungünstig postiertes Rotlicht übersehen hat. Was würde eine Büroangestellte sagen, wenn der Chef verlangt, daß sie an seine Kunden mit „Hochwohlgeboren" adressiert — was ja nun schon deswegen falsch wäre, weil man seinerzeit wohl und hochwohl geboren sein konnte, aber niemand eigentlich geboren war.

„Geb. Herrn Franz Szinlinski'", das konnte man selbst dem Straßenkehrer nicht zumuten, geboren war keiner, aber alle wohl oder hochwohl. Sollte das heute gelegentlich vorkommende „S.g." am Ende „Sehr geborener" bedeuten? Das wäre eine echte Remedur. Dieses „S.g.", eher ärgerlich anzusehen, hat den Vorteil der Geschlechtslosigkeit, ist also einfacher anzuwenden, als die früheren Titulaturen, die ja korrekterweise mit „S" = „Seiner" und „I" = „Ihrer" ausgestattet sein mußten, „S" für den hochwohlgebore-nen Herrn, „I" für die Dame. Sehr kompliziert, fürwahr. Das alles gibt es jetzt nicht mehr. Aber es leben noch Mitbürger, die sich daran erinnern, woraus zu schließen ist, daß die Schreibweise nicht gar zu lange zurückliegen kann.

Damals, in den alten Zeiten, fragte man auch „Ist sie eine geborene?", wenn man wissen wollte, ob eine Ehefrau als Mädchen von Adel gewesen war. Heute, wo nach neuester Gesetzeslage ein Ehemann den alten Namen seiner Ehegefährtin annehmen kann, müßte man umgekehrt fragen: „Ist er ein Nicht-Geborener?". So ändern sich die Bräuche in wenigen Jahrzehnten, es gibt keine hoch, wohl, oder sonst Geborenen mehr, nichtsdestoweniger sind aber alle geboren. Oder nicht?

In was für einer flinken Zeit wir leben, das läßt sich auch an anderen kleinen Dingen ablesen. Versuche einer doch einmal, eine Löschwiege zu kaufen, jenes praktische Utensil, das den Streusand abgelöst hat. Fehlanzeige in mindestens sechs Geschäften, man schreibt nicht mehr mit der Feder, sondern mit dem Kugelschreiber. Aus, Punktum, Streusand. Punktum, Löschwiege. Nein, Punktum.

Unabdingbar war auch einst der Spazierstock, der Nachkomme des eleganten Degens, der, wurde er florettmäßig, nicht als Prügel, verwendet, eine brauchbare Waffe war. Nun schön, dafür hat die fortschrittliche Zeit andere, vielleicht ein wenig vulgäre Vorteile auf Lager. Jedermann kann sich zum Schweinskarree eine Mahler-Symphonie anhören, die soeben von Bernstein in New York dirigiert wird.

Viel Altes ist gefallen und viel Neues ist gekommen. Wir haben alle zwei bis drei Leben mitgemacht und leben vermutlich deswegen auch länger als unsere Vorväter. „Und besser", werden junge Menschen sagen, keine Umstände, her mit dem Vergnügen,— welches sich aber, das sagen wieder die andern, merkwürdig verdünnt hat.

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