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AIDS der Weltpolitik
Ein neues (altes?) Virus geht in Europa um: ein Völker- und Volksgruppenchauvinismus. Das „AIDS der internationalen Politik" hat es der „Economist" dieser Tage genannt. Wird die Immunschwäche der östlichen Hälfte Europas so groß sein, daß Volk um Volk, daß Land um Land zu Opfern werden?
Die unverhohlenen Sympathien der großen Mehrheit der Österreicher gehören in diesen Tagen den von den Belgrader Zentralisten bedrängten Slowenen und Kroaten. Das verrät einen erfreulich gesunden Instinkt, wenngleich das Überschwappen der Sympathiegefühle gerade in Kärnten und Steiermark (Fritz Csoklich wies im jüngsten „Europa-Studio" des Fernsehens darauf hin) einigermaßen überrascht.
Ein wenig fühlt man sich an den Beifall gewisser Leute für die Siege Israels im Sechstagekrieg erinnert, denen der Volkswitz das süffisante Wort in den Mund legte:, Ach so, ich habe gar nicht gewußt, daß die Israelis Juden sind." Manche Kärntner Politiker scheinen gar nicht mehr zu wissen, daß sie noch vor wenigen Jahren Laibach-Besuche von Kärntner Slowenen für halben Hochverrat hielten. Sei's drum: Im Himmel herrscht mehr Freude... (Lukas 15,7)
Österreich benimmt sich Slowenien und Kroatien gegenüber wirklichkeitsnaher als die übrigen Länder. Aber daß das Zögern der Großmächte ganz so irreal wäre, wie es manche Kommentatoren heute in ihrem Überschwang darstellen, kann man auch nicht sagen. Die Sorge um Folgewirkungen ist berechtigt: Der Albaner-Aufstand im Kosovo wird kommen wie der Handkantenschlag bei Peter Strohm. Auch Bosnien und Mazedonien sind Pulverfässer. Und natürlich die Sowjetunion. Der Ausbruch der Baltenrepubliken Estland, Lettland und Litauen ist wohl nicht mehr zu verhindern. Aber Georgien, die Ukraine, Aserbeidschan, Moldavien, Usbekistan? Wer kann sich einen Flächenbrand von solchem Ausmaß wünschen -im Jahrzehnt der Integration Europas?
Verhindert werden kann er freilich nicht durch Gewalt, sondern nur durch kluge, großzügige Selbstverwaltungsangebote (wie sie übrigens auch Kroatien den Serben Slawoniens machen muß). Wäre auch Belgrad auf diese Idee gekommen, wäre ein loser Staatenbund der südslawischen Republiken zu retten gewesen. Heute ist es auch dafür wohl zu spät. Für die Sowjetunion bleibt dies die letzte Hoffnung. Demokratisierung muß damit einhergehen.
Denn die einstige Grenze zwischen Byzanz und Rom, Morgen-und Abendland, Orthodoxie und Katholizismus, die nun in Jugoslawien neue Virulenz zeigt, ist heute auch die Grertze zwischen Gewalt- und Volksherrschaft. Das sollten die Westvermittler bei ihren Osteuropa-Pilgerfahrten nicht vergessen. Die größte Hoffnung freilich liegt ohnehin nicht bei ihnen, sondern bei den Müttern, die ihre Kinder aus den Kasernen holen.
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