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Äpfel — zuerst für die Reichen

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Kann eine gerechte Aufteilung der Nahrungsmittel der Welt den Hunger der Hungernden in den Ländern der dritten Welt stillen? Indiens Landwirtschaftsminister bietet den Schlüssel zur Beantwortung dieser Frage. Auf der Weltnahrungsmittelkonferenz in Rom gehörte er zu den radikalsten Anklägern des Westens, was der Westen an sein Vieh verfüttere, das würde den Hunger in der Dritten Welt überwinden. Doch in New Delhi sagte Jagjeevan Ram nach seiner Ernennung zum Landwirtschaftsminister, der Hunger in Indien sei nur zum Teil das Resultat von Naturkatastrophen; zum größeren Teil sei er „men-made“, von Menschen verschuldet, von jenen Indern verschuldet, für die Nahrung ausschließlich ein Mittel der Spekulation zur grenzenlosen Bereicherung, und Ernährung ein Privileg der Besitzenden ist.

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Kann eine gerechte Aufteilung der Nahrungsmittel der Welt den Hunger der Hungernden in den Ländern der dritten Welt stillen? Indiens Landwirtschaftsminister bietet den Schlüssel zur Beantwortung dieser Frage. Auf der Weltnahrungsmittelkonferenz in Rom gehörte er zu den radikalsten Anklägern des Westens, was der Westen an sein Vieh verfüttere, das würde den Hunger in der Dritten Welt überwinden. Doch in New Delhi sagte Jagjeevan Ram nach seiner Ernennung zum Landwirtschaftsminister, der Hunger in Indien sei nur zum Teil das Resultat von Naturkatastrophen; zum größeren Teil sei er „men-made“, von Menschen verschuldet, von jenen Indern verschuldet, für die Nahrung ausschließlich ein Mittel der Spekulation zur grenzenlosen Bereicherung, und Ernährung ein Privileg der Besitzenden ist.

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Jeder Einwohner hat einen Bedarf von 8 Kilogramm Getreide im Mohat, von 96 Kilogramm im Jahr. Eine Tonne Getreide kann zehn Menschen ein Jahr lang am Leben erhalten. Die 500 Millionen Menschen, die auf indischem Territorium leben, könnten mit 55 Millionen Tonnen Getreide verhältnismäßig wohl ernährt am Leben bleiben. Der indische Getreidebestand beträgt aber 80 Millionen Tonnen, nach Abzug des Saatgutes und des Wetterverlustes. So blieben 12 Kilogramm Getreide pro Mund und Monat, würde man nicht nur nach einer gerechten Verteilung zwischen Industrieländern und den sogenannten Entwicklungsländern, sondern auch nach einer gerechten Verteilung innerhalb jedes Entwicklungslandes schreien. Indien hat aber einen Bestand an Fleisch, Fisch, Milch und Nahrungsfetten, der 250 Gramm Fleisch, oder Milch, oder Nahrungsfett pro Mund und Tag ermöglichen könnte. Sicher nicht genug, um zu schwelgen. Doch das Schwelgen wird in Indien großzügig von jener Schicht besorgt — von Großbauern, Händlern, korrupten Bürokraten — die der Masse verwehrt, was ihr zukommt. Denn Indien ist in zwei Welten geteilt. Die eine Welt, in der es das Spiel von Angebot und Nachfrage gibt, und die andere Welt, in der es nur eine Nachfrage gibt, aber kein Angebot, weil die Kaufkraft der Bedürftigen gleich Null (ist und für eine Kaufkraft des Wertes Null kein Angebot und auch keine Produktion vorhanden sein kann.

Nach Angaben des Ministeriums für Planung leben 173 Millionen in Indien von? 60 Schilling im Monat — unter diesen sind mehr als 90 Millionen, die 25 Schilling pro Kopf und Monat ausgeben können. Die acht Kilogramm Getreide für jedermann kosten aber 58 Schilling. Den Glücklichen unter den 173 Millionen bleibt dann noch etwas übrig. Die weniger Glücklichen füllen eben die Listen der Unterernährten und der an Unterernährung Sterbenden, für deren Leiden die Gier der industriellen Welt verantwortlich gemacht wird.

