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Afghanistans Kampf geht unvermindert weiter

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Die militärische Lage in Afghanistan, darin scheinen die meisten Beobachter übereinzustimmen, hat sich in den sechs Jahren Krieg nicht entscheidend verändert. Die Kriegshandlungen werden eskaliert, beide Seiten lernen dazu, verbessern ihr Arsenal und ihre Taktik.

Der größte Teil der Landgebiete ist immer noch vom Widerstand kontrolliert, während die Sowjets ihre Herrschaft über die Städte und Straßen konsolidieren. Spezialeinheiten der „Roten

Armee" ist es gelungen, durch wagemutige Sondereinsätze eine Reihe hervorragender Partisanenführer zu töten, wobei sich neuartige Waffen mit Schalldämpfern gut bewährten. Aber fähige Guerilleros wachsen in Afghanistan schnell nach, und die chinesischen Raketen der Widerstandskämpfer reichen bis in die befestigten Stützpunkte der Sowjets.

Politisch spielt Moskau sein altes Lied vom Wunsch nach einer politischen Lösung und stellt dabei immer wieder einen Truppenabzug in Aussicht. Eingeständnisse in der Prawda von „schweren Fehlern während der Anfangsphase der Revolution in Afghanistan" sollen die sowjetische Bereitschaft zu einem Einlenken glaubhaft machen. Dabei wird allzu leicht vergessen, daß dieses Spiel — mit Varianten — nunmehr seit sechs Jahren schon läuft.

Indirekte Gespräche zwischen Islamabad und Kabul über den UN-Sonderbeauftragten Cordo-

vez stellen auch immer wieder eine politische Lösung in Aussicht. Tatsächlich nimmt aber der Schlagabtausch zwischen der Sowjetunion und Pakistan nur immer mehr zu.

Kürzlich machte nun Moskau seine alte Drohung wahr, pakistanische Dissidenten stärker als bisher zu unterstützen. Manche Stämme und politische Kräfte im Grenzgebiet haben seit jeher ein gebrochenes Verhältnis zur pakistanischen Zentralregierung und liebäugeln seit Jahrzehnten mit Moskau. Hier hält der Kreml ein beachtliches Druckmittel in der Hand. Die in Islamabad regierenden Militärs ließen sich jedoch nicht einschüchtern und erstickten die prosowjetische Stammesrevolte am Khaibar-Paß durch eine energische Großaktion. Es darf als sicher gelten, daß dies nur der Anfang einer sich ausdehnenden Konfrontation zwischen Moskau und Islamabad war, die im Laufe der Zeit immer direkter werden wird.

Die Kabinettsumbildung in Kabul, durch die einige Parteilose in die Marionettenregierung aufgenommen wurden, kann die schmale Basis des Regimes nur ganz geringfügig erweitern, wenn überhaupt. Die Nachrichten über die Regierungsumbildung übersehen

außerdem meist, daß Nadji-bullah, der bisherige Chef des Geheimdienstes KHAD, als Minister aufgenommen wurde. Statt um eine Beschwichtigung des Volkszorns handelt es sich also wieder einmal um eine Verhöhnung der Opposition zum Regime; denn kaum jemand ist in Afghanistan so verhaßt wie der oberste Folterknecht des Landes.

Wie wenig Rückhalt das Karmal-Regime hat, bewies die zum Jahresende erfolgte Verhaftung von fünf afghanischen Generälen, deren Zusammenarbeit mit dem Widerstand aufgedeckt worden war. Vorerst bleibt also den Sowjets nichts anderes übrig, als sich selbst im Kampf zu exponieren. Auf eine afghanische Regierungsarmee werden sie sich allenfalls in vier bis fünf Jahren wieder stützen können, wenn die Jugendlichen, die zu Zehntausenden zwecks Ausbildung in die Sowjetunion verfrachtet wurden, genügend indoktriniert sind, um in Afghanistan einsatzbereit zu sein.

Die Zukunft das afghanischen Widerstandes hängt, wie so vieles, von der Einheit des Widerstandes

ab. Zu Unrecht wirft man den Afghanen immer wieder ihre Zer-strittenheit vor, als wären andere Befreiungsbewegungen in Asien und Afrika weniger zerstritten. Zumindest in der Anfangsphase eines nationalen Befreiungskampfes sind derartige Differenzen eine natürliche Erscheinung. Aufgrund ihrer Zerspaltenheit in zahlreiche Sprachengruppen, Rassen und Stämme dauert der Einigungsprozeß bei den Afghanen verständlicherweise länger als bei rassisch und sprachlich homogenen Völkern.

Fortschritte zeichnen sich jedoch nicht nur im Innern des Landes, bei den Partisanenverbänden ab, sondern auch bei den Exilparteien in Pakistan, die wieder einmal eine „Islamische Allianz der Afghanischen Freiheitskämpfer" gebildet haben. Es sollte nicht Wunder nehmen, wenn auch diese Einheit in ein paar Monaten wieder auseinanderbricht, einige der Widerstandsorganisationen werden aber zusammenbleiben und die Quertreiber isolieren.

Gegenwärtig führen die Parteiführer turnusmäßig den Vorsitz der Allianz - jeweils für drei Monate. Auf diese Weise hat der Chef der „Islamischen Partei", Hikma-tyar, eine unerwartete Aufwertung erfahren. Als Vorsitzender

der Allianz gelangte er zum 40j ährigen Jubiläum der Vereinten Nationen nach New York. Das ist insofern grotesk, als Hikmatyar vielen Afghanen kaum weniger verhaßt ist als Babrak Karmal. Daß die Allianz ihn dennoch als turnusmäßigen Vorsitzenden akzeptieren konnte, zeugt von einem demokratischen Reifeprozeß des Widerstands.

Der Erzopportunist Hikmatyar profitiert während seiner dreimonatigen Amtszeit von der Infrastruktur, die seine Partei speziell in der Bundesrepublik Deutschland hat aufbauen können — dank der Finanzierung durch eine politische Stiftung. Es scheint zweifelhaft, ob er sich auch nach seiner Amtszeit wieder einfügen oder, wie schon bei früheren Gelegenheiten, gleich wieder abspringen wird. Sein Ziel ist die Errichtung einer faschistischen Diktatur in Afghanistan, die sich, ähnlich wie das Khomeini-Regime in Iran, einer islamischen Nomenklatur bedient. Die große Mehrheit der Afghanen, vor allem die Partisanen im Landesinnern, lehnt diese Ideologisierung des Islams resolut ab, ist aber auf die Unterstützung angewiesen, die durch Exilpolitiker wie Hikmatyar herangeschafft wird.

Im Dezember 1985 verabschiedete eine Solidaritätskonferenz in Turin einen von international anerkannten Juristen eingebrachten Entwurf, wonach die Allianz der Widerstandsgruppen als offizielle Vertretung Afghanistans bei den Vereinten Nationen anerkannt werden soll.

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