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Afrikas Riese taumelt

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Österreichs mit Abstand bedeutendster Handelspartner in Schwarzafrika kämpft seit Monaten gegen den Bankrott seiner Wirtschaft. Der Rohstoff Erdöl hatte Nigeria in den siebziger Jahren zu einer flotten, jedoch krisenanfälligen industriellen Entwicklung verholfen. Für die schwarzafrikanischen Nachbarn war Nigeria seitdem ein reiches Land. Millionen von Gastarbeitern, insbesondere aus Ghana, Kamerun und dem Tschad, fanden im vom Erdölboom ganz berauschten Nigeria Arbeit. Die herrschende Schicht setzte voll auf eine kapitalintensive Modernisierung. Man wollte aufholen um jeden Preis.

Das Geld war vorhanden. Der Zug in Richtung wirtschaftlichem Schwellenland wurde unter Dampf gesetzt. Mit ihm der Bau von Montage- und Stahlwerken, die Ankurbelung der Konsumgüterindustrie, der Ausbau einer pe-trochemischen Industrie und der Infrastruktur. Allesamt Projekte mit hohem Investitionsbedarf. Das lockte die Industrieländer. Mit Nigeria konnten Geschäfte getätigt werden. Nicht nur im industriellen Sektor, auch durch eine kapitalintensive Modernisierung der Landwirtschaft.

Viel Geld, rasches ,3usiness“ und lockender Reichtum rissen eine tiefe soziale Kluft im bevölkerungsreichsten Land Schwarzafrikas. Korruption und Bereicherung blühten, die arme Landbevölkerung geriet vollends in

Not. Landflucht setzte ein, und die Ghettos um die Großstädte wuchsen.

Doch seit Beginn der achtziger Jahre laufen für Nigeria die Uhren plötzlich verkehrt. Die tiefe Rezession der Weltwirtschaft und der stetige Verfall der Erdölpreise machten vor Nigerias Grenzen nicht halt. Im Gegenteil. Die herrschende Schicht sah sich plötzlich mit dramatisch ansteigenden Einnahmenverlusten konfrontiert. Bereits 1980 sanken die Erdöleinnahmen um rund ein Drittel. Sparen wurde unfreiwillig zur Tugend. Investitionsvorhaben mußten zurückgestellt, Importe beschränkt und Kredite aufgenommen werden. Zu großzügig war in den Jahren zuvor investiert worden.

Der Geldbedarf zur Rückzahlung der Investitionen stieg beständig an. Und schon nach kurzer Zeit erreichte die Auslandsverschuldung die abenteuerliche Höhe von 20 Milliarden US-Dollar. Die Einfuhr von Gütern zur industriellen Produktion mußte immer wieder reduziert werden. Dafür war das Geld zu knapp geworden. Doch diese Importbeschränkungen führten zu teilweisem wirtschaftlichen Stillstand bei gleichzeitiger sozialer Unruhe. Die großzügig aufgebaute Industrie konnte nur mehr beschränkt weiterproduzieren und setzte ein großes Heer von Arbeitslosen frei. Die Slums wuchsen, und Millionen von Nigerianern fühlten sich betrogen.

Die Regierung fand auch geschickt und rasch einen Schuldigen: die Gastarbeiter. In Anlehnung an vielleicht europäische Vorbilder wurde der Fremdenhaß zum Erblühen gebracht. Die Ausweisung von zwei Millionen Gastarbeitern 1983 innerhalb weniger Tage, bei gleichzeitigem Zurücklassen von erworbenem Eigentum, stellte dann den Höhepunkt in der Bestrafung der „Schuldigen“ an der Wirtschaftsnot dar. Doch dieser unvorstellbare grausame Willkürakt - gha-nische Gastarbeiter wurden vom Militär mit Peitschen in Anhaltecamps zur Ausschiffung zusammengetrieben — brachte für Nigeria keine Linderung der Wirtschaftskrise. 1983 schrumpften die Einnahmen aus dem Olgeschäft auf bereits 10 Milliarden US-Dollar.

Die neue Regierung des Ibrahim Babangida beschreitet seit 1985 nun neue Wege. Erstmals wird das Volk in Nigeria zur weiteren wirtschaftlichen und politischen Entwicklung befragt. So lehnte die Bevölkerung ein Arrangement mit dem IMF mehrheitlich ab. Mit der Sicherheit von jährlich noch immer knapp zehn Milliarden US-Dollar Einnahmen aus dem Olgeschäft konnte es sich dann General Ibrahim Babangida zu Jahreswechsel auch leisten, die Verhandlungen über einen 2,5-Müliarden-US-Dollar-Kredit aus patriotischen Gründen abzulehnen.

General Babangida will nun einen eigenen, nigerianischen Weg einschlagen, um der Wirtschaftskrise und dem Verschuldungsproblem Herr zu werden. So entwarf die Militärregierung in Lagos ein eigenes Sparprogramm, diametral den Konzepten des IMF entgegengesetzt, und legte es der Bevölkerung zur Diskussion vor. Uber die notwendigen Sparmaßnahmen entwickelte sich unter Marktfrauen, Beamten, Taxifahrern, Botengängern, Arbeitern, ein nationaler Dialog. Beobachter in Lagos konnten von lebhaften Diskussionen aus allen Ecken und Enden der Stadt berichten.

Trotz der politischen Neuorientierung jenseits von Korruption und Nepotismus bleibt das Land in einer tiefen wirtschaftlichen Krise, und eine Besserung kann nicht von heute auf morgen erfolgen.

Die wirtschaftlichen Probleme des Landes dürften Präsident Ibrahim Babangida aber auch zu einem eher verhängnisvollen Schritt getrieben haben: am 8. Januar dieses Jahres trat Nigeria als Vollmitglied der Konferenz Islamischer Staaten bei. Vielleicht wollte man hier politisch Genehmes mit wirtschaftlich Nützlichem verbinden. Daß es dem innenpolitischen Klima eher abträglich ist, dürfte die Regierung in Lagos jedoch gewußt haben. Wochenlang zögerte man mit der Bekanntgabe dieses politischen Schrittes. Nigeria ist mit seinen 100 Millionen Einwohnern keineswegs ein islamisches Land.

Immerhin leben in diesem schwarzafrikanischen Land 35 Millionen Christen und etwa 15 Millionen Anhänger von Naturreligionen. Aufgrund des Beitritts zur Konferenz Islamischer Staaten ist vorwiegend unter der christlichen Bevölkerung die Angst vor einer zunehmenden Is-lamisierungswelle ausgebrochen.

In den vergangenen Monaten wurden heftig anti-islamische Ressentiments geschürt. Beobachter aus Lagos malen bereits das Gespenst eines „afrikanischen Libanons“ an die Wand.

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