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AK: Nicht länger die Mauer machen

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Anfang April wählen die österreichischen Arbeitnehmer ihre gesetzliche Interessenvertretung. Es wird auch eine Abstimmung über die Politik der Bundesregierung.

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Anfang April wählen die österreichischen Arbeitnehmer ihre gesetzliche Interessenvertretung. Es wird auch eine Abstimmung über die Politik der Bundesregierung.

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Ein halbes Prozent ihres Bruttogehalts wird den rund 2,7 Millionen österreichischen Arbeitnehmern Monat für Monat abgezwackt- als Beitrag für die Arbeiterkammer. Selbst in Zeiten knapper werdender Familieneinkommen kann man diese Abgabe nicht einsparen: Die Arbeiterkammer ist eine Körperschaft öffentlichen Rechts mit Zwangsmitgliedschaft für alle unselbständig Erwerbstätigen (wie dies zum Beispiel die Osterreichische Hochschülerschaft für alle Studierenden ist).

Die Arbeiterkammer hat als Interessenvertretung Begutachtungsrecht in der Gesetzgebung. Sie spielt mit im Konzert der österreichischen Sozialpartnerschaft. Aber nach einer Untersuchung des Ifes-Instituts (im Auftrag der Arbeiterkammer) hatten lediglich zwanzig Prozent der Befragten jemals mit ihrer gesetzlichen Interessenvertretung direkt zu tun. 16 Prozent glaubten, aus ihrem Kontakt mit der Arbeiterkammer einen persönlichen Vorteil gezogen zu haben.

In der erwähnten Umfrage kommt auch das Schattendasein der Arbeiterkammer als Interessenvertretung im Vergleich zum österreichischen Gewerkschaftsbund zum Ausdruck. Dem OGB wird, obwohl rechtlich nur ein Verein mit freiwilliger Mitgliedschaft, wesentlich mehr Gewicht bei der Durchsetzung von Arbeitnehmerinteressen zugesprochen.

Aber alle fünf Jahre rückt die Arbeiterkammer zumindest kurzfristig in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses: anläßlich der Arbeiterkammerwahlen.

Der Wahl der 840 Arbeiterkammerräte in die neun Landeskammern am 8. und 9. April 1984 wird in allen politischen Lagern eine besondere Bedeutung beigemessen.

Zum einen findet die Wahl in einer wirtschaftlichen Situation statt, die gekennzeichnet ist durch zunehmende Arbeitslosigkeit und die zum Teil empfindlichen Auswirkungen des Steuerpakets zur Sanierung der maroden Staatsfinanzen auf die Arbeitnehmereinkommen. So gerät die Arbeiterkammerwahl 1984 zu einer ersten bundesweiten Abstimmung über die Politik der rot-blauen Koalitionsregierung.

Kein Wunder, wenn die regierende SPÖ und die oppositionelle ÖVP auch beträchtliche finanzielle Mittel in den Wahlkampf ihrer wahlwerbenden Fraktionen Sozialistische Gewerkschafter beziehungsweise österreichischer Arbeiter- und Angestelltenbund (ÖAAB) stecken.

Zum zweiten wollen die schwarzen Arbeiter und Angestellten den Trend fortsetzen, der ihnen noch bei jeder AK-Wahl seit 1945 Stimmengewinne brachte. Außerdem soll nach Vorarlberg diesmal Tirol einen schwarzen Arbeiterkammerpräsidenten erhalten, 1969 gelang Bertram Jäger das Kunststück, die Phalanx der roten Arbeiterkammerpräsidenten im westlichsten Bundesland zu durchbrechen.

Rund 400 Stimmen trennten den ÖAAB 1979 noch von der Übernahme des Präsidenten der Tiroler Arbeiterkammer. Mit der Vorverlegung der Wahl vom ursprünglich vorgesehenen Juni-Termin in den April hoffen die roten Arbeiterkämmerer, den gefährdeten Präsidentensessel in Tirol noch einmal zu retten. Denn die Viermonatsfrist für den Stichtag der Erfassung der Wählerlisten entzieht rund 4000 Saisonarbeitern, die erfahrungsgemäß mehrheitlich zum ÖAAB tendieren, das Wahlrecht.

Aber auch nach einem schwarzen Tiroler AK-Präsidenten werden die SP-Gewerkschafter sowohl in den restlichen sieben Bundesländern wie auch im gesamtösterreichischen Arbeiterkammertag den Ton angeben. Bei den AK-Wahlen 1979 erreichten die Sozialistischen Gewerkschafter bei einer Wahlbeteiligung von knapp über 60 Prozent insgesamt 64,3 Prozent der Stimmen (ÖAAB: 31 Prozent; FPÖ: 3,2).

Die Sozialisten entscheiden deshalb auch in erster Linie über die Aufteilung und Verwendung eines 1,3 Milliarden-Jahresbudgets.

Der Leistungsaufwand aller Arbeiterkammern beträgt im Budget 1984 insgesamt 643 Millionen Schilling. Damit werden u. a. Information und Beratung in sozial- und arbeitsrechtlichen Belangen finanziert. Der Sach- und Personalaufwand der neun Landesarbeiterkammern und des Arbeiterkammertages beläuft sich 1984 auf rund 500 Millionen Schilling.

Die Personalkosten, so Kritiker der roten Arbeiterkammerzentrale, kommen meist indirekt der SPÖ zugute: die Arbeiterkammern als rote Kaderschmiede.

Grund zum Nachdenken über ihre Rolle als Interessenvertretung hat die Arbeiterkammer selbst genug. Die oft rauhen Töne mancher roten Arbeiterkammerfunktionäre gegen alles, was im politischen Spektrum unter „grün" firmiert, entsprechen nicht der Stimmungslage der Bevölkerung, wie der Politikwissenschafter Peter Ulram weiß. In einer Zielhierarchie kommt der Umweltschutz gleich nach der Forderung nach Sicherung der Arbeitsplätze.

Und machten 1979/1980 die Arbeitnehmer noch mehrheitlich die internationale Krise für die Wirtschaftsflaute verantwortlich, so gab in einer Umfragewelle 1983 schon die Mehrheit der Befragten der Belastungswelle der Bundesregierung die Schuld an der Wirtschaftsmisere.

Wenn die Arbeiterkammer weiterhin glaubwürdig bleiben will, wird sie parteipolitisch motiviertes „Mauern" hintanstellen müssen — zugunsten einer echten Interessenvertretung aller österreichischen Arbeiter und Angestellten.

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