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Afghanistan: Der Frust geht um

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Beobachter berichten aus Afghanistan von einer großangelegten Herbstoffensive von Regierungstruppen und Sowjets gegen die Widerstandskämp-fer, die seit diesem Frühjahr wiederholt die Sowjetgarnisonen und Provinzzentren angegriffen haben. Zweck dieser Offensive ist es wohl, verlorenes Terrain zurüokzugewinnen.

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Beobachter berichten aus Afghanistan von einer großangelegten Herbstoffensive von Regierungstruppen und Sowjets gegen die Widerstandskämp-fer, die seit diesem Frühjahr wiederholt die Sowjetgarnisonen und Provinzzentren angegriffen haben. Zweck dieser Offensive ist es wohl, verlorenes Terrain zurüokzugewinnen.

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Alle zwei, drei Monate erinnert sich die Weltöffentlichkeit wieder des andauernden Krieges in Afghanistan. Die jeweilige Informationskampagne wird von den westlichen Diplomaten in Kabul oder den benachbarten Hauptstädten Pakistans oder Indiens organisiert.

Die afghanische Regierung hat kaum Interesse, ihren zähen Kampf gegen die islamischen Rebellen an die große Glocke zu hängen, und ebenso weiß Moskau um seine erfolglose „Hilfe an den sozialistischen Bruder“. Die Mujahedins schließlich haben weder Zeit noch die Mittel, ihren Widerstand populär zu machen. Selbst ihre jüngsten Bitten nach mehr Nahrungsmittel- und Waffenhilfe fanden nur beschränkt Gehör.

Dennoch sprachen Grenzgänger im pakistanischen Peshawar den ganzen Sommer über von heftigen Attacken der Islam-Kämpfer gegen afghanische und sowjetische Festungen in Kabul, gegen den Befestigungsgürtel rund um die Hauptstadt und gegen die feindlichen Garnisonen in den strategisch wichtigen Zentren an der Salang-Straße, dem nördlichen Zugangsweg nach Kabul, in Jalalabad an der pakistanischen Grenze, in Kandahar im Süden und in Herat, der Grenzstadt zu Iran.

Keiner dieser Provinzorte war während der letzten Monate ganz unter Kontrolle der afghanischen Regierung, und dies trotz starker eigener und sowjetischer Truppenpräsenz. Noch stärker waren die wichtigen Hauptstraßen zwischen Kabul und der Provinz unter Beschuß der Guerillas.

Kaum ein Armee-Konvoi konnte gefahrenfrei von der sowjetischen Grenze nach Kabul oder von Kabul weiter nach Südwesten gelangen. Pausenlose Feuerangriffe auf kleinere Truppenstel-lungen, gezielte nächtliche Angriffe auf Regierungs- und Parteigebäude und politische Morde an Regimetreuen und auch sowjetischen Beamten waren ohnehin an der Tagesordnung.

Dieses Geschehen deutet zwar nicht darauf hin, daß die islamischen Widerstandskämpfer im Krieg gegen die Regierung von Babrak Karmai und dessen sowjetischen Verbündeten die Oberhand behielten. Es zeigte aber, daß die offiziellen Truppen gegen die Guerilla-Taktik des Feindes und trotz einer beweglicheren Artillerie und Luftwaffe, weitgehend machtlos sind.

Wenn Kabul nun seit Mitte Oktober eine große „Herbstoffensive“ lanciert, südlich der Hauptstadt einen sowjetischen Aufmarsch organisiert und im westlichen Herat eine afghanische Division einsetzt, so geht es ihm eher darum, in den vergangenen Wochen und Monaten verlorenen Boden wiedergutzumachen.

Obwohl die kommenden Wintermonate nicht mehr wie noch vor vier Jahren eine eigentliche Pause im Kriegsgeschehen in Afghanistan bringen werden, und sięh höchstens die Kämpfe in den tiefverschneiten Hindukusch- Massiven etwas beruhigen, so ist Kabul wie dem Kreml doch daran gelegen, für mögliche diplomatische Initiativen taktisch eine günstige Ausgangsposition zu besitzen.

Weder in den Flüchtlingslagern in Peshawar noch unter den Mu- jahedins in Afghanistan selbst findet man allerdings noch Optimisten, die an eine baldige Lösung des Konflikts in Westasien glauben. Die politische Unrast in Pakistan läßt_ Präsident Zia ul- Haq keine Zeit, sich mit seinen Nachbarn zu befassen, obwohl die Flüchtlinge in seinem Nordwe sten auch innenpolitisch eine drohende Gefahr sind.

Anderseits ist das harte Ringen zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion um die Nachrüstung in Europa derart ausgeartet, daß Afghanistan zum Nebenschauplatz geworden ist. Und die Bürgerkriegsunruhen in Libanon sind für die breite Öffentlichkeit um einiges brisanter, als die Patt-Situation in dem westasiatischen Gebirgsland.

Tatsächlich fehlt es in Afghanistan an spektakulären Vorstößen, und die jetzige „Herbstoffensive“ ist wohl auch von den Sowjets mehr als Zeichen an den Westen gedacht, daß sie in Afghanistan nach wie vor präsent sind. Die kleinen Gebietsgewinne, die sie damit erzielen, lohnen den Einsatz nur minimal.

Ein weiterer Grund für den verstärkten Aufmarsch könnte allerdings die innenpolitische Lage in Afghanistan sein. Die Khalq- Fraktion in der Regierungspartei gebärdet sich immer mehr antisowjetisch, und auch im Karmal- treuen Parcham-Flügel gibt es starke Moskau-feindliche Proteste. Das, von Kabul aus gesehen, erfolglose Kriegsgeschehen dieses Sommers verstärkt solche Frustrationen.

Dazu kommt, daß ein großer Teil der afghanischen Soldaten nun die obligatorischen drei Jah* re Dienst geleistet hat und entlassen werden möchte. Gelingt es Kabul nicht, genügend Reserven aufzutreiben, so könnten Meutereien nur schwer zu verhüten sein.

Allen diesen Drohungen möchte die afghanische Regierung mit einer möglichst gewinnbringenden „Herbstoffensive“ begegnen. Doch ist es fraglich, daß sich die Hoffnungslosigkeit, die sich in ganz Afghanistan, bei den Afghanen wie den Sowjets, breitgemacht hat, damit auffangen läßt. Nebst der militärischen Patt-Lage weiß man auch hier, daß die internationalen Diplomaten, so die Vereinten Nationen, im Moment keine Möglichkeit zum Vermitteln sehen.

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