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Afghanistan: Der Kampf geht weiter

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Im Dezember 1979 überfiel die Rote Armee Afghanistan. Zwei Jahre danach ist sie von einer „Befriedung" des Landes allerdings weit entfernt. Der Widerstand wächst stetig.

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Im Dezember 1979 überfiel die Rote Armee Afghanistan. Zwei Jahre danach ist sie von einer „Befriedung" des Landes allerdings weit entfernt. Der Widerstand wächst stetig.

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Will man 1981 die ebenso abenteuerlichen wie phantasievollen Orienterzählungen eines Karl May wirklich und selbst erleben, so muß man sich mit den afghanischen Partisanen in ihre sowjetisch-besetzte Heimat durchschlagen.

Von einer umfassenden Okkupation ist aber selbst jetzt, nach Abschluß der zweiten sowjetischen Vorwinteroffensive keine Rede: Man kann von der pakistanischen Grenze weg durch Tage marschieren, reiten und zum Teil sogar fahren, ohne einen einzigen Rotarmisten oder Angehörigen der kommunistischen Regierungsarmee zu Gesicht zu bekommen. Die „Schurewi", so Sowjets in der afghanischen Dari-Spra-che, und Partschamis Babrak Karmals beherrschen außer dem Luftraum nur an die 16 militärischen Stützpunkte wie Kabul, Dschellalabad an der Straße zum Khyber-Paß, Chagha-Saraj in dem ebenfalls nach Pakistan führenden Kunar-Tal.

Während der Kämpfe dieses Herbstes waren selbst die knapp bemessenen Positionen oft in Frage gestellt: Die Aufständischen drangen bis ins Innere der Städte-Kabul, Kandahar und Herat vor und konnten nur unter Einsatz von Kampfmitteln zurückgeschlagen werden, die mehr oder weniger eindeutig gegen das Kriegsvölkerrecht verstoßen:

Durch Einsatz von Napalm in Bagrami südöstlich von Kabul, mit Messern und Eisenstiften versehenen Granaten aus den AGS-17 des Warschauer Pakts an allen Fronten und dem Abwurf von Spielzeugminen; er konnte allerdings persönlich nicht beobachtet werden. Dasselbe gilt für den Einsatz chemischer Kampfstoffe, in erster Linie Nervengas.

In einem Etappen-Lazarett von Peshawar fand sich jedoch die Krankengeschichte eines inzwischen an derartiger Vergiftung gestorbenen Mudschahed aus der Kunar-Provinz. Und bei Muhammad Agha in der Nähe der Russenhochburg Baraki wird einem der „Friedhof der Krieger mit den offenen Augen" gezeigt, denen die Waffen entfallen und ein Ende unter schrecklichen Krämpfen beschieden waren.

Das Verhalten der sowjetischen Soldaten zur afghanischen Zivilbevölkerung, wie es bei einer Durchkämmungsaktion nördlich von Kulangar beobachtet werden konnte, war hastig und roh, doch ohne unnütze Brutalitäten. Hingegen finden harte Vergeltungsbombardements ziviler Dörfer im befreiten Gebiet durch russische Kampfbomber und -hubschrau-ber statt.

Im allgemeinen werden auf beiden Seiten keine Gefangenen gemacht. Sowjets und Partschamis erschießen die Mudschahedin, die meist nur schwerverwundet in ihre Hände fallen, bei den Partisanen ist man oft noch grausamer.

Uberläufer von der sowjetischen und afghanisch-kommunistischen Seite müssen sich im Kampf als solche ausweisen und bewähren, Waffen, Informationen oder sonstige militärische Vorteile mitbringen oder für die antirussische Propaganda brauchbar sein.

Eine verhältnismäßig neue Entwicklung dieses Herbstes sind die Aktivitäten jugendlicher Stadtguerillas in Kabul. Der Kontakt zu den Kleinkampfverbänden der Mudschahedin wird zur Nachtzeit bei persönlichen Besprechungen zwischen den Führern in den südöstlichen Vororten der Hauptstadt abgewickelt, die bereits unter ständiger Partisanenkontrolle stehen.

Außer den Rotarmisten mit ihrem hohen Anteil an nicht-russischen, asiatischen Soldaten dürften in Afghanistan seit dem Frühsommer auch zwei Brigaden aus Volksjemen eingesetzt sein.

Sie versuchen im Wüstengebiet an der iranischen Grenze das-Ein-dringen der von Maschhad aus operierenden Mudschahedin zu unterbinden.

Eine der vielen Kriegermären zum nächtlichen Teekessel dürfte hingegen die kubanische Militärpräsenz am Hindukusch sein. Die Anwesenheit der Kubaner wird vielorts behauptet, auf konkrete Fragen aber geantwortet, daß die schon 1979 ins Land gebrachten „Schwarzen" gemeutert hätten, als sie keine Amerikaner als Gegner vorfanden.

Die afghanischen Regierungstruppen nahmen dort, wo ein militärischer Zusammenstoß erfolgte, nur als Hilfstruppen ohne schwere Waffen im Verband mit den Sowjets an den Kampfhandlungen teil. Dabei stets in minderem Zahlenverhältnis, so daß die Schätzungen auf nur mehr 20.000 Mann zutreffen dürften.

Außerdem schienen in den Mitgliederverzeichnissen der „Hara-kat"-Freiheitsbewegung in ihrem Verwaltungszentrum für Kabul-Süd zahlreiche hohe Offiziere von Armee und Polizei sowie Regierungsbeamte als „Rückversicherer" auf. Der durch das Oberkommando in Kabul während der Herbstoffensive erlassene Einberufungsbefehl für die über ^jährigen hat nur eine neue Flüchtlingswelle vor der Verschneiung der Paßwege nach Pakistan ausgelöst.

Die Freiheitsbewegungen haben darauf—trotz ihrer sonstigen Zwistigkeiten in Peshawar — gemeinsam die Parole ausgegeben, daß die Zivilbevölkerung nicht länger fliehen, sondern den Kampf der Mudschahedin auf afghanischem Boden unterstützen soll.

Die in Zivil seit 1980 aufgestellten „Volksmilizen" dringen hingegen weit in die befreiten Gebiet hinein vor. Ein Feuerwechsel mit einer solchen Anti-Partisanen-Streife erfolgte zwei Tagesmärsche vor der Front im Tal des Khurd-e Kabul. Hohe finanzielle Zuwendungen sowie alte und neue Fehden mit den Sippen der Mudschahedin sind neben Zwangsrekrutierung — von der auch Halbwüchsige nicht ausgenommen bleiben — die Beweggründe zur Einreihung in diese „Verräterformation".

Aus denselben Gründen funktioniert das kommunistische Spitzelsystem zur Lenkung von Luftangriffen, Luftlandeoperationen und Panzervorstößen noch ziemlich auf dem gesamten afghanischen Territorium. Die Informanten der Sowjets und Kabuler Kommunisten bedienen sich dazu

Sprechfunkgeräte oder des weitgehend noch intakten Telefonnetzes.

Die Bewaffnung der Partisanen in diesem ungleichen Kampf zu Boden und aus der Luft besteht neben alten „Erbstücken" aus 5-schüssigen Magazingewehren chinesischer Herkunft,'den sogenannten „Pandsch", aus Handgranaten, Kalaschnikov-Maschi-nenpistolen, Maschinengewehren, Panzerfäusten, Granatwerfern und Tellerminen. Hingegen fehlt es ihnen an jeder wirksamen Boden-Luft-Abwehr und Munition für die erbeutete sowjetische Artillerie.

Seit den Enthüllungen durch den verewigten ägyptischen Präsidenten Sadat ist es kein Geheimnis mehr, daß Kairo mit amerikanischer Finanzierung seine alten Waffenbestände aus dem Ostblock an die Afghanen abstößt. Von Karachi sind Kolonnen von Container-Lastwagen, aber auch kunstvoll bemalte einheimische Möbelwägen zu den Verteilungslagern an der Grenze unterwegs. Dort hat nicht mehr das offizielle Pakistan, sondern die Muslimgesellschaft Dschamiat-Islami die Hand im Spiel.

Doch ist dem Vernehmen nach der Leiter des Verteilungsapparates ein Schwager von Staatschef Zia ul-Haq. „Harakat", afghanische Dschamiat und Nationale Front klagen übereinstimmend darüber, daß der Hizbi-Islami von Gülbeddin Hekmatijar bei der Waffen- und Munitionsausgabe einseitig bevorzugt werde.

Uber die Grenze werden die Waffen von den Freiheitskämpfern selbst transportiert, getragen oder auf Maultiere und Kamele verladen. Im freien Gebiet kann der Transport auf weiten Strek-ken auf La st wägen unter Holz getarnt oder mit sowjetischen Beutefahrzeugen erfolgen.

Allerdings hat die Rote Armee ihre während des Frühsommers ausnahmslos abgeschnittenen und nur noch auf dem Luftwege versorgten Grenzbefestigungen im Vorwinter größtenteils wieder ausbauen, die Paßwege vorübergehend sperren und zum Teil sogar Gegenschläge über die Grenze ins sogenannte „Stammesgebiet" der „Northwest-Frontier-Pro-vince" Pakistans unternehmen können.

Zur Zeit operieren von Pakistan aus sechs Widerstandsorganisationen.

Vom Iran her operieren dem Vernehmen nach sechs größere

Fronten, wozu in Afghanistan selbst an die 60 lokale Partisanenorganisationen meist rein patriotischer Ausrichtung kommen.

Die Nationalisten stellen vor allem im nordöstlichen Nuristan geschlossene Stammesverbände.

Bei wiederholten Gesprächen der Kommandanten war davon die Rede, daß jene Bewegung als erste völlig in Kabul stehen und damit auch eine „freie" Regierung bilden oder wenigsten führen könne, die sich am frühesten Lenkwaffen zur Fliegerabwehr beschaffen könne, worin die letzte Stärke der Sowjets dank ihrer Luftüberlegenheit beruht.

Bei den kleineren Befreiungsbewegungen, die meist von Intellektuellen getragen und konservativ bis demokratisch-fortschrittlich, dabei — trotz gegenteiliger Beteuerungen ihrer Mullahs in Peshawar — eher prowestlich sind, scheint man sich vor einer künftigen Alleinherrschaft des Hizb-e Islami nach iranischem Vorbild zu fürchten.

Ihre Gruppierungen spielen im großen und ganzen die politische Szene Afghanistans vor der kommunistischen „Thaur"-Revoluti-, on von 1978 wieder. Sie wollen bereits Verhandlungsangebote der gegenwärtigen kommunistischen Minderheitsfraktion der „Chal-qis" für Bildung einer „Nationalen Befreiungsregierung" zur Vertreibung der Sowjets wie zur Verhinderung einer islamischfundamentalistischen Nachfolgeherrschaft in Afghanistan erhalten haben.

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