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Digital In Arbeit

Äther-Wirrwarr mit Zukunft

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Ist das Audiovisionsabkommen Österreich-Springer-Ferenczy gescheitert? Oder ist es noch immer „praktisch unterschriftsreif“? Wurde aus dem Dreieck Wien-München-Hamburg in der Zwischenzeit etwa eine Achse? Und wenn „die Sache gemacht*' wird, wozu wird sie gemacht, wie wird sie gemacht, für wen wird sie gemacht? So viele Fragen, so wenige Antworten. Aber nicht nur das Dunkel um die vieldiskutierte Österreich-Sprin-gersche Kooperation ist undurchdringlich und bar jeder Transparenz. Die Zukunft der großen Hoffnungsbranche, namens elektronische Audiovision überhaupt ist in dichten Nebel gehüllt.

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Ist das Audiovisionsabkommen Österreich-Springer-Ferenczy gescheitert? Oder ist es noch immer „praktisch unterschriftsreif“? Wurde aus dem Dreieck Wien-München-Hamburg in der Zwischenzeit etwa eine Achse? Und wenn „die Sache gemacht*' wird, wozu wird sie gemacht, wie wird sie gemacht, für wen wird sie gemacht? So viele Fragen, so wenige Antworten. Aber nicht nur das Dunkel um die vieldiskutierte Österreich-Sprin-gersche Kooperation ist undurchdringlich und bar jeder Transparenz. Die Zukunft der großen Hoffnungsbranche, namens elektronische Audiovision überhaupt ist in dichten Nebel gehüllt.

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Bevor Österreich, im Alleingang oder in Zusammenarbeit mit wem immer, auf diesem Gebiet eine Tätigkeit (und notwendigerweise eine vielleicht undankbare Pioniertätigkeit) entfalten kann, müssen weitreichende Entscheidungen auf zwei prinzipiell voneinander unabhängigen, aber in der Praxis eng miteinander verflochtenen Gebieten gefällt werden. Erstens technischapparative Entscheidungen, welche die sogenannte „hardware“, die eingesetzt werden soll, betreffen. Zweitens die Entscheidungen über die „Software“, das heißt, was — und nach welchen Gesichtspunkten — produziert werden soll.

Zuerst die Geräte. Bei der Produktion eines Programmes ist es relativ unwichtig, ob es auf Magnetband oder Film, in dieser oder jener Normkassette, oder auf einer Bildplatte vervielfältigt werden soll. Man kann also Programme produzieren, ohne zu wissen, ob sie für hohe oder kleine Auflagen, für den freien Markt oder für Unterrichtszwecke, für Platte oder Kassette bestimmt sind. Aber bevor diese Frage entschieden ist, ist eine kommerzielle Verwertung oder irgendein anders gearteter Einsatz der Programme unmöglich.- -

Für die Vervielfältigung audiovisueller Programme bietet sich heute eine ganze Palette mehr oder weniger kostengünstiger, mehr oder weniger ausgereifter Systeme an, im Gespräch sind vor allem: Die Kassette mit Magnetband, die Kassette mit herkömmlichem Super-8-Film, die Kassette mit Film- oder Plastikmaterial; das aber nicht konventionelle „Filmbilder“, sondern Bildsignale in einer für besondere Abtastverfahren bestimmten Kodierung enthält, und schließlich die Bildplatte.

Die Kassette mit Magnetband ist bereits auf dem Markt, sogar farbtüchtig. Zum Abspielen benötigt man aber außer dem Fernseher ein Abspielgerät, das wesentlich teurer ist als ein Farbfernseher, und eine Bandkassette für eine Programmstunde kostet rund 1000 Schilling. Dafür kann man jedes aufgenommene Programm löschen und eine Sendung mitschneiden, die einem besser gefällt, man kann sogar — mit einer TV-Kamera — eigene Programme gestalten. Nachteile: Ein Preissturz, der diesem System den Markt öffnen könnte, ist nicht in Sicht. Überdies produziert jeder Erzeuger (Marktführer sind Philips und Sony) Kassetten, die nicht in die Geräte der anderen passen. Eine Einigung auf eine Norm ist ebenfalls nicht abzusehen.

Hunderte von alten Filmen, von Eisensteins „Panzerkreuzer“ bis zum Ladenhüterwestern, kann man heute in den USA in Super-8-Filmkasset-ten kaufen, die ursprünglich eigentlich nur den Vorteil boten, den Heimfilmprojektor einfacher bedienen zu können — Kodak forciert ein Kassettensystem, welches wahlweise Abspielen auf Filmleinwand oder Bildschirm gestattet. Auf der Leinwand ist das Bild schärfer, auf dem Bildschirm aber vertrauter, außerdem ist hier die Bedienung einfacher. Der Fernseher steht immer bereit. Ohne Bildschirm ist die Super-B-Kassette eigentlich lediglich eine Art von „Instamatic-Heimkino“ ohne Elektronik, die Umsetzelektronik für den Bildschirm wiederum wird sehr teuer, viel teurer als ein teurer Farbfernseher, den man dann obendrein braucht, wenn man nicht auf den Reiz der Farbe verzichten will.