Das Planungsministerium hat infolge der Ölverteuerung und des Zusammenbruches jeder bisherigen Planung seine eigentliche Arbeit niedergelegt und beschäftigt sich nur noch mit industriellem Wunschtraum .und Statistik. Nach der Zukunftsstatistik des Planungsministeriums wird 1979 die Anzahl der Habenichtse mit einem Einkommen von weniger als 60 Schilling im Monat auf nahezu 200 Millionen angeschwollen sein, Doch die Ernteergebnisse werden — ebenfalls nach den Zukunftsstatistiiiken des Planungsministeriums um bestenfalls 5 Prozent gestiegen sein. Es ist aber durchaus wahrscheinlich, daß in Indien, wie auf der ganzen Welt, mit einer Erntestagnation gerechnet werden muß. Die Grüne Revolution, in die die Hoffnung auf Selbsternährung investiert war, hat nur zur Bereicherung der Großbauern geführt, die teures Saatgut kaufen und teure Produkte auf den schwarzen Märkten verkaufen können. Di« Macht und Vermögensverteilung in den Dörfern, durch die indirekt die Regierungspartei subventioniert und die Regierung finanziert wird, ist eine Garantie dafür, daß die Vermehrung der Habenichtse und di« Stagnation der Ernten nicht zu eine: Veränderung des Verteilungssystems, sondern zu einer Vergrößerung der Schere zwischen Besitzenden und Besitzlosen, Partizipanten an den Märkten und von den Märkten Ausgesperrten führen wird.

Zwei Beispiele, ein reales und ein fiktives, für die Verteilungssituation in einem Entwicklungsland, in der Großmacht aller Entwicklungsländer, Indien. Südlich New Delhis sind Bananen Überschußware. Südlich des Dekkan gibt es zumindest soviel Bananenplantagen wie in den Bananenrepubliken Lateinamerikas. Ich habe nahe von Bangalore alle Bananen auf den Bäumen einer großen Bananenplantage in Fäulnis gesehen. Der Besitzer verschleiert nicht den Grund: Preispolitik. Für die Exporte ist die Zeit in diesem

Monat schlecht. Für die Märkte in den Städten sind nur soviel Bananen vorgesehen, daß der Preis pro Banane niemals unter 10 Paisas sinkt. Im Moment kostet die Banane in New Delhi 20 Paisas — 50 Groschen — und ist ein Luxus für das Kind eines Hilfsarbeiters mit 100 Rs Monatsein-

. kommen. Fäulnis auf den Palmen, Speicherung in den Lagerhäusern, Export entziehen den Bedürftigen i die Nahrungsmittel, erzeugen die i nach Jagjeevan Ram „men-made“-

Hungerkatastrophen in Indien.

Das fiktive Beispiel des Soziali- 5 stenführers Peter Alvares: Man ent-deckt, daß Äpfel das Wundermittel t zur Heilung aller Krankheiten und 1 aller Nöte in Indien sind. Die reiche

Industriewelt, vom eigenen Gewis-sen und von Jagjeevan Rams Druck r geplagt, sendet, was es an Äpfeln 3 gibt, nach Indien. Alvares, bis vor t kurzem Präsident der Eisenbahner- r gewerkschaft, entfaltet folgenden l „indischen“ Verteilerplan: a) Es müs sen genug Äpfel für die Reiohen und für die Mächtigen kommen, b) es müssen genug Äpfel für die Freunde und Verwandten der Reichen und Mächtigen kommen, c) es müssen genug Äpfel kommen, daß die Lagerhäuser und die Keller der Reichen und Mächtigen voll gefüllt werden, d) es müssen genug Äpfel kommen, damit die Reichen und Mächtigen auf dem Weg über die Händler die Märkte mit Äpfeln für den Mittelstand versorgen können.

Natürlich ist die Nahrungsmittel- krise Realität. In Indien wird sie krasse Realität werden, wenn die Frühjahrsemte im nächsten Jahr durch den wachsenden Mangel an

Kunstdünger geringer sein wird als sie es je seit 1965 war. Natürlich 1 bedarf es einer gerechten Aufteilung der Nahrungsmittel zwischen der Ländern einer relativen Saturiert- heit (der Überfluß in diesen Ländern ist bis heute ein Vorwand für demagogische Ablenkung von seiter j jener, die in ihren Hungerländern in 5 Überfluß leben) und den Ländern der Not. Die Voraussetzung für den c Erfolg einer gerechten Aufteilung r zwischen den Ländern des Besatzes r und den Ländern der Bedürftigkeil der Massen ist aber die gerechte i Aufteilung innerhalb jedes einzelner

Landes des Notstandes.

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