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Achtung, Monolith!

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Österreich hat seine Erfahrungen mit den Grand Old Men, und ist im Begriff, weitere zu machen. Bundeskanzler Kreisky ist in eine Eskalation von Äußerungen geraten, an deren Beginn wohl mehr emotionelle Reaktionen als politische Notwendigkeiten standen und in der er sich selbst ohne ersichtlichen, jedenfalls ohne schwerwiegenden Grund zu immer absurderen Fehlleistungen treibt.

Dabei finden die Äußerungen von Bruno Kreisky die Beachtung, die sie durchaus verdienen. Auch international, wobei das Weltecho zusehends negativer wird. Doch die mindestens ebenso wichtige Frage, wie denn nun eigentlich Österreichs Sozialistische Partei, soweit sie nicht mit ihrem Vorsitzenden identisch ist, zu dem steht, was er sagt, wurde bisher vernachlässigt. Die vorherrschende Reaktion ist Schweigen. Bei vielen sozialistischen Intellektuellen: ein peinlich berührtes Schweigen.

Denn die Äußerungen ihres Vorsitzenden wenden sich frontal gegen vieles, was sie bisher vertreten, woran sie geglaubt, wofür sie gekämpft haben. Ihr nunmehriges Schweigen zu Äußerungen des Kanzlers, die vielen, sehr vielen Sozialisten, so, wie man sie kennt, zutiefst unbehaglich und unsympathisch sein müssen, ist ein starkes Indiz dafür, daß in der Sozialistischen Partei eine Fehlentwicklung eingerissen ist, der einst auch die Volkspäftei zum Opfer gefallen ist.

Kreisky ist gewiß kein Big Boß, der alles selber macht. Fürs Budget, für die Wirtschafts-, Sozial-, Kulturpolitik hat er seine Minister, aber über bestimmte Dinge redet Kreisky allein. Da hat ihm niemand ins Handwerk zu pfuschen. Zufällig handelt es sich dabei um jene Probleme, über die in der sozialistischen Bewegung einstmals die temperamentvollsten, engagiertesten, fruchtbarsten Diskussionen stattgefunden haben. Wo sind diese Diskussionen über Richtungsfragen und über Fragen von ideologischer Bedeutung geblieben? Sie wären heute um so wichtiger angesichts der Tatsache, daß solche Fragestellungen ja keineswegs einfach verdrängt werden, sondern daß der Parteivorsitzende im Alleingang sehr wohl sehr handfeste Ansichten zu bestimmten Problemen zum besten gibt.

Ein tiefes Unbehagen vieler Sozialisten über die Möglichkeit einer kleinen Koalition mit der von ihnen noch immer braun gesehenen FPÖ, zum Beispiel, kann vor der Wahl der Parteiführung nicht verborgen geblieben sein. Sie konnten nur warten, was geschehen würde, und allenfalls mit dem Gedanken an den Austritt oder an das Zurücklegen ihrer Positionen spielen.

Auch in der Causa Wiesenthal teilen beileibe nicht alle Sozialisten, und schon gar nicht die Intellektuellen, des Kanzlers Emotionen. Kreisky verhielt sich in dieser Frage wie ein Reiter über den Bodensee, der nach seiner Rettung noch einmal aufs Eis geht und dort vor Zorn recht fest aufstampft. Viele, und vor allem viele der besten Sozialisten hätten es, vom Wahlausgang vor der Kleinen Koalition bewahrt, viel lieber gehabt, wenn der FPÖ die Konfrontation mit der Vergangenheit ihres Vorsitzenden überlassen worden wäre. Da die Kleine Koalition nicht stattfand, sahen sie wenig Grund, einen Konflikt zwischen Wiesenthal und Peter, Wiesenthal und der FPÖ, zu einem Konflikt zwischen Wiesenthal und Kreisky zu machen.

Der nächste und ideologisch sicher schwerwiegendste Anlaß für eine intellektuelle Diskussion innerhalb der SPÖ ist bereits gegeben. Denn Kreiskys Interview-Äußerungen über Volk und Staat würden es verdienen, gründlich auf ihre Konsequenzen hin untersucht zu werden. Kreisky bekennt sich zur „französischen Idee, wonach Volk und Staat eins sind“, begründet damit seine Erklärung, daß es kein jüdisches Volk gebe, und sagt: „Seitdem es den Staat Israel gibt, gibt es natürlich auch das israelische Volk. Einen Staat ohne Volk kann es nicht geben.“

Kreiskys Gedankengängen über die Juden zufolge aber auch kein Volk ohne einen Staat. Leugnet er also die Möglichkeit von Vielvölkerstaaten, von der alten österreichischen Monarchie über Spanien (sind die Basken kein Volk?) bis zur Sowjetunion? Dann war also Österreich zwischen 1938 und 1945 kein Volk? Dann steht den Slowenen in Kärnten kein Volkscharakter zu? Was, wenn kein Volk, waren, wenn es gestattet ist, zu fragen, eigentlich die Polen in der langen Zeit ihrer staatlichen Nichtexistenz? Die Juden ohne Israel, Kreisky zufolge, also kein Volk, aber wie verhält es sich mit den Palästinensern, die keinen Staat haben, denen er aber das Recht auf einen Staat zuspricht? Gilt für sie demnach etwas anderes als für die Juden vor der Gründung des Staates Israel?

Das scheinen uns denn doch Fragen zu sein, die auch für Österreich zu wichtig sind, um nach dem dummen alten Schema des mechanischen Ja- und Neinsagens nach Parteibuch behandelt und ad acta gelegt zu werden. Es sind Fragen, die Sozialisten mit dem Sozialisten Bruno Kreisky ausdiskutieren müssen, wenn die SPÖ eine demokratische Partei ist und kein ideologischer Monolith. Und die Opposition wäre schlecht beraten, würde sie triumphieren, so es zu dieser Diskussion kommt.

Kreisky selbst hat hier Diskussionsstoffe geliefert, die sich keineswegs völlig in das hergebrachte Schema der Richtungsstreitigkeiten zwischen linken und rechten Parteiflügeln fügen. Und nie zuvor seit 1945 hat sich die SPÖ das Diskutieren von Prinzipienfragen so sehr leisten können wie jetzt, nach drei Wahlsiegen und am Beginn einer Legislaturperiode. Das Stattfinden einer solchen Diskussion wäre geeignet, die demokratischen Strukturen in der SPÖ wieder stärker zum Tragen zu bringen. Das Nichtstatt-finden aber wäre ein großer Schritt zum monolithischen Koloß, der gedankenlos nachbetet, was dem Big Boß einfällt. Und eine Absage an den politischen Intellekt.

Viele Parteien in vielen Ländern haben erlebt, was solchen Big-Boß-Perioden folgt. Nämlich der gleichzeitige Ausbruch aller zurückgedämmten Sachdiskussionen — und der Personenkämpfe um die Führung. Damit die unheilvolle Personalisierung aller Sachfragen. In demokratischen Parteien hat die Machtübergabe an designierte Kronprinzen nämlich noch selten funktioniert.

Vor allem aber: Bruno Kreisky hat Behauptungen in den Raum gestellt, die man bejahen oder verneinen muß und die man keineswegs schweigend übergehen kann. Opportunismus mag der SPÖ in den letzten Wahlgängen viel Zulauf gebracht haben. Aber Oportunismus ist das Letzte, was man von ihren Kernschichten erwartet.

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