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Aggressionen

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Viele bedeutende Dramatiker haben vorhandene Stücke als Material für ihre Bühnenwerke verwendet. Man weiß das von Shakespeare, von Nestroy. Und eben Shakespeare widerfuhr dies in jüngster Zeit zweimal: durch lonesco und Edward Bond. Nun hat Peter Turrini die Komödie „Der tolle Tag“ von Beaumarchais frei bearbeitet, es entstand das Stück „Der tollste Tag“, das derzeit im Volkstheater gespielt wird. Uber die Grazer Aufführung hat die FURCHE vor einigen Monaten berichtet.

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Viele bedeutende Dramatiker haben vorhandene Stücke als Material für ihre Bühnenwerke verwendet. Man weiß das von Shakespeare, von Nestroy. Und eben Shakespeare widerfuhr dies in jüngster Zeit zweimal: durch lonesco und Edward Bond. Nun hat Peter Turrini die Komödie „Der tolle Tag“ von Beaumarchais frei bearbeitet, es entstand das Stück „Der tollste Tag“, das derzeit im Volkstheater gespielt wird. Uber die Grazer Aufführung hat die FURCHE vor einigen Monaten berichtet.

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Pierre Augustin Caron, der als Hofbeamter seinem Namen die Adelsbezeichnung „de Beaumarchais“ hinzufügte, war. keineswegs ein Revolutionär wie die Männer von 1789, er wurde von Herzögen und Grafen gefördert, Marie-Antoinette favorisierte ihn. Dennoch ergab sich durch den provokanten Ton dieser Komödie eine politische Sprengwirkung, die aber vom Adel kaum bemerkt wurde. In einem 25 Druckseiten umfassenden Vorwort der Buchausgabe schreibt Beaumarchais, er bedaure, das moralische Thema nicht als blutige Tragödie ausgearbeitet zu haben. Da hätte man dem Stück nicht Immora-lität vorgeworfen, er wäre gelobt worden. Aber er wollte „nur die Franzosen amüsieren“.

Dieses damals nicht geschriebene Stück liegt nun durch die Umarbeitung Turrinis vor: Figaro erwürgt den Grafen. Damit fällt fast alles vom dritten Akt an weg, es gibt keine Aufklärung über Figaros Eltern, keinen Hochzeitszug, keine Szenen im Park. Hier spricht die Erfahrung durch die Ungeheuerlichkeiten unseres Jahrhunderts. Turrini meint, der Witz und damit der Geist sei der Gewalt gegenüber keine Waffe mehr. Tatsächlich hören wir fast täglich, daß Geist als Widersacher von hypertrophen Staatsgewalten niedergetrampelt wird. Was sagt das Stück? Daß nur Gewalt gegen Gewalt aufkommt, das ist nicht sehr viel. Was Turrini ansonsten beibringt, ist ein rüder, mitunter ordinärer Ton und das Grobgeschnitzte der Figuren. Ein Zurück zum Handlungsstück scheint sich auch hier anzukündigen.

Unbegreiflicherweise führt Regisseur Bernd Fischerauer das Stück als outrierte Posse auf. Nur Hermann Schmid als Figaro, Dolores Schmidinger als Susanne, beide passabel, nicht mehr, und Michael Herbe mäßig als Cherubin verzerren die Rollen nicht. Alle anderen sind grelle Karikaturen: Elmar Schulte als Graf Almaviva ein Fettwanst, Helmi Mareich als Gräfin eine Porzellanpuppe, Elisabeth, Epp als Marcelline ein altes weibliches Gespenst, Walter Langer als Bazillus ein Intrigant aus dem Kasperlthea-ter. Damit wird das Stück eine Mordshetze, die Ermordung des Grafen ein Gspaß, und wenn es am Schluß „Revolution“ heißt, der Palast des Grafen einstürzt, sich eine mächtige. Trikolore entfaltet, ist die Revolution eben auch ein GtepaÖ. Verdrehung des Stücksinns. Und die Bühnenbilder von Bernd Müller und Jörg Neumann? Zwei kolossale weiße Atlanten und jeweils verschieden gestellte weiße Renaissance-Flügeltüren. Annullierung jedweden Rokokos. Die phantasievollen Kostüme von Birgit Huiter ordnen sich der Regieauffassung ein. Fazit: Das Bühnenwerk des Franzosen hat nichts an Reiz verloren.

Eine nicht ganz hundert Jahre nach dem Stück von Beaumarchais entstandene Komödie entwirft ein überaus negatives Bild der damaligen russischen Gesellschaft. In dieser Komödie „Wölfe und Schafe“ von Alexander N. Ostrowski, die derzeit im Akademietheater aufgeführt wird, gibt es so gut wie nur Betrug, Heuchelei, Verkommenheit, Trunksucht und Dummheit. Es handelt sich merkbar darum, wer noch wölflscher und wer noch schäfischer ist. Einzig in einer Nebengestalt, die nicht der Herrenschicht angehört, wird, sozusagen als Einsprengsel, eine Ursache aufgezeigt: Gaunerhaftes als Folge sozialer Zustände. Jedenfalls kann sich Ostrowski — Zeitkritik von damals — an Unzukömmlichkeiten nicht genugtun, er zeichnet die Gestalten vorzüglich, verstrickt ihre bedenkenlosen Bestrebungen geschickt ineinander, das ist ein sehr gekonnter Realismus kalter Mache. Aber derlei wirkt auf die Dauer ermüdend, packt nicht, unsere Probleme sind ganz andere: Bombenattentate, Diplomatenmorde, Ausrottung ganzer Völkerteile.

Dieses Stück kann auch die ruhignoble Regieführung von Hans Schweikart kaum viel näherbringen. Alma Seidler gibt hohes tsvoll eine betrügerische Gutsherrin; soll man ihr die Verschlagenheit glauben? Für eine schäflsche Witwe wirkt die reizende Aglaja Schmid zu klug. Silvia Lukan verführt überlegen einen Alten zur Ehe, Ebba Johann-sen geistert als nicht ganz Zurechnungsfähige durch das Stück. Die Mannspersonen: Paul Hörbiger ein drollig thaddädlhafter Haushofmeister, Norbert Kappen ein zerfahrener, stets betrunkener Fähnrich a. D., Alfred Balthof} ein servil korrupter Winkeladvokat, Otto Tausig ein behäbiger Hagestolz, Hanns Obonya ein eiskalter Geschäftemacher, Ernst Anders ein erpresserischer Verkommener.Ekkehard Grübler entwarf ansprechende Bühnenbilder.

Das Cafetheater spielt derzeit im Neuen Theater am Kärtnertor das als bürgerliche Komödie bezeichnete Stück „Blut am Hals der Katze“ von Rainer Werner Fassbinder. Da stehen einen halben Abend lang zehn Darsteller in verschiedenen Stellungen bewegungslos als „lebendes Bild“ auf der Bühne, bewegen sich vorübergehend, wenn sie in Monologen längere Ichaussagen von sich geben, erstarren wieder. Der zweite Teil — die Starre löst sich — bietet Dialoge zwischen je zwei dieser nur andeutungsweise skizzierten Personen. Was gesagt wird, ist ohne Zusammenhang, wäre vielfach beliebig austauschbar, führt aber in jeweils vier, fünf Sätzen Primitivsituationen des Menschlichen vor, vom Geldverdienen über Ehekonflikte bis ins abwegig Sexuelle. Es entsteht ein Mosaik, man kann auch sagen ein Fleckerlteppich von Komplexen, von Aggressionen, die nach den adäquaten Gemeinplätzen verlangen, dieser Seinsschicht entsprechen.

Doch daß dies alles „Phöbe Zeitgeist“, von einem fremden Stern kommend, erkundet und das ganze Stück über nur Gemeinplätze, die sie hört, wiederholt, ist eine der Fassbinderschen sorglosen Unbeholfenheiten. Die so gar nicht delphinische Phöbe beißt lediglich am Schluß alle tot. Strindbergs Sicht, wonach es schade um die Menschen ist, läge einem diesfalls näher. Regisseur Dieter Haspel bietet eine choreographisch gut geleitete Aufführung. Gleichwertige Leistungen bei den zehn Darstellern.

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