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Aggiornamento ist nicht vollendet

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Der bisherige Münchner Erzbischof Ratzinger wurde als zweitwichtigster Mann nach dem Papst in Glaubensfragen bestellt. Er war einmal theologischer Weggefährte Karl Rahners. Blieb er es?

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Der bisherige Münchner Erzbischof Ratzinger wurde als zweitwichtigster Mann nach dem Papst in Glaubensfragen bestellt. Er war einmal theologischer Weggefährte Karl Rahners. Blieb er es?

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1. Ob mit Worten wie „Reformer", „Konservativer" im Bereich der Kirche etwas Deutliches und Genaues ausgesagt wird, kann man grundsätzlich bezweifeln. Aber von einer solchen allgemeinen Frage abgesehen, deuten Sie mit Recht einen gewissen Wandel in der Theologie Ratzingers an.

Auf dem Konzil haben wir beide ganz am Anfang zusammen einen lateinischen Text über „die Offenbarung Gottes und des Menschen in Jesus Christus" erarbeitet. Auch wenn dieser Text aus der konziliaren Diskussion bald wieder verschwand (was kein Unglück war), so zeigt diese kleine Tatsache doch wohl, daß wir beide uns damals wohl theologisch näher standen als jetzt.

Ratzinger deutet in dem Vorwort zu seiner Eschatologie diese „Kehre" in seiner Theologie selber eindeutig an. Andererseits muß man diesen Wandel bei Ratzinger auch nicht überschätzen, sonst hätte er z. B. meinen „Grundkurs der Theologie" im großen und ganzen nicht so positiv besprechen können, wie er es noch vor kurzem getan hat.

Und schließlich hat natürlich jeder Theologe das Recht, seine Ansichten zu revidieren, auch wenn dabei er sich wieder traditionelleren Lehren annähert oder anschließt. Dann bleibt immer noch die Frage offen, ob sachlich die frühere oder die spätere Position richtig ist.

Wenn Sie mich nach den Gründen des Papstes für die Berufung Ratzingers fragen, so weiß ich wirklich nicht mehr, als was jedermann aus den Zeitungen entnehmen kann. Die Glaubenskongregation braucht als Chef einen Kardinal, Ratzinger ist es. Die Kongregation braucht an ihrer Spitze einen Theologen; Ratzinger ist gewiß ein bedeutender, kenntnisreicher Theologe mit gewichtigen Veröffentlichungen.

Ich wüßte nicht, ob jemals an der Spitze dieser Kongregation ein Theologe gestanden hat, der so wie Ratzinger auf dem Gebiet der theologischen Fachwissenschaft sich ausgewiesen hat. Ratzinger genießt aus mehreren Begegnungen mit Johannes Paul dessen persönliche Sympathie, was sicher auch zu seiner Berufung beigetragen hat.

2. Manches der zweiten Frage habe ich wohl schon bei der ersten beantwortet. Ich selbst würde meinen, daß Ratzinger manche Gefahren und Schäden in der Kirche, die nach dem Konzil deutlicher geworden sind, richtig sieht, daß aber der Aggiornamento, der in der Kirche mit dem Konzil begonnen wurde, dennoch noch längst nicht vollendet ist. Er kann selbstverständlich auch nicht ersetzt werden durch eine Rückkehr einfach zu dem, was einmal früher' in Kirche und Theologie gültig war.

Den unleugbaren Gefahren unserer heutigen Situation in der Kirche kann man nicht mit einem sterilen Konservatismus begegnen. Die Norm richtiger Anpassung ist natürlich nicht die beliebige Meinung unserer Gegenwart, sondern das radikale Verständnis des Evangeliums, von dem ja nicht bloß die übliche Moderne, sondern auch die traditionelle Übung und Mentalität in der Kirche sich entfernen. Ob Ratzinger selbst bloß restaurativ wirken wird in seinem neuen Amt, das zu prophezeien oder zu fürchten, fällt nicht in meine Kompetenz.

3. Wenn Ratzinger wirklich selber sein Ziel als „die Kultur der Intuition und des Herzens" bezeichnen sollte, dann ist das sein gutes Recht. Ob mit dieser Beschreibung seine Aufgabe als Präfekt der Glaubenskongregation umrissen werden kann, ist für mich eine andere Frage, zumal wohl jedermann zugeben wird, daß „Intuition" und „Herz" sehr vieldeutige Begriffe sind und Ratzinger gewiß nicht auf ein beliebiges Verständnis dieser Worte festgelegt werden kann.

Selbstverständlich muß die Wahrheit der Offenbarung, die die Glaubenskongregation hüten muß, auch, soll sie wirklich ihr selbst gemäß verkündigt werden, eine Sache des Herzens sein und ein Moment einer nicht mehr auflösbaren „Intuition" enthalten. Aber mit diesen beiden Worten allein läßt sich die neue Aufgabe Ratzingers wohl nicht beschreiben. Ich glaube nicht, daß Ratzinger da anderer Meinung ist.

4. Bei dieser Beschreibung der Aufgabe der Glaubenskongregation deuten Sie ein schwieriges Problem an. Ich bin durchaus in Ubereinstimmung mit dem Papst und Ratzinger, wenn diese beiden der Meinung sind, die Glaubenskongregation solle nicht nur zensurierend, verurteilend, defensiv arbeiten, sie solle vielmehr „positiv stimulierend" zu wirken suchen.

Aber gerade wenn nun ein bedeutender Fachtheologe an die Spitze der Glaubenskongregation tritt, darf man vielleicht auch warnend (wenn man so sagen darf) betonen, daß ein solcher Chef dieser Kongregation sich auch hüten muß, zu selbstverständlich seine eigene persönliche Position in die Entscheidungen und Maßnahmen der Kongregation einzubringen. Die Aufgabe der Theologie und die der Glaubenskongregation bleibt verschieden und soll nicht vermengt werden.

Unter dieser Voraussetzung freilich kann man sägen: in Zukunft sollte die Glaubenskongregation in einem positiven Dialog mit der Theologie unserer Zeit und überhaupt mit den geistigen Strömungen der Gegenwart aktiv dazu beitragen, daß die Botschaft des Evangeliums und der Kirche verständlich und überzeugend in der heutigen Welt ankommen kann.

5. Es ist mir interessant, von Ihnen zu hören, wie Ratzinger die heutige Situation der Theologie charakterisiert. Ich wußte das nicht, habe aber dagegen keine Einwendung. Warum allerdings diese heutige Situation der Theologie ein „sehr schönes Phänomen" sein solle, verstehe ich nicht. Ich würde eher sagen, diese Situation sei eine Tatsache, die so verständlich ist wie der Wechsel der Jahreszeiten; man sollte sich darüberhinaus fragen, ob in der Kirche, auch wenn sie ihre und der Theologie Geschichte nicht autonom allein steuern kann, nicht doch dies und jenes getan werden könne, damit die Theologie wieder blühender werde.

Daß die neuen Räume der Kirche als Weltkirche je ihr eigenes theologisches Gepräge suchen dürfen und sollen, bei aller Einheit der Theologie, das ist eine Ansicht Ratzingers, der ich voll zustimme. Ich würde nicht sagen, daß die Glaubenskongregation bisher deutlich und praktisch dieser Meinung gerecht geworden ist. So kann ich nur hoffen, daß es diesbezüglich nun besser wird.

6. Selbstverständlich braucht die Theologie einen Freiheitsraum. Zweifellos wurde ihr dieser Freiheitsraum in den Jahren der „Pianischen Epoche" (wie ich diesen Zeitraum nennen möchte) oft ungebührlich eingeschränkt. Selbstverständlich hat dieser Freiheitsraum dort seine Grenze, wo ein Theologe frontal und dezi-diert eine definierte Glaubenswahrheit der Kirche leugnet.

Freilich kann es auch vorkommen, was immer wieder neu zu vermeiden ist, daß eine kirchliche Behörde die Unvereinbarkeit einer theologischen Ansicht mit einem Dogma der Kirche behauptet, wo dies faktisch doch nicht der Fall ist. Innerhalb des Freiheitsraumes der Theologie kann es verschiedene Meinungen geben. Eine kirchliche Behörde sollte eine Meinung innerhalb dieses Freiheitsraumes, die sie selber für falsch hält, nicht zensurieren.

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