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Digital In Arbeit

Acht Stunden in der Woche

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In einem Beitrag in der FURCHE 44/1987 fragte sich Herbert Kohlmaier, wie die Propagierung von Wochenarbeitszeitverkürzung mit der Zukunftsperspektive eines höheren Pensionsalters zusammengehen könne.

Zugegeben: So nebeneinandergestellt, könnte beides bei Menschen, die nur oberflächlich an die Dinge herangehen, den Eindruck erwecken, es gebe eine Art „Strudelteig-Prinzip“ (Kohlmaier) für die Verteilung der Arbeit. Aber bei jedem genaueren Blick auf die wirtschaftlichen, demographischen und arbeitsmarktpolitischen Entwicklungen und ihrer sozialen Implikationen wird deutlich, daß es sich nicht um ein fixes Quantum gesellschaftlicher Arbeit handelt, das zugleich durch Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit reduziert und durch Verlängerung der Lebensarbeitszeit - womöglich um die genau gleiche Menge - verlängert werden soll.

Beide Maßnahmen setzen nämlich erstens zu völlig verschiedenen Zeitpunkten ein und ergeben zweitens nicht die Summe Null: Verkürzung der Wochenarbeitszeit und Verlängerung der Lebensarbeitszeit sind kein Null-Summenspiel.

Die Forderung nach einer möglichst raschen Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit (auf zunächst 35 Stunden) bezieht sich auf die Gegenwart und auf die unmittelbare Zukunft, und zwar unter den Aussichten einer - nach allen Prognosen — sich weiter verschlechternden Arbeitsmarktlage und gedämpfter Konjunkturerwartungen.

Das bedeutet, daß eine Verkürzung der wöchentüchen Arbeitszeit auf 35 Stunden, solange die Arbeitsmarktsituation so angespannt ist wie jetzt, eine beschäftigungspolitisch geradezu zwingende Maßnahme darstellt.

Die Möglichkeit einer Anhebung des gesetzlichen Pensionsalters bezieht sich, im Gegensatz zur Frage der 35-Stunden-Woche, auf einen viel späteren Zeitraum, nämlich auf die Jahre um die oder erst nach der Jahrtausendwende (und damit auf eine Zeit, für die sich der jetzt amtierende Sozialminister, einer schlechten österreichischen Tradition folgend, gar nicht den Kopf zerbrechen müßte).

Es wäre vermutlich eher kontraproduktiv, ausschließlich aus Überlegungen der Absicherung der Pensionsfinanzierung eine generelle Anhebung des Pensionsalters zu überlegen; zudem könnte eine ausreichende Finanzierung ohne merkliche Anhebung der Beitragsgrundlagen gar nicht gewährleistet werden. Eine deutliche Entlastung des Arbeitsmarktes ist — im Zusammenhang mit der gestiegenen und voraussichtlich weiter steigenden Lebenserwartung — eine Grundvoraussetzung für eine Anhebung des Pensionsalters.

Es ist eine Frage gesellschaftlicher Prioritätensetzung, heute die Arbeitslosigkeit - auch durch Arbeitszeitverkürzung - zu bekämpfen und für veränderte Bedingungen für die Zeit um die Jahrtausendwende die Möglichkeit eines längeren Arbeitslebens zu diskutieren. Solange die einen aus dem Arbeitsprozeß ausgeschlössen bleiben, wäre es ein sozial- und gesellschaftspolitisches Unding, die anderen möglichst lang im Arbeitsprozeß zu halten.

Es wäre besser, rechtzeitig umzudenken und die Bewältigung der Zukunft politisch vorzubereiten, als sich erst unter dem Druck der Ereignisse zu unvermeidlichen Maßnahmen zu bequemen. Wahrscheinlich müssen wir noch viel radikaler umdenken, als wir uns das vorstellen können. Vermutlich werden kommende Generationen viel länger - also bis in ein höheres Alter — viel kürzer — also kürzer pro Woche — arbeiten.

Der den FURCHE-Lesern gewiß bekannte Nestor der katholischen Soziallehre, Oswald Nell-Breuning, hat vor kurzem in einem Interview erklärt, zur Dek-kung unserer Bedürfnisse reichte eine wöchentliche Arbeitszeit von acht Stunden aus. Der Tag, an dem die Arbeitszeitverkürzung dieses Ziel erreicht, ist aber wohl noch weit...

Der Autor ist Bundesminister für Soziale Verwaltung.

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