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Adams Befreiung

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Wir sind gewohnt, als Oster-bild den auferstandenen Christus zu sehen mit weißem oder rotem Gewand, einer Kreuzfahne und Strahlenkranz, oft in Verbindung mit dem leeren Grab und den dort schlafenden Wächtern, oft aber auch isoliert, sogar als plastische Einzelfigur. Das heißt, daß im westlichen Bereich Ostern mit der Auferstehung aus dem Grabe gleichgestellt wird.

Strenggenommen erfaßt

Ostern, das älteste und ursprüngliche Hauptfest des Christentums — denn alle anderen Christusfeste, vor allem Weihnachten, sind ja spätere Konstruktionen — drei große Momente: der erste ist der Tod am Kreuz, die eigentliche Erlösungstat, das Opfer; der zweite, eigentlich dritte, ist die Auferstehung von den Toten aus dem Grab und die glorreiche, mächtige Erscheinung Gottes vor der Welt. Dazwischen aber Hegt noch ein Moment, der im Glaubensbekenntnis „abgestiegen in das Reich des Todes" (früher: „in die Hölle") genannt wird. Dieser Moment ist es, den die Kirchen des Ostens schon sehr früh als den wesentlichen bildhaft herausgriffen, nämlich im Bild der „Anasta- it sis .

Das Anastasisbild baut auf biblischen und apokryphen Texten, sowie auf Quellen aus der altchristlichen Literatur auf. Entscheidend unter den biblischen Stellen ist jene bei Matthäus (27/ 51), wo nach dem Kreuzestod geschildert wird wie der Vorhang im Tempel zerriß, „die Erde erbebte und die Felsen spalteten sich, die Gräber öffneten sich und viele Leiber der entschlafenen Heiligen wurden auferweckt". Herangezogen wird weiter die Stelle Matth. 12/40: „Denn wie Jonas drei Tage und drei Nächte im Bauch des Seeungeheuers war, so wird der Menschensohn drei Tage und drei Nächte im Herzen der Erde sein". Auch im 1. Petrusbrief (3/19) wird darauf hingewiesen.

Das apokryphe Nikodemus-Evangelium des 4. Jahrhunderts gibt eine sehr legendenhafte und genaue Beschreibung des Vorganges, als plötzlich der Felsen der Vorhölle sich öffnete, Licht hereinstrahlte und der Erlöser erschien. Er streckte seine rechte Hand aus, ergriff den Urvater Adam und richtete ihn auf. „Dann wandte er sich auch zu den übrigen und sprach: Her zu mir alle, die ihr durch das Holz, nach dem dieser griff, sterben mußtet! Denn seht, ich erwecke euch alle wieder durch das Holz des Kreuzes. Darauf ließ er sie alle hinaus."

All diese Überlegungen wurden in der Theologie der Ostkirche — etwa bei Epiphanius (4. Jhdt.), Johannes Damascenus (8. Jhdt.) oder Cyrillus von Jerusalem und anderen — genau ausgeführt, wobei stets entscheidend ist, daß die eigentliche Erlösung nicht so sehr durch das Opfer und die glorreiche Auferstehung aus dem Grabe, als durch das Aufbrechen des Höllentores, die Fesselung Satans und die Heraufführung Adams, mit ihm Evas und der Gerechten der Vorzeit, vollzogen wurde.

Dieser Moment ist zum kraftvollen Bild geworden, zum eigentlichen Triumph Christi, wie er, ähnlich einem antiken Heros auf dem zusammengekrümmten Hades steht und Adam am Arm faßt, um ihn ins Licht zu stellen. So heißt es im Osterkanon der Ostkirche von Johannes Damascenus: „Heute ist die Erlösung der Welt, denn auferstanden ist Christus der Allmächtige; als die in den Banden des Hades Gehaltenen deine unermeßliche Barmherzigkeit erblickten, da eilten sie zum Lichte, Christus, dem ewigen Pascha, entgegen".

Das Bild dieses Abstieges in das Reich der Finsternis und das „Hinaufstellen" Adams und der Gerechten der Vorzeit wird bereits im Laufe des ersten Jahrtausends zu einer der wichtigsten und bedeutendsten Darstellungen im Rahmen der orthodoxen Kirchen.

Wie bei allen Bildern des Ostens wurde auch für dieses Thema im

Malerbuch vom Berge Athos eine strenge Ikonographie festgelegt:

In ein zerklüftetes Gebirge zu einer aufgebrochenen Felsenhöhle steigt der strahlende Christus hinab und zieht Adam aus dem Abgrund nach oben. In der Höhle sieht man die Trümmer des zerbrochenen Tores und den besiegten Satan. Zur Linken und Rechten der Hauptgruppe stehen einige der nun Erlösten, wie Eva, Noah, David und Salomon und oft noch mehrere Gestalten des Alten Bundes.

Im Laufe der byzantinischen und postbyzantinischen Zeit wurde das Bild noch weiter ausgeschmückt und durch weitere Figuren bereichert; der Tenor aber bleibt immer der gleiche, es ist der höchste Triumph Christi, die Besiegung des Satans, die Öffnung der Hölle und die Befreiung des Ersterschaffenen von einer großen Schuld.

Es gibt keine sieghaftere Darstellung Christi, als diese, die eine besonders monumentale Form an der Spitze des großen Weltgerichtsmosaiks des Domes von Torcello erhielt. Dort taucht zum ersten Mal die Verbindung des Erlösungsbildes mit dem Jüngsten Gericht und der Wiederkunft Christi auf, die darum in späteren Ikonen, wie etwa in der hier abgebildeten, eine großartige theologisch fundierte Form fand.

In der Mitte des Bildes steht Christus im Strahlenkranz auf dem Grab, dem er eben entsteigt. Darunter steht er in gleicher Gestalt in der Unterwelt auf dem zerbrochenen Höllentor und reicht Adam die Hand. Ein großer Strom Befreiter steigt von hier aus, von Christus gewiesen, steil hinauf nach rechts oben zum Himmelstor, an dem sie der gute Schacher der Kreuzigung empfängt. Im Paradies warten bereits Enoch und Elias.

Unter dem Titel „Auferstehung unseres Herrn Jesus Christus" ist in der Mittelachse des Bildes die „theologisch" konzipierte Szene verbunden mit der historischen, im Evangelium festgelegten Szene der Auferstehung aus dem Grabe. Dazu kommt weiterhin im breiten Streifen des Zuges der Befreiten die Aufnahme der Beschreibung aus dem apokryphen Nikodemus-Evangelium. Dort wird der Empfang im Paradies durch Enoch und Elias sowie durch den guten Schacher geschildert.

Als Kontrapost zu diesem aufwärtsgerichteten Zug ziehen in der linken Bildhälfte drei Engel in den Abgrund, um auf Befehl Christi, zusammen mit Michael, den Teufel zu binden. In die großartige Gegenbewegung, die die Erlösung bedeutet, sind dicht kleine Szenen aus der Zeit nach der Auferstehung eingefügt: rechts unten die Erscheinung des Auferstandenen am See Geneza-reth mit Petrus, oben, gleich neben der Himmelstür, die Geschichte von Emmaus. Auf der Unken Seite in der Mitte die Frauen vor dem Engel am leeren Grab. Darüber rechts noch einmal das leere Grab mit Petrus, der „hineinging und sah nur das Tuch". Größer und dadurch hervorgehoben links oben die Erscheinung des Auferstandenen vor Thomas — die Uberwindung des Unglaubens schließt die Bilderfolge ab. Als Bekrönung des Ganzen aber erscheint Christus noch einmal in den Wolken des Himmels sitzend zur Rechten des Vaters.

Somit ist in diesem Bild in wohldurchdachter Komposition alles zusammengefaßt, was Ostern bedeutet: die Uberwindung des Todes und die Erlösung von den Folgen der Sünde durch die Kraft und Herrlichkeit des auferstandenen Gottes.

Der Autor, Professor an der Universität Wien, war Direktor des Museums für Angewandte Kunst in Wien.

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