Zurückhaltend werden die Chancen des vor allem von dem US-Konzern CBS propagierten EVR-Sys'tems beurteilt, das elektronisch kodierten, und elektronisch abgetasteten, Feinkornfilm vorsieht. RCA wiederum experimentiert mit einem billigen Kunststoffband, das ein sogenanntes Hologramm enthalten und von einem schwachen Laserstrahl abgetastet werden soll. Dem Vernehmen nach hapert es hier vorerst vor allem noch an der Tonwiedergabe.

Ernstester' Konkurrent der Magnetbandkassette: Die Bildplatte, mit der die auf diesem Gebiet zu-: sammenarbeitenden Firmen AEG-Telefunken und Teldec in den nächsten Jahren auf den Markt kommen werden. Es handelt sich um eine superleichte, superdünne Schwester der Schallplatte, die mit so hoher Geschwindigkeit rotiert, daß sie nicht viel mehr als zehn Minuten aufnehmen kann, doch ein Plattenspieler, der etwas mehr als ein teurer Schwarzweißfernseher kosten wird, soll die Platten mit Bildsprüngen von maximal einer Sekunde wechseln. Vorteil dieses Systems wäre die Möglichkeit billiger Massenproduktion — jedes Magnetband- oder Filmkopiersystem ist notwendigerweise zeitraubender und teurer als das Pressen von Platten. Eine Programmstunde soll (wenn auch wohl nicht gerade am Anfang) einst etwa doppelt soviel kosten wie eine Lang-spielschallplat'tenstunde.

Wer heute mit der Produktion von Programmen für den audiovisuellen Massenmarkt der Zukunft beginnt, braucht nicht nur bedeutende Investitionsmittel, sondern auch einen langen Atem. Denn die Branchenkenner sind zwar einerseits der Meinung, eines Tages werde eines dieser Systeme so blitzartig das Rennen machen, daß ein ungeheurer Mangel an fertig produzierten, vervielfältigungsreifen Programmen ausbrechen werde, anderseits aber kann heute niemand sagen, wann dies der Fall sein wird. Und ob Programme, die man beispielsweise im Jahr 1975 für den erhofften Bedarf von 1977 dreht, dann, oder, wenn sich der Boom verspätet, auch etwas später noch hinsichtlich Thematik, Informationsstand, Auffassung und nicht zuletzt Besetzung dem entsprechen, was dann verlangt wird. Das Risiko wäre ziemlich bedeutend. Produktion nur fürs Lager ist immer problematisch.

Außerdem ist die Frage, was man produziert, nur vom rein technischen Standpunkt von der Wahl des Wiedergabesystems unabhängig. Denn es liegt auf der Hand, daß ein schneller Siegeszug der relativ billigen Bildplatte völlig andere MarktVerhältnisse schaffen würde als etwa ein langsames, schrittweises Vordringen des teureren (Magnet-)Kasset-tenfernsehens. Die kürzlich aufgetauchte Meinungsverschiedenheit der Kooperationspartner in spe, ob man „Unterhaltung“ oder „kulturell hochstehende“ Programme herstell-len solle, läßt darauf schließen, daß man sich diesbezüglich Gedanken macht. Denn die Hoffnung, in großen Auflagen produzierte Bildplätten ausschließlich oder auch nur vorwiegend nach kulturellen Gesichtspunkten programmieren zu können, wäre eine Illusion. Ein echtes audiovisuelles Massenmedium würde sehr schnell seiner eigenen Gesetzmäßigkeit folgen. Man muß eine solche, klar abzusehende Entwicklung keineswegs verdammen, um zu finden, daß die Republik Österreich auf einem solchen Markt, auch in der Vorbereitungsphase, so wenig verloren hätte wie die Stadt Wien im Filmgeschäft.

Hingegen wäre denkbar, daß sich das Kassettenfernsehen vor etwaigen Markterfolgen etwa im Schulbetrieb bewährt. Als audiovisuelles Hilfsmittel im Unterricht hat es sicher eine große, von den erhofften Markterfolgen relativ unabhängige Zukunft. Hier könnte Österreich vielleicht Pionierarbeit leisten — wobei allerdings die Frage auftaucht, wozu die Republik, wenn ihre audiovisuellen Aktivitäten so gedacht waren, Springer und Ferenczy braucht, deren Interessen völlig legitimerweise auf rein kommerziellem Gebiet liegen.

Als mögliches Motiv für die staatliche Aktivität auf dem audiovisuellen Hoffnungsmarkt wäre daher doch eher die Absicht ins Auge zu fassen,

sich eine Machtposition und ein Mitspracherecht in einem völlig neuen, erst im Entstehen begriffenen Bereich des öffentlichen Lebens zu sichern.

