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Digital In Arbeit

Ahnungslose Weltbürger"

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Journalisten sollten laut Anton Pelinka „Fachleute für aktuelle Vereinfachung" sein. Bisweilen machen wir es uns in unserem Ex-pertentum ein wenig zu einfach.

Die Berichterstattung über die Skandalfälle der jüngsten Zeit liefert einschlägige Beispiele. Der Leser kann Ausmaß und Proportionen der Skandale vielfach nicht mehr verfolgen, weil nach vermeintlichem Leserbedarf jeden Tag eine noch größere Bombe als am Vortag platzen muß. Was dabei auch platzt, ist die Glaubwürdigkeit der Medien.

Darüber muß einmal offen geredet werden—auch wenn das den Verdacht betulicher „Nestbe-schmutzung" oder gar der Schützenhilfe für die Skandalverursa-cher weckt.

Skandale müssen aufgedeckt werden — so viele es gibt! Aber es wirkt glaubhafter, es mit richtig wiedergegebenen Fakten und Zitaten als mit bombastischen Leerformeln zu tun, in denen Normalität und Gesetzesverstoß nicht mehr zu unterscheiden sind.

Als Spür- und Wachhunde der Demokratie sind Journalisten unentbehrlich. Als Richter und Henker sind sie eine Fehlbesetzung.

Daß sie in der Berichterstattung und Kommentierung dem Ungewöhnlichen, Unerwarteten, „Sensationellen" nachgehen und nicht der Routine, dem Normablauf und der Alltagserwartung, mag tausendfach beklagt werden — daran wird sich nichts ändern. Das entspricht einer Gesetzmäßigkeit der menschlichen Natur.

Dennoch ist der in jeder Mediendiskussion vom Publikum erhobene Ruf nach „mehr positiver Berichterstattung" so einfach nicht abzutun. Vor allem nicht in einer Zeit, in der nur noch Ganoventum und Korruption, Gewaltvergehen an Gut und Blut, eigentlich überhaupt der Weltuntergang erwartet werden. Müßte in einer solchen Zeit nicht — gerade unter Bedachtnahme auf das Gesetz der Außergewöhnlichkeit — die „Sensation des Guten" ihre Kunden finden?

Darüber wird nicht nur innerhalb der Industriestaaten, sondern vor allem auch zwischen Industrie- und Entwicklungsländern seit vielen Jahren schon gestritten.

Die Argumentation der Dritten Welt: Ihr schreibt über uns nur, wenn es Geiselaffären, Staatsstreiche, goldene Betten aus Entwicklungshilfegeldern oder Hungersnöte gibt — nach dem alten Prinzip: „Nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten."

Die Kritiker haben recht—auch wenn schon Tonnen von Papier mit angeblichen Gegenbeweisen vollgedruckt worden sind.

Es gibt die Heldentaten der Mutter Teresa und ihrer vielen Nachahmer in allen Elendsvierteln der Welt. Es gibt die Großtaten österreichischer und anderer Entwicklungshelfer. Es gibt Erfolge bei der Urbarmachung von Wüsten, der Bekämpfung des Hungers und der Ausrottung von Krankheiten in Slums und Indianerdörfern.

Und es gibt das große namenlose Elend, das mit todbezeichnetem Gesicht nach einer Stimme ruft

Wir wissen zuwenig von der Dritten (Vierten, Fünften) Welt. Wir erleben das Ungenügen der Information täglich in dem hilflos wirkenden Versuch, sich über El Salvador und Nikaragua, über Kambodscha und Bangladesch ein Urteil zu bilden. Wir all,e versagen dabei.

Musterfall: Die Regierung des Christdemokraten Duarte war vor der Wahl in El Salvador für alle Journalisten rechtslastig, terroristenergeben, mies. Uber Nacht haben wir alle Duarte zum Reformer gemacht, der leider nur 41 Prozent der Stimmen erhielt und jetzt dem bösen Rechtsextremisten d'Aubuisson Platz machen muß. Wir manipulieren jetzt schon einander selbst...

Die Sprecher der Entwicklungsländer streben eine neue Weltordnung der Information und Kommunikation an — groß wie die Worte sind die Zänkereien darüber. Die Zeitungsverleger der westlichen Welt schreien Zeter und Mordeo, weil sie — mit gutem Grund - befürchten, daß totalitäre Staaten daraus Instrumente für Regierungspropaganda schmieden möchten.

Nur: Warum schreien sie eigentlich? Die Errichtung eigener Nachrichtenaußenposten haben sie ohnehin nicht vor. Korrespondenten in Washington und Moskau sind zumindest für nichtösterreichische Blätter Prestigesache.

In Nairobi oder Dakka schwitzen zwei, drei Agenturleute und berichten aus Hotelzimmern. Nach Managua fährt man nach dem Feuerwehrprinzip: wenn's brennt. Als ob nicht die ganze Welt schon brennte.

Jüngst wurde wieder einmal auf einem Seminar in Linz über solche Themen diskutiert. Man war sich über ein paar bescheidene Reformansätze rasch einig: daß — etwa unter der Ägide der UNESCO — ein Journalistenaustausch erfolgen sollte; daß wenigstens größere Zeitungen und der ORF ständige Korrespondenten auch in weniger attraktive Gegenden entsenden sollten; daß zumindest in Großredaktionen nicht nur Ost-, sondern auch Dritte-Welt-Abteilungen gegründet gehörten.

Und natürlich müßten die Berichte über die Dritte Welt auch interessant, nicht nur moralinschwanger sein. Aber ist der Planet Erde nicht auf jedem seiner 510 Millionen Quadratkilometer aufregend genug?

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