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Afrikas Riese fällt

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Flüchtlingselend, Bürgerkrieg, Not und Hunger im Sudan: Die neue Militärjunta müßte allerdings über ihren Schatten springen, wenn sie die hoffnungslose Situation bewältigen will.

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Flüchtlingselend, Bürgerkrieg, Not und Hunger im Sudan: Die neue Militärjunta müßte allerdings über ihren Schatten springen, wenn sie die hoffnungslose Situation bewältigen will.

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Am Freitag, dem 30. Juni, wurde die Regierung des sudanesischen Ministerpräsidenten As-Sädig Al- Mahdi von einer fünfzehnköpfigen Junta jüngerer Offiziere gestürzt, an ihrer Spitze der gerade zum Brigadegeneral beförderte Omar Hasan Ahmad Al-Bashir. Die Verfassung wurde außer Kraft gesetzt, das Parlament aufgelöst und über das gesamte Land der Ausnahmezustand verhängt. Die politischen Parteien und Gewerkschaften wur-

den verboten, eine Anzahl führender Politiker verhaftet. Ihnen wurde gedroht, sie wegen Korruption vor Gericht zu stellen. Beschuldigungen wurden hauptsächlich gegen den Ministerpräsidenten erhoben. Aufgrund seiner Demagogie, seines Intrigenspiels und seiner Unfähigkeit zum Handeln habe er jegüche Glaubwürdigkeit verloren.

An Stelle der alten werde man neue politische Institutionen setzen. Vorerst werde das Land von einem noch zu bildenden Gremium aus parteilosen Technokraten verwaltet werden. Damit wäre der Sudan wieder einmal dort, wo er 1969 schon stand.

Der damals die Macht übernehmende „Feldmarschall“ Numairi nannte seinen Staatsstreich „Mai- Revolution“, Al Bashlr nennt seine eine „Juni-Revolution“. Verbindun- gen zu den wenigen noch verbliebenen Anhängern Numairis hat er kategorisch verneint. Es wäre auch müßig, die Entwicklung auf solche Verbindungen zurückführen zu wollen. Angesichts der schier ausweglosen Situation mußte dringend etwas geschehen. Entweder den Südsudanesen wird zugestanden, endlich auch einmal die Regierung zu leiten - nach 33 Jahren Machtmonopol des Nordens - oder Nord und Süd trennen sich. In letzterem Fall bestünden Überlebenschancen zumindest für einen Teil des Landes, die Sudanesen brauchten dann nicht alle gemeinsam in den Abgrund zu gleiten.

Bekanntlich besteht die Bevölkerung des Sudan aus arabisierten Muslims im Norden und teilweise christianisierten Schwarz afrika- nem im Süden, wenngleich dies nur die gröbste Unterscheidung ist. Die Muslims sind auch im Süden zahlreich, kaum weniger als ein Fünftel. Christen gibt es auch im Norden. Manche Christen im Süden paktieren mit den Muslims. Manche Muslims im Norden, die keine Araber sind, fühlen sich den „Schwarzen“ im Süden mehr verbunden als den arabisierten Nordsudanesen.

Der sudanesische Bürgerkrieg ist deshalb äußerst komplex. Ursprünglich gaben im Süden Separatisten den Ton an. Heute tritt die Aufstandsbewegung SPLA (Sudanese People’s Liberation Army) für einen vereinten Sudan ein - unter südsudanesischer Herrschaft. Deshalb wollen neuerdings einige „Araber“ im Norden den Süden am liebsten in die Unabhängigkeit entlassen, „damit Araber nicht auf Neger zu hören brauchen“.

Wenigstens ein Drittel derBevöl- kerung Khartums, wenn nicht gar schon die Hälfte, besteht heute aus Südsudanesen, und der Zuzug aus den Kriegs- und Dürreregionen hält an, und das zu einer Zeit, da die Hauptstadt zu versinken droht — unter Nilüberschwemmungen und Staubstürmen, Insektenplagen und Flüchtlingsschwärmen.

Als eines der wichtigsten Motive für ihren Schritt haben die Putschisten die Wiederherstellung der brüderlichen Beziehungen zu den arabischen Nachbarstaaten genannt. „Erste Priorität“ habe ferner die Beendigung des Bürgerkrieges. Damit ist jedoch nichts über ihre konkreten Vorstellungen hinsichtlich der zukünftigen Gestaltung des Verhältnisses von Nord- und Südsudan ausgesagt.