Das kaum erst geborene Medium der elektronischen Audiovision ist heute allenthalben noch auf der Suche nach seiner Botschaft, aber es ist bereits angetreten, die flimmernden, auf den großen elektronischen Marktplatz des McLuhanschen Weltdorfes gerichteten Fenster zu schließen. Wenn erst jeder den Fernsehapparat jederzeit zum Abspielgerät zweckentfremden kann, ist es mit der von dem amerikanischen Professor konstatierten Öffentlichkeit in der Vereinzelung der Stube wieder vorbei. Das Medium ist dann bestenfalls nur noch dann die Botschaft, wenn gerade keine Bildplatte aufgelegt ist — alte Filme, Shows und Hobbykurse aber dürften doch nicht genügen, um als die neue Botschaft eines neuen Mediums akzeptiert zu werden. Für jede Staatsführung mit Ambition, die Menschen zu beeinflussen und zu ändern, muß die Versuchung nahe liegen, dieses Vakuum zu füllen — und in der Kassette die eine oder andere Botschaft ins Haus zu bringen, der der Weg über die Antenne aus irgendwelchen Gründen verschlossen geblieben ist.

Niemand kann heute absehen, wie sich der audiovisuelle Markt international entwickeln wird, wie breit das Angebot gefächert sein wird, wieviel Attraktivität von diesem Medium ausgehen wird. Es ist zu erwarten, daß es sich zögernd ausbreitet, und diese Tatsache hat durchaus nicht nur negative Aspekte. Einer der Effekte, welche die Ausbreitung der Kassette (und der Platte) hemmen werden, ist der hierzulande noch sehr geringe Farb-TV-Sättigungsfaktor von rund 10 Prozent — viele Konsumenten werden wahrscheinlich zuerst einen Farbfernseher und erst dann ein audiovisuelles Abspielgerät anschaffen, selbst dann, wenn dieses billiger sein sollte. Selbst wenn in den nächsten Jahren ein erschwinglicher „Bildplättenspieler“ auf den Markt kommen sollte, wird es weitere Jahre dauern, bis er durch ein entsprechend umfangreiches Angebot attraktiv und bis der Preis dieser Platten allgemein akzeptiert wird.

So kommen dann auch zwei im Vorjahr durchgeführte Marktforschungen zu völlig entgegengesetzten Ergebnissen, betreffend die Zukunftsaussichten der elektronischen Audiovision: Eine von einer Gruppe von Geräteherstellern beauftragte Firma ermittelte einen Bestand von voraussichtlich 2,78 Millionen Phi-lips-Abspielgeräten in Deutschland bis zum Jahre 1980 (!), während die Marktforscher der Händler nur mit 1,2 Millionen Geräten rechnen.

In den Jahren bis dahin könnte ein anderes, alt-neuea Medium an Attraktivität gewinnen und damit der Konserve einen Teil der Show

stehlen — nämlich das Kabelfernsehen, das in den letzten Jahren in den USA enorm an Verbreitung zugenommen hat. Kabelfernsehen macht auch weiter entfernte, mit der Antenne nicht mehr empfangbare TV-Stationen gegen Gebühr verfügbar, so können etwa 80.000 Brüsseler Fernsehteilnehmer bereits zwischen zwei belgischen, drei deutschen, einem luxemburgischen und zwei britischen Programmen wählen. Sollte sich das Kabelfernsehen stärker durchsetzen, was sehr zu wünschen, weil gleichbedeutend mit einer Verfielfachung der Informationsmöglichkeiten wäre, könnte davon ebenfalls ein die Ausbreitung der Bildkonserve bremsender Effekt ausgehen.

'Fazit: Das programmunabhängige „Fernsehen“ kommt mit Sicherheit und seine gesellschaftlichen Effekte sind noch nicht abzusehen, wenn auch sicher geringer als die des Fernsehens selbst. System- und Normenwirrwarr, hoher Preis sowie andere Faktoren haben einen hemmenden Einfluß, so daß mit einer längeren Einführungsphase zu rechnen ist —: vergleichbar etwa mit dem zögernden Vordringen des Farbfernsehens. Da es auf diesem Gebiet keine dem Programmonopol der Fernsehanstalten vergleichbare Ausschließlichkeit gibt, sind der Miß-brauchbarkeit des neuen Mediums sehr enge Grenzen gesetzt. Direkte staatliche Betätigung auf diesem Gebiet hätte zweifellos weniger Vor- als Nachbeile, während die Femsehan-stalrten selbst gezwungen sein werden, ein neues Selbstverständnis und einen Modus vivendi mit der Bildkonserve zu suchen — eine enge Zusammenarbeit und Verflechtung wäre dabei nur logisch (weil in den Funkhäusern umfangreiche Programmbestände lagern) und keineswegs von Übel.

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