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Achtung: Gentechnik!

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Zwei österreichische Journalisten kommen in ihren populärwissenschaftlichen Büchern über das Problemfeld Gentechnologie zu dem Schluß, daß die komplizierte Materie von den Regierenden längst gesetzgeberisches Interesse verdient hätte. Denn sowohl Alfred Worm als auch Wolfgang Hingst zeigen neben den biochemischen Grundlagen und den kommerziellen Interessen auch die apokalyptischen Folgen der

Gentechnik auf: biochemische Waffen, eine neue Eugenik, Menschenversuche et cetera. Das deutlich umfangreichere Hingst-Buch “Zeitbombe Gentechnik“ berichtet unter anderem von genmanipulativ gezüchteten Pilzen, die auf eine bestimmte (Monokultur-)Pflanze spezialisiert sind und im Feindesland Hungersnöte auslösen sollen.

Beim Thema Eugenik, der sogenannten “Erbhygienik“, weisen beide Publizisten auf die Parallelen zur (überwunden geglaubten) nationalsozialistischen Ideologie hin, die den gängigen Begriff des “lebensunwerten Lebens“ (für Juden, Behinderte, politische Gegner, Zigeuner und Prostituierte) geprägt hat.

Die gentechnische Eugenik setzt in einem frühen Zellteilungsstadium am Ein Embryo wird zu zwei genetisch identen Zwillingen zerteilt. Einer der beiden wird so lange tiefgefroren, bis der genetische Code seines Geschwisters untersucht ist.

“Stellt sich heraus, daß keine Erbschäden vorliegen, wird der tiefgefrorene Embryo aufgetaut und in die Gebärmutter eingesetzt.“

Was Wolfgang Hingst nicht schreibt: Selbst in diesem günstigen Fall kostet der sogenannte genetische Fingerabdruck den untersuchten Ungeborenen das Leben…

Zu den wesentlichen Verfahren der Gentechnik zählt die Fusion von zwei Zellen mit doppeltem Chromosomensatz. (Chromosomen tragen Erbinformationen. Im Kern einer menschlichen Zelle befinden sich 46.) Mit der Zellfusion können die Artgrenzen übersprungen und neue Lebewesen für die Landwirtschaft gezüchtet werden. Bei verwandten Arten geht dies relativ leicht, Mensch-Maus-Bastarde überlebten nur einige Zellteilungen.

Wie hat ein Forscher eigentlich die Möglichkeit, menschliche Embryonen zu manipulieren?

Die In-vitro-Fertilisation (Vereinigung von Ei- und Samenzelle außerhalb des Organismus; IVF) gibt dem Menschen den Menschen in die Hand. Ein Retortenbaby gelingt eher, wenn gleich mehrere weibliche Eizellen mit männlichem Sperma zusammengebracht werden Jene Embryonen, die, weil “überflüssig“,

nicht eingepflanzt werden, kommen bei minus 196 Grad Celsius in flüssigen Stickstoff und sind so für den Forscher lange Zeit verfügbar

Wolfgang Hingst listet auch die Nachteile der IVF auf: psychischer Druck für die Frau, Beckenentzündung, Eileiter- und Mehrlingsschwangerschaft. Dabei können für die Kinder Gehirnschäden entstehen. Ärzte gehen dazu über, “überzählige“ unerwünschte und nicht bestellte Mehrlinge im Mutterleib umzubringen: “durch Injektion von Herzgift in die Brust des Embryos oder von Fibrinkleber mitten ins Herz“.

IVF und Gentechnik sind siamesische Zwillinge, weil erstere letztere möglich macht. Wolfgang Hingst erwähnt auch, daß die Pharmaindustrie die Reproduktionstechnik sponsert. Die In-vitro-Fertilisation sei das “Einfallstor“ für Embryo- Experimente, für Menschenzüchtung und für den Versuch, Mischwesen zu schaffen. Die von Exminister Heinz Fischers “Expertenkommission“ 1987 vorgeschlagene 14tägige Frist für Menschenversuche bezeichnet der Buchautorfolgerichtig als “willkürliche Grenze“.

Der Trend, Embryonen als menschliche Ersatzteillager zu züchten, die angestrebte Kontrolle der menschlichen Evolution und die genmanipulative “Korrektur“ von Embryonen zeigen laut Wolfgang Hingst, daß das österreichische Wissenschaftsministerium die Entwicklung auf juristischem Gebiet auch weiterhin “verschläft“.

Eingesetzten Viren und eigens gezüchteten Bakterienstämme können - besonders wenn sie aus dem Labor gelangen - gefährlich werden. Um das unbekannte Risiko abschätzen zu können, muß man es eingehen, folgern die Befürworter von Freilandversuchen. Diese werden seit Jahren von einem eigenen EG-Programm finanziert. Die wichtigsten negativen Folgen, die die Freilandversuche gefährlich machen:

•Nicht-Rückholbarkeit von genmanipulierten Organismen, •gestörte Ökosysteme, •zusätzliche Nitratbelastung des Grundwassers durch stickstoff-fi- xierende Bakterien.

Zu diesen biologischen Gefahren gesellen sich Konkurrenzdruck, menschlicher Ehrgeiz und die Gewöhnung an die Gefahr.

Demgegenüber stehen mit der Gentechnik verbundene Hoffnun gen: Aids-Impfung, Krebsbekämpfung und genetische Reparatur Letztere erscheint dem Ingenieur Alfred Worm ethisch vertretbar Er räumt allerdings ein, daß die Gentechnologie es auch ermöglicht, gesunde Erbträger durch defekte zu ersetzen. Wolfgang Hingst hingegen schließt sich den pessimistischen Fachleuten an: Gentechnisch hergestellte Interferone haben erst bei seltenen Krebsarten Erfolge gezeigt, auch ein Aids-Impfstoff ist nicht in Sicht.

Zur kapitalintensiven Gentechnik-Branche formuliert der österreichische Publizist in seinem für jedermann lesbaren und lesenswerten Buch folgende (juristische) Forderungen: absolutes Verbot der Reproduktionstechnologien, keine Geheimhaltung oder Täuschung der betroffenen Öffentlichkeit, Stop für Freilandversuche und keine “Umschöpfung“ der Natur. Dennoch tritt Wolfgang Hingst für die gentechnische Herstellung von Heil- und Impfstoffen nach strenger öffentlicher Prüfung ein, wenn diese nicht anders erzeugt werden können. Die molekularbiologische Krebsursa- chen-Forschung soll nicht verboten werden; der Buchautor fordert aber (ähnlich wie Alfred Worm) strenge Gesetze und Sicherheitsauflagen: “Die derzeit herrschende Anarchie ist völlig untragbar “

ZEITBOMBE GENTECHNIK. Von Wolfgang Hingst Orac Verlag, Wien 1988. 264 Seiten

GENTECHNIK. Von Alfred Worm. hpt-Verlag. Wien 1988.124 Seiten (kurz & bündig)

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