Die Hervorhebung des wirtschaftlichen Zusammenbruchs als drittem Hauptmotiv kann auch im Sinne der Mobilmachung verstanden werden, das heißt, die Wirtschaftslage muß verbessert werden, damit der Krieg siegreich zu Ende gebracht werden kann.

In der arabischen Presse wurde der Putsch allgemein begrüßt, begleitet von Mahnungen, den Frieden im Land wiederherzustellen. Nach Auffassung mancher arabischer Blätter setzt das die Niederschlagung des Aufstandes im Süden voraus, als wäre das das Selbstverständlichste von der Welt. Die Nachricht vom Umsturz wurde über den ägyp-

tischenRund- funk ausgestrahlt, bevor noch Radio Khartum sich dazu vernehmen ließ. Der Staatsstreich ist sofort von der kürzlich gebildeten Gruppe arabi- scherStaaten, bestehend aus Ägypten, Jordanien, dem Irak und Nordjemen abgesegnet worden. Dazu gesellt sich noch Saudi- Arabien, das die Allianz der Golfstaaten mit sich führt.

Im Gegen satz beispielsweise zu den Kurden genießen die SUdsudanesen beachtlichen Rückhalt im Ausland. Der Führer der Aufständischen, der aus der sudanesischen Armee desertierte Oberst John Garang, begegnet der „Juni-Revolution“ erst einmal mit Skepsis. Anfang des Jahres konnte seine Rebellenarmee 16 Garnisonsorte einnehmen und etliche tausend Regierungssoldaten gefangensetzen. Nim griff sie sogar auf nordsudanesischen Boden über, vor allem in der Provinz Kordofan. John Garang sah sich stark genug, im Mai einen Waffenstillstand zu verkünden und in die Bundesrepublik und die USA zu reisen, wo er diplomatische Erfolge verbuchen konnte (er hat an der Universität Iowa in Agrarwissenschaft promoviert).

‘ Die Regierenden in Khartum schäumten vor Wut darüber, daß ihr „Buschneger“ mit solchen Ehren empfangen wurde. Auf allgemeinen Druck mußte sogar der widerstrebende Ministerpräsident nachgeben und einer für September geplanten Verfassungskonferenz zustimmen, auf der der Bürgerkrieg beigelegt werden sollte. Die Verteidigungsabkommen mit Ägypten und Libyen wurden aufgekündigt und die islamischen Strafgesetze, wenn auch nicht abgeschafft, so doch ad acta gelegt, beziehungsweise „eingefroren“.

Der Vorschlag des Putschistenführers allerdings, ein Referendum über die islamischen Strafgesetze abzuhalten, macht zumindest stutzig. Lange genug hatte es schließlich gedauert, bis der Kompromiß mit dem „Einfrieren“ zustande kam. Die unter Numairi eingeführte Form des islamischen Strafrechts wurde als „September-Gesetze“ berüchtigt. Werden nun die Sudanesen gefragt, ob sie für oder wider die „September-Gesetze“ seien, dann wifd auch eine Mehrheit der Muslims dagegen stimmen. Wird dagegen gefragt, ob man für oder wider die „islamischen Strafbestimmungen“ sei, dann ergibt sich daraus für viele ein psychologisches Problem, als ob sie für Glaube oder Unglaube entscheiden müßten. Es wird also ganz wesentlich von der Formulierung abhängen.

Die von der SPLA befürchtete Mehrheit für das „islamische Gesetz“ muß zur Teilung des Landes führen, obwohl die Südsudanesen - die Separatisten von einst - heute für die Einheit des Staates eintre- ten. SPLA-Vertreter haben deshalb zuerst einmal bitter reagiert: „Das ist der Dank für den von uns ausgerufenen Waffenstillstand. Die werden übermütig, weil wir ihnen seit zwei Monaten nicht mehr zugesetzt haben.“

Die Beziehungen zwischen dem arabischen Nordafrika und den Schwarzafrikanem südlich der Sahara haben sich allgemein zugespitzt. Der Sudan hätte als Modellfall für ein friedliches und fruchtbares Miteinander beider Welten dienen sollen. Wenn es dazu kommen soll, dann müßten der pan- arabische Brigadegeneral Al-Bas- hir und seine Offizierskollegen schon über den eigenen Schatten springen.

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