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Afrika — Zukunft; des Christentums

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Seit 1965 hat sich in Schwarzafrika die christliche Bevölkerung mehr als verdoppelt. Die Kirche ist für viele Afrikaner glaubwürdiger als die politischen Machthaber.

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Seit 1965 hat sich in Schwarzafrika die christliche Bevölkerung mehr als verdoppelt. Die Kirche ist für viele Afrikaner glaubwürdiger als die politischen Machthaber.

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An den Papstbesuch anschließend fand in Lyon vom 12. bis 19. Oktober 1986 die Woche der Weltmission statt. Das Thema dieser Woche lautete „Für die Zukunft der Welt, Jesus Christus“. Man konnte an verschiedenen Veranstaltungen teilnehmen, man konnte die Kirche aber auch geistig oder materiell unterstützen.

In der internationalen Organisation für Arbeit mit dem Sitz Genf wurde vom 21. bis 24. Okto-

ber 1986 ein Colloquium zum Thema „Solidarische Entwicklung“ veranstaltet. Anlaß für dieses Colloquium war der 20. Todestag von Vater Louis Joseph Lebret, eines Dominikaners, der sein Leben der Entwicklung der Dritten Welt und im besonderen Schwarzafrikas gewidmet hatte.

Für den Beobachter dieser beiden Treffen kristallisiert sich folgende Fragestellung heraus: Wie gelingt es der Kirche in diesem bewegten Afrika, einerseits das Evangelium zu verbreiten und anderseits, wie Papst Paul VI. formulierte, zur menschlichen Erhöhung, Entwicklung und Befreiung beizutragen?

Die Schule war die große Helfe-

rin der Kirche in Afrika. In den sechziger Jahren besuchten 68 Prozent der afrikanischen Schüler Schulen der Kirche, und in den siebziger Jahren waren fast 50 Prozent der Volks- und der mittleren Schulen in ihrer Hand. Viele afrikanische Länder verdanken ihre Schriftsprache der Kirche: Suaheli, Kinarwanda in Ruanda, Kirundi in Burundi, Serer im Senegal ...

Während des Papstbesuches in Bangui, der Hauptstadt Zentralafrikas, im August 1985 charakterisierte Erzbischof Joaquim Nda-yen die Aufgabe der Kirche so: „Außer der notwendigen pastora-len Arbeit muß unser Bemühen sich auf die Bewahrung der Gesundheit, auf die Vermittlung von Bildung und auf die landwirtschaftliche Entwicklung richten.“

Die Mehrheit der Bevölkerung lebt in Schwarzafrika auf dem Land. Die Missionare im tiefen Afrika brauchen wohl manchmal Mut zum Heroismus, um dort ihr Christentum zu leben. Das zeigt das Beispiel der Schwestern, die im Gebiet Senefu im Norden der Elfenbeinküste arbeiten. Animi-sten und eine kleine Zahl Moslems leben dort. Die Schwestern

unterhalten medizinische Stützpunkte, soziale Bildungseinrichtungen und katechistische Zentren. Bei einem ersten Missionie-rungsversuch kam man in Konflikt mit der Tradition des Landes. Doch die Schwestern haben das Handtuch nicht geworfen. Sie setzten soziale Gesten, und die Landbevölkerung kommt zu ihnen.

Die afrikanische Caritas hat ihre Arbeit in erster Linie auf die Landbevölkerung ausgerichtet. Sie hilft beim Aufbau des Sanitätswesens, beim Ausbau des Fischfangs und der Landwirtschaft. In den Ländern der Sahelzone ermutigt die Caritas die Bevölkerung, sich um Wasserpunkte herum zu sammeln, neue Brunnen zu graben, Gemüse anzubauen oder eine kleine Viehzucht zu betreiben. Im Senegal, in Mali, in Äthiopien hat die Caritas integrierte landwirtschaftliche Zentren geschaffen. Die Rolle der Missionare liegt in der technischen Hilfestellung: sie führen in die neue Technik, in die Verwaltung und Vermarktung, in die Wartung des technischen Parks ein, sie beraten bei der Anwendung von Samen und Dünger und bei der Aufteilung von internationalen Hilfsgütern.

Die Caritas hat auch jede Ak-

tion unterstützt, die der Verbesserung der Lage der Frau diente. Zusätzlich werden überall in Schwarzafrika Ausbildungszentren gebaut. In den afrikanischen Städten herrscht Arbeitslosigkeit und Jugendkriminalität: Die Caritas hilft durch spezielle Zentren zur Umerziehung. Für die Kirche bedeuten diese Hilfsprogramme keineswegs eine Einmischung in die Politik, sondern eine Stellungnahme zu den dringenden aktuellen Fragen. Und so schweigt auch die Kirche in Südafrika nicht. Der Klerus engagiert sich im Kampf gegen die Apartheid.

In Schwarzafrika wird der „Freiheitsraum“ für die Kirche von den Regierungen bestimmt. Die Beziehungen zwischen Kirche und Staat sind Krisen unterworfen, denn die politischen Machthaber tolerieren keine konkurrierende Autorität. Sie fordern von der Kirche, sich den Regeln des Einparteiensystems zu beugen. Daher gibt es die offen ausgetragene oder latent schwebende Gegnerschaft zwischen Kirche und Staat immer wieder.

In vielen afrikanischen Ländern bietet die Kirche das einzige Forum, in dem sich die Leute frei

artikulieren können. Christliche Zeitungen wie „Lakroa“ (Madagaskar) oder „L'essor des jeunes“ (Kamerun) sind echte Beispiele der freien Meinungsäußerung.

1974 hat die Kirche im Benin die Verstaatlichung ihrer Schulen und das Verbot sämtlicher christlicher Jugendbewegungen mißbilligt. In den siebziger Jahren hat der Klerus in Zaire gegen die von der Regierung ausgehende Bewegung für die „Authentizität“ protestiert, was schließlich zur endgültigen Einstellung der Zeitung „L'afrique chretienne“ führte.

Als 1981 die Kirche Menschenrechtsverletzungen in Zaire anprangerte, wurden die Priester als „Politiker in der Soutane“ beschimpft. Auch in Südafrika wurden Priester Opfer der Verfolgung. Priester werden in solchen Auseinandersetzungen nicht nur gefoltert, sondern auch umgebracht. Die internationale Agentur „Fides“ gibt an, daß 1985 etwa 20 Priester, Ordensbrüder und Nonnen in Madagaskar, Mozam-bik, Angola und Südafrika umgebracht wurden.

In den Ländern Kongo, Benin, Madagaskar verliert das Volk das Vertrauen in die politische Macht, es wendet sich seinen Diözesen zu. In Zentralafrika, Zaire oder Kamerun hingegen befindet sich die

Kirche in einer tiefgreifenden Krise. Die Ursachen für diese Krise mögen einerseits die Entstehung neuer Sekten und der Inte-grismus, eine Form des Islam, sein, anderseits mögen sie in einer Identitätskrise liegen, die durch das Fehlen eines ökumenischen Dialogs ausgelöst wurde. Trotz-

dem hat das Christentum in vielen Ländern zur nationalen Einigung beigetragen.

Die Kirche ist in den Augen der Afrikaner aller Konfessionen glaubwürdig. Die moralische Ausstrahlung ihrer Institutionen fördert ihr Ansehen. Und die finanziellen Mittel aus europäischen Spenden ermöglichen es den Pfarreien, Sozialförderer zu sein. Selbst im kommunistischen Benin hat man einen Priester mit der höchsten Auszeichnung des Staates für seine großartigen Leistungen in den Dörfern geehrt.

In Schwarzafrika hat das Christentum in den letzten Jahrzehnten viele Anhänger gewonnen: Zwischen 1965 und 1985 hat sich die Zahl der christlichen Bevölkerung mehr als verdoppelt — von 29 auf 66 Millionen Gläubige, das bedeutet einen Zuwachs von zwei Millionen im Jahr. Doch sind die christlichen Gemeinden finanziell schlecht gestellt; sie sind auf die Unterstützung aus dem Vatikan und die Hilfe der christlichen Gemeinden der Industrienationen des Westens angewiesen.

Die Weltwirtschaft befindet sich heute auf der Suche nach einer „neuen Wirtschaftsordnung“ — die christliche Kirche sollte es wagen, den Weg einer „solidarischen Entwicklung“ zu beschreiten. Die afrikanischen Missionare erwarten von ihren westlichen Glaubensbrüdern die Mitteilung ihrer technisch-wirtschaftlichen Erfahrungen, nicht um das westliche Modell nachzuvollziehen, sondern um eine Synthese mit afrikanischen Werten einzuleiten, weil die Entwicklungshilfe, wie der Koordinator der Caritas in den afrikanischen frankophonen Ländern, Pater Benu Penoukou, gesagt hat, den Menschen helfen soll, „sich aufzurichten, um zum Himmel zu schauen, um sich entfalten zu können“.

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