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Acht Grundregeln für die journalistische Praxis

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Kirchliches Lehramt und Moraltheologen haben immer wieder darauf hingewiesen, daß sowohl hinsichtlich der publizierten Inhalte wie auch hinsichtlich der Sammlung und Präsentation von Meldungen „die ethischen Grundsätze sowie die Rechte und Würde des Menschen beachtet werden" müßten („Inter mirifica") und daß es Aufgabe auch der Kommunikationsmittel sei, „den sittlichen Normen Geltung zu verschaffen" („Communiö et progres-sio").

Uber diese Allgemeinplätze hinaus sind konkrete inhaltliche Normen eher selten zu finden. Solche generellen Hinweise sind aber für die täglich anstehenden Entscheidungen wenig hilfreich.

In konkreten Sachfragen ist Güterabwägung notwendig. Aus einer solchen Vorgangsweise muß sich noch lange keine utilitaristische Nachgiebigkeitsethik ergeben. Güterabwägung ist wegen der begrenzten Möglichkeiten des Menschen in den Bereichen seines Handelns unausweichlich und führt zu Vorzugsregeln, die heute meist Normen genannt werden.

Im folgenden werden einige Normen für die journalistische Praxis formuliert:

1. Maßnahmen, die den Konsumenten der sozialen Kommunikationsmittel aktivieren (z. B. zur Meinungsäußerung, zum eigenen Nachdenken, zur Uberprüfung seiner bisherigen Meinungen und Vorurteile anregen) ist vor Maßnahmen, die den Empfänger in der Rolle eines passiven Konsumenten halten wollen, der Vorzug zu geben.

Daraus folgt, daß der Journalist manchmal auch den Mut haben muß, gegen eine Mehrheit in der Bevölkerung zu schreiben. Niveau ist Vorrang vor Effekthascherei.

2. Im Gefälle der Nachrichtenvermittlung liegt es, daß bei einer Auswahl fast automatisch jene Meldungen zum Zug kommen, die Neuigkeitswert be-

sitzen und eine Veränderung des Bestehenden zum Gegenstand haben. Diese Benachteiligung der Kontinuität zugunsten der Diskontinuität führt zu einem verzerrten Bild der gesellschaftlichen Wirklichkeit.

Die Vorzugsregel kann zumindest negativ formuliert werden: Den Momenten der Diskontinuität darf kein solcher Vorrang vor den Momenten der Kontinuität eingeräumt werden, daß die Wirklichkeit des Bleibenden zu kurz kommt.

3. Kontraversen lassen sich in den Medien leichter vermarkten als Harmonie. So entsteht der Eindruck, daß sehr viel mehr umstritten ist, als dies tatsächlich der Fall ist.

Vorzugsregel: Der Übereinstimmung in grundlegenden Dingen ist vor der Demonstration der Uneinigkeit der Vorrang einzuräumen.

4. Ein großer Teil der Meldungen sind sogenannte Negativmeldungen: Skandale, Unfälle, Katastrophen, Verbrechen usw. Die Vorzugsregel kann wieder nur negativ formuliert werden.

Es ist darauf zu achten, daß den Negativmeldungen nicht ein so großer Vorrang eingeräumt wird, daß in der öffentlichen Meinung all das, was gelingt, als bedeutungslos erscheint. Daraus ergibt sich für den Journalisten die Forderung, vermehrt Modelle sozialen Gelingens aufzuspüren und darüber zu berichten.

5. Das sittliche Gut der Gewissensfreiheit und kritischen Selbstverantwortlichkeit der Person hat Vorrang vor sämtlichen anderen Gütern, zu denen man den Empfänger führen wollte. Zum Guten kann man einen Menschen nicht zwingen, also in keiner Weise manipulieren wollen. Die Gewissensfreiheit der Journalisten ist mit allen Mitteln zu schützen.

Eine Voraussetzung dafür, daß im Empfänger das kritische Bewußtsein wachgehalten wird, ist die Trennung von Nachricht und Kommentar. Auch

Nachrichten sind durch die Auswahl und unvermeidliche Eigenart der Präsentation nicht rein objektiv. Berichtet werden ja nicht Fakten, sondern Berichte über Fakten. Der Grund für die dennoch zu fordernde Trennung liegt darin, daß die unausweichliche Subjektivität in der Nachrichtenvermittlung durch diese Trennung einigermaßen transparent gemacht werden kann.

6. Die Forderung nach Objektivität bedeutet zunächst, daß Informationen überprüft werden sollen, ehe sie in den Kommunikationsprozeß eingehen. In dieser Forderung klingt aber auch der Wunsch nach einer möglichst gefühls-und wertungsfreien Sprache sowie nach einer Uberprüfung der Gesichtspunkte mit, unter denen Nachrichten ausgewählt oder verworfen werden, mit einem Wort: der Wunsch nach Neutralität.

Die gewissenhafte Handhabung der eingestandenen Subjektivität hat Vorrang vor dem Versuch, „reine" Objektivität vorzuspiegeln.

7. Die Abwägung zwischen einer „Informationspflicht" und den voraussehbaren negativen Folgen in der Öffentlichkeit ist vom Kommunikator zu leisten. Je größer die voraussehbare Wirkung, desto gewichtiger muß der Grund dafür sein, die Meldung dennoch zu bringen.

8. Der Schutz der Privatsphäre des Bürgers hat Vorrang vor dem Informationsbedürfnis. Das Gemeinwohl aber hat Vorrang, soweit zu dessen Schutz die Offenlegung eines „Geheimnisses" aus dem Privatleben wirklich nötig ist. Das personale Geheimnis, durch dessen Offenlegung die Identität und Würde eines Menschen gefährdet sind, darf niemals angetastet werden.

(Der A utor ist Universitätsassistent am Institut für Moraltheologie der Universität Wien.)

(Auszug aus: ETHIK DER MASSENKOMMUNIKATION. Von Günter Virt, in: Theologisch-praktische Quartalsschrift 1/1980. Sonderdruck der Katholischen Medienakademie).

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