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Afghanistan und der Machtwechsel im Kreml"

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In den Bergen des westlichen Hindukusch fällt der erste Schnee. Die Straßen und Pässe in Afghanistan werden teilweise unpassierbar. Damit sind auch die Truppen aus Kabul und die sowjetischen Besatzer gezwungen, ihre Angriffe auf die Stellungen der muslimischen Freiheitskämpfer, der Mujahedins, zu vermindern.

Die Streiter Allahs selbst ziehen in die südlicheren Gefilde, konzentrieren sich auf die Guerilla-Tätigkeit in den Städten oder rü sten sich im benachbarten Pakistan für die nächstjährige, die vierte „Kriegs-Saison".

Denn dies ist sicher: ohne eine radikale Kursänderung der neuen Kremlführung und einen Teilabzug der Roten Armee aus Westasien wird keine der Kampfparteien, weder Kabuls Revolutionäre noch der afghanische Widerstand, die Hand zu einer neuen Zukunft reichen (können).

Was immer der Winter am Hindukusch bringen mag, in den vergangenen Sommer- und Herbstmonaten dominierte das Kriegsgeschehen. Noch Anfang November häuften sich die Schreckensmeldungen.

Bei Zusammenstößen zwischen Regierungstruppen, verstärkt durch Sowjetsoldaten und -Waffen, und den Freiheitskämpfern im Pandschir-Tal 80 Kilometer nordöstlich von Kabul blieben Hunderte von Toten auf dem Schlachtfeld. Die Revolutionsregierung des afghanischen Präsidenten Babrak Karmal hat zum siebten oder achten Mal versucht, das zerklüftete Bergland, aus dem die Rebellen ihre Attacken gegen die Hauptstadt lancieren, zu stürmen. Doch Pandschir ist längst zum Symbol des afghanischen Widerstands geworden.

Der Ruhm der Gebirgs-Muja-hedin wächst mit jedem russischen Rückzug. Ihr Anführer ist der 28jährige Masoud, ein ehemaliger Ingenieurstudent. Im obersten Abschnitt seiner Verteidigungsschlucht unterhält Masoud eine „Guerilla-Akademie", wo er angeblich bereits Tausende neuer Streiter ausgebildet hat.

Ausländische Besucher des bekannten Guerillos kommentieren: „Es ist schwer zu verstehen,, wie die Widerstandskämpfer es mit einer ganzen Supermacht aufnehmen können. Sie sind von einer derart tiefen Religiosität beseelt, daß sie auch bereit sind, dafür zu sterben."

Da Pandschir im Östlichen Afghanistan liegt, klappt auch der Waffennachschub aus Pakistan. Die aus dem Westen und Mittelost stammenden Boden-Luftraketen und Panzerfäuste erreichen via Karachi die Grenze am Khyber-Paß, wo sie von den Stammesführern an die Kommandotrupps verteilt werden. Ein ebenso wesentlicher Teil der Guerilla-Ausrüstung aber kommt aus den geplünderten afghanisch-sowjetischen Militärarsenalen oder wurde von den Uberläufern der Kabul-Truppen mitgebracht.

Mit diesem Waffen- und Munitionsvorrat und dank ihres strategischen Vorteils und der besseren Kenntnis der schroffen Gebirgsgegend konnten die Pand-schir-Rebellen im September 10.000 feindliche Angreifer zum Abzug zwingen.

Der im Dezember bereits drei Jahre dauernde Krieg am Hindukusch hat den Muslim-Kämpfern aber auch taktische Erfahrung und — allerdings erst seit neuester Zeit - eine überregionale Koordination gebracht. Gerät einer ihrer Trupps unter Beschuß, kann er mit Verstärkung aus den benachbarten Mujahedin-Stellungen rechnen. Dies spielt in Ost- und Zentral-Afghanistan zur Zeit recht gut.

Isoliert sind die Aufständischen im Norden, an der sowjetischen Grenze, und im Westen, wo wegen des iranischen Engagements im Krieg gegen Irak die Waffenhilfe offenbar ausbleibt. Herat scheint mehr oder weniger fest in der Hand der Karmal-Leute, obwohl zwei europäische Journalisten jüngst den dortigen Gouverneur nur im Panzerwagen besuchen konnten und so noch zum Ziel von Gewehrsalven wurden.

Die Regierungstruppen kontrollieren aber auch die Provinzstädte entlang der Ost-West- und vor allem der Nord-Süd-Route, die Moskau als Verbindungsweg nach Kabul benötigt. Hier hat sich erst vor kurzem ein Drama abgespielt, dessen Hintergründe wohl nie geklärt werden:

Eine Explosion mitten im fast drei Kilometer langen Salang-Tunnel, dem wichtigsten Durchstich durch den Hindukusch auf über 3000 Metern, forderte Hunderte, nach einigen Quellen gar Tausende von Toten. Handelte es sich um einen Unfall, um den Zusammenstoß zwischen einem Militär-Konvoi und einem Tanklastwagen, oder machten die Mujahedins ihre frühere Drohung wahr, den Tunnel in die Luft zu sprengen?

Der effektivere Widerstand der muslimischen Glaubensstreiter in Afghanistan wird überschattet durch den Bruderzwist unter den Exil-Afghanen in den pakistanischen Flüchtlingslagern. Obwohl ihre Rückkehr in die Heimat noch weit entfernt scheint, ist in Hinblick auf diesen Tag zwischen den beiden wichtigsten Stammesführern Gulbudin Hekmatiar, Chef der Partei des Islam (Hesbe Isla-mi), und Burhanudin Rabani, Anführer der Islamischen Gesellschaft (Jamiat Islami), ein Kampf um die späteren Machtpositionen entbrannt.

Der Streit wäre harmlos, wenn nicht das Uberleben der Guerillas jenseits der Grenze davon abhängen würde. Waffen, Nahrungsmittel, Decken und Zelte, die letzteren von den internationalen Hilfsorganisationen geliefert, sind der Kontrolle dieser allmächtigen Feudalherren unterworfen, bevor sie die eigentlichen Empfänger erreichen.

Afghanistan und kein Ende. Mit Vermittlung der Vereinten Nationen haben im letzten Sommer in Genf indirekte Gespräche zwischen Kabul und Islamabad über eine mögliche Lösung im Konflikt am Hindukusch begonnen. Noch im Herbst hat UNO-Generalsekretär de Cuellar in Moskau über deren Weiterführung und die Einbeziehung der Supermächte sondiert. Ohne Moskau gibt es in Afghanistan keine Ruhe.

Stimmt es, daß der verstorbene Kreml-Führer die Ratschläge seiner Experten beiseite schob und einen Krieg vom Zaune brach, der mit Vietnam viel gemeinsam hat? Oder wartet Moskau in Afghanistan auf eine Klärung der verworrenen innenpolitischen Lage in Iran?

So oder so: Solange die „gottlosen" Eindringlinge das Land nicht verlassen haben, werden die afghanischen Freiheitskämpfer ihren heiligen Krieg nicht beenden.

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