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Der westdeutsche Markt macht möglich, was der Zensur der DDR schwerfiel: das Einsickern eines mißliebigen Buches ins eigene Land zu verhindern. Von „Ostberlin - die andere Seite einer Stadt“ im Piper-Verlag soll die Rede sein. Im März 1987 erschien der Band des DDR-Schriftstellers Lutz Rathenow und des Fotografen Harald Hauswald. Ausstellungen in beiden Teilen Berlins, in Hannover und Bonn zum Buch waren erfolgreich. Zur Eröffnung einer Kirchentagspräsentation in Ostberlin kamen knapp siebenhundert Besucher. In den USA wandert eine Foto-Text-Kombination noch durch die Universitäten.

Ein Schnellschuß zur Jubiläumsfeier Berlins war der Band njcht. Die beiden Verfasser wollten erst einmal für sich zusammenfassen, warum sie vor zehn Jahren aus der Provinz in die Hauptstadt Ostberlin zogen. Und nicht nach Westberlin, wie viele ihrer Freunde. Der Band stellt außerdem mit Harald Hauswald den Fotografen einer neuen Generation vor.

Die literarischen Qualitäten des Buches sind in den zahlreichen Besprechungen intensiv beleuchtet worden. Aufschlußreich, wie verschieden die Interpretation des Rathenowschen DDR-Bildes ausfiel. Die eher konservative Presse las harsche Kritik am Staate heraus, den linke und liberale Zeltungen eher durch Rathenow selbstbewußt vertreten sahen. Es spricht für den Autor, unberechenbar zu sein. Nach den skurril sperrigen Stücken in „Boden 411“ (Piper) legte er nun diesen einfachen Text vor: Einen Monolog mit metaphorischem Doppelsinn.

Alles in allem: ein erfolgreiches Buch. Im März 1988 teilte der Verlag interessierten Rezensenten mit, daß es vergriffen sei. Im April bekamen die Autoren den Bescheid, daß eine Nachauflage aus ökonomischen Gründen nicht möglich wäre. Nach einem Jahr ist damit ein Buch vom Markt, das aus Sicht von DDR-Stellen nie hätte erscheinen sollen. Der Verlag erklärte, daß er eine Taschenbuchausgabe prüfe. Also alles ein normaler Vorgang?

Einige Folgen des Buches verdienen Erwähnung: das Einreiseverbot für den Piper-Lektor Uwe Heidt in die DDR, ein Hausverbot für den Fotografen Harald Hauswald bei einem Ostberliner Verlag (bestimmte ausländische Filmtypen kann man nur dort entwickeln lassen), im Ministerium für Kultur wird Rathenow auf Zoll- und Devisenvergehen hingewiesen und an die Ausreisemöglichkeit erinnert. Beiden Autoren lehnt man alle Anträge auf Reisen in den Westen ab; ARD und ZDF bekommen keine Drehgenehmigungen für geplante Beiträge zu diesem Buch.

Das alles zu einer Zeit, in der Hauswalds Fotos häufiger in der kulturpolitischen Wochenzeitung der DDR auftauchen, in der ein Verlag aus Halle erstmals ein schmales Buch von Lutz Rathenow in der DDR zu verlegen plant. Der Verlagsleiter verkündet auf einer Pressekonferenz der Leipziger Messe im März 1988 die Veröffentlichung. Zur selben Zeit fordern Angehörige der Zollorgane Mitarbeiter des Piper-Verlages auf, den Berlinband vom Messestand zu entfernen. „Das Buch widerspricht den Zolleinfuhrbestimmungen“, begründen die Ordnungshüter ihre Maßnahme. Ernst Reinhard Piper, Juniorchef des Hauses, wird bei der Messerückreise genau kontrolliert. Man beschlagnahmt Manuskripte des DDR-Schriftstellers -Thomas Günther. Rechneten die Beamten mit Werken eines anderen Autors?

An diesem Vorgang zeigt sich die ganze Zwiespältigkeit gegenwärtiger Kulturpolitik in der DDR. Bestimmte Bücher werden da zum stellvertretenden Beispiel. Monika Marons Roman „Flugasche“ gilt als Lackmuspapier für Zensurprinzipien, zu Recht Jahr für Jahr von westdeutschen Journalisten neu auf seine DDR-Veröffentlichungsfähigkeit hin überprüft, und auch „Ostberlin — die andere Seite einer Stadt“ gerät zu einem Test.

Vielleicht auch für die Erpreß-barkeit westdeutscher Verlage. Direkter Druck von seiten der DDR ist nicht zu beweisen. Aber welcher Verlag will keine Lizenzen vom Aufbau-Verlag? Welche Rolle spielt beständiges Nörgeln von östlicher Seite über bestimmte Bücher und Autoren? Wer möchte keine angenehme Gesprächsatmosphäre? Stört da nicht der ständige Arger wegen eines Buches, das nicht mal ein Bestseller ist? Beileibe kein spezielles Piper-Problem. Luchter-hand ist branchenbekannt als Rücksichtnehmer. Auch ein renommierter Kunstverlag erklärte kürzlich einem Autor, er gäbe gern dessen Buch heraus, aber nur, wenn er einen DDR-Verlag als Partner fände. Man wolle zur Zeit nur offizielle Wege gehen.

Eine Äußerung, die selbst von Kleinverlagen öfter zu hören ist. Mir sind nicht nur Schriftsteller bekannt, ich weiß auch von Fotografen und Malern, die von westlichen Verlegern genötigt werden, geplante Veröffentlichungen beim DDR-Büro für Urheberrechte anzumelden. Durch das Kulturabkommen zwischen DDR und Bundesrepublik sind die Erwartungen in die Folgen des Kulturaustausches gestiegen. Durch unbotmäßiges Verhalten möchte sich da mancher ehrgeizige Westler nicht von den Kontakten ausschließen.

Kunstvermittler wandeln sich im deutsch-deutschen Verhältnis schnell zu Politikern. Selbst der Rowohlt-Verlag bringt den in der DDR hart attackierten Schriftsteller Jürgen Fuchs gar nicht erst mit zur Leipziger Buchmesse, da ihn die DDR-Behörden sowieso aussondern würden. Vorbeugende Zensur also, um die DDR-Zensur unnötig zu machen? Unter den Ostkünstlern als Zensurorgane verrufene Institutionen wie das Büro für Urheberrechte werden aufgewertet, indem sie von immer mehr westlichen Partnern akzeptiert werden. Die Westler animieren zur Gesetzestreue, bestehen in zu vielen Fällen darauf, während die DDRler sich nun langsam aus der juristisch verankerten Bevormundung entlassen wollen. Sie wollen nur mühsam als Gesetze getarnte Zensurparagraphen ignorieren.

Rathenow und Hauswald äußern sich zu sglcnen Mutmaßungen nicht. Der Verlag weist politische Unterstellungen zurück. Man veröffentliche in der Serie Piper im Januar 1989 schließlich Lutz Rathenows Prosaband „Mit dem Schlimmsten wurde schon gerechnet“ als korrigierte Neuausgabe. Und auch seine Bände „Boden 411. Stücke zum Lesen und Texte zu Spielen“ und „Zangengeburt“ sind weiterhin lieferbar. Das bleibt dem potentiellen Leser als kleiner Trost.

Doch Anfang Juli teilte Piper den Autoren mit, daß eine Taschenbuchausgabe nicht in Frage komme. Der Verlag gab mit freundlichen Worten Rathenow und Hauswald alle Rechte an ihrem Werk zurück — obwohl; noch neue Kritiken in Fotozeitschriften erschienen, obwohl beide sich weitere Honorare für den Band in Büchern auszahlen lassen wollten, um wenigstens noch einige Buchwünsche in der DDR zu erfüllen.

Es scheint beschlossene Sache zu sein: Während andere Berlinbücher nach dem Jubeljahr auf den Ramschtischen landen, gerät dieses kurz nach Erscheinen zur i Rarität. Oder sollte sich ein anderer Verlag finden, der einen unüblichen und kostenaufwendigen Nachdruck wagt? Ein angesehener Münchner Kunstverlag prüft derzeit diese Möglichkeit. Aus mehrfachen Gründen wäre dies zu wünschen.

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