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AK-Wahl: Spannender als in den Jahren zuvor

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„Es war einmal ein Land, in dem standen eine Menge rätselhafter roter Häuser, aber die Leute gingen jahraus, jahrein daran vorüber, achtlos und ohne sonderliches Interesse, denn sie hatten sich schon daran gewöhnt, daß sie einfach so dastanden. Und doch waren es ganz besondere Häuser, denn sie hatten weder Fenster noch Türen und kein Rauch stieg aus dem Kamin. Überdies waren sie ganz in einer einzigen Farbe gehalten: rotes Dach, rote Mauern, rotes Fundament.“

Das sind Österreichs Arbeiterkammern, wie sie der ÖAAB sieht und in einem für den Arbeiterkammer-Wahlkampf ersonnenen „Märchen von den roten Häusern“ parabelartig darstellt. Vielleicht ist es kein Zufall, daß die schwarze Minderheitsfraktion in den Arbeiterkammern zum originellen Stümittel des Märchens greift, um auf sich aufmerksam zu machen: Das Jahr 1979 ist vermutlich „das“ Wahljahr des zu Ende gehenden Jahrzehnts, gleichzeitig auch jenes Jahr, in dem Worte wie „Wahlmüdigkeit“ und „Parteienverdrossenheit“ in aller Munde sind.

Vor diesem Hintergrund ist es grundsätzlich begrüßenswert und erfreulich, daß der Arbeiterkammerwahl vom 10. und 11. Juni von den einzelnen Fraktionen ein höherer Stellenwert beigemessen wird als je zuvor. Während bei der letzten Wahl im Herbst 1974 nur 64,3 Prozent der Arbeitnehmer von ihrem Wahlrecht Gebrauch machten, liegt diesmal eine höhere Wahlbeteiligung durchaus im Bereich der Möglichkeit, was nur erfreulich wäre.

In direkter oder indirekter Weise ist jeder Arbeitnehmer österreichs - mit Ausnahme der öffentlich Bediensteten, die nicht zur Arbeiterkammer gehören - von der Tätigkeit dieser Institution betroffen: • Die Arbeiterkammer kassiert bei ihren Mitgliedern (rund zwei Millionen), die nicht freiwillig beitreten, sondern kraft Gesetzes ihr zugehören, monatliche Umlagen, die pro

Jahr bis zu 800 Schilling ausmachen können. Viele Arbeitnehmer sind sich dessen aber nicht bewußt, weil die Umlage vom Bruttolohn abgezweigt wird und so dem einzelnen Arbeitnehmer nicht direkt „weh“ tut.

• Mit ihren Millioneneinnahmen (in Wien waren es 1976 fast 300 Millionen, in Vorarlberg über 38 Millionen) finanziert die Arbeiterkammer einen hochqualifizierten Expertenstab, der für Einzelberatung, Rechtsgutachten, Stellungnahmen zu Gesetzen und zur Ausarbeitung verschiedener Studien eingesetzt wird. Die Arbeiterkammer betreibt aber auch eine urnfangreiche Bildungstätigkeit, führt Bibliotheken und vergibt Subventionen - auch an ARBO, ASKÖ und sozialistische „Naturfreunde“.

• Als einer der vier Stützpfeiler der Sozialpartnerschaft hat die Arbeiterkammer aber auch Anteil an der direkten, wenn auch außerparlamentarischen Machtausübung.

. Wenn die Arbeiterkammerwahl diesmal besonders im Blickpunkt des Interesses und der politischen Auseinandersetzung steht, so hat dies sehr direkt mit dem Umstand zu tun, daß die Sozialisten in Tirol um einen Präsidentenstuhl zu zittern haben. Seit der letzten AK-Wahl lautet der Mandatsstand in Tirol 36 SPÖ : 32 ÖAAB : 2 FPÖ. Wenn die SPÖ nur ein Mandat verliert, kommt es zu einem Gleichstand mit der Opposition. Verliert sie zwei Mandate, kommt es aller Voraussicht nach zu einer gemeinsamen Wahl des ÖAAB-Spit-zenkandidaten Ekkehard Abendstein durch ÖAAB und FPÖ.

Nach diesem Muster waren bereits 1969 ÖAAB und FPÖ in Vorarlberg vorgegangen. Erstmals kam es dadurch mit Bertram Jäger zu einem nicht der SPÖ angehörenden AK-Präsidenten, der dann 1974 sogar allein die Mehrheit schaffte.

Die Aussicht, in Vorarlberg einen unbequemen Bertram Jäger nicht mehr loszuwerden und mit dem Tiroler Abendstein gar noch einen weiteren „Schwarzhörer“ im fast monoko-lor-roten AK-Vorstand sitzen zu haben, dürfte die Sozialisten im vergangenen Jahr auch maßgeblich zu jenem famosen Arbeiterkammergesetz inspiriert haben, das die im Unternehmen eines nahen Verwandten tätigen Arbeitnehmer vom Wahlrecht ausschließen sollte, dann aber durch den Verfassungsgerichtshof aufgehoben wurde.

Damit aber nicht genug: In der Erfassung der Wahlberechtigten kam es zu beispiellosen Vorgängen. Mehrfach Wahlberechtigte, Schein-Arbeitsverhälthisse sowie offensichtlich willkürliche Streichungen aus den Wählerverzeichnissen sind an der Tagesordnung. Nach dem Spruch des Verfassungsgerichtes hat man überdies in vielen Fällen versucht, die Familienangehörigen von Unternehmern und Selbständigen dadurch loszuwerden, daß man sie als „leitende Angestellte“ (die nicht wahlberechtigt sind) deklarieren wollte.

Interessant ist übrigens in diesem

Zusammenhang, daß der ÖAAB gar nicht so sehr über die Wählererfassung und Sprengeleinteilung schimpfen und lamentieren müßte, hätte die ö VP in der Zeit ihrer Alleinregierung nur einen Bruchteil jener Bereitschaft zur Einsetzung ihrer Mehrheit gehabt, wie es die Sozialisten Inden siebziger Jahren sehr ausgiebig praktiziert haben:

1967 hatte die Volkspartei nämlich eine Gesetzesinitiative in Vorbereitung, wonach Arbeiterkammerwahlen wie verkleinerte Nationalratswahlen an einem Sonntag in den gewohnten Wahllokalen stattfinden hätten sollen. Sozialministerin Grete Rehor aber zog die Notbremse, weil die SPÖ ihre Zustimmung versagte -und die Mehrheit im Nationalrat dafür einzusetzen, wollte die ö VP nicht wagen.

Die Volkspartei geht zwar nach der Niederlage vom 6. Mai - unter dem Motto: „Jetzt erst recht!“ - mit gedämpftem Optimismus in die AK-Wahlauseinandersetzuhg, doch hat sie sich mit der letzten AK-Wahl selbst die Latte recht hoch gelegt.

Seit AK-Wahlen durchgeführt werden (die Arbeiterkammer wurde am 5. März 1919, also unter der nicht ganz zwei Jahre dauernden Großen Koalition der Ersten Republik, vom Christlich sozialen Abgeordneten Christian Fischer im Parlament beantragt), ist der Stimmenanteil der Christlichsozialen bzw. des ÖAAB ständig gestiegen.

Von 1949 bis 1974 erhöhte der ÖAAB seinen Anteil von 14,2 auf 29,1 Prozent. Die SPÖ fiel im selben Zeitraum von 64,4 auf 63,4 Prozent zurück. Die Kommunisten haben sich mit einem Verfall von 9,7 auf 0,3 Prozent nahezu in Luft aufgelöst. Auch die FPÖ fiel von 11,7 auf 4,6 Prozent zurück.

Im Bereich der Angestellten ist der ÖAAB bereits recht nahe an die SPÖ herangekommen. 1974 schaffte die SPÖ im Wahlkörper „Angestellte“ (daneben gibt es die Wahlkörper „Arbeiter“ und „Verkehr“) 49,5 Pro-, zent der Stimmen, der ÖAAB brachte es auf respektable 41,6 Prozent.

Nicht nur im Wahlkampf war der auffallende Gleichklang der sozialistisch dominierten Arbeiterkammer mit der Regierungspartei nicht zu überhören. Während vor 1970 nicht rasch genug Protestresolutionen der Arbeiterkammern gegen Preisauftrieb und Wirtschaftspolitik der Regierung verabschiedet werden konnten, ist von derlei Aktionen in den letzten Jahren wenig zu hören.

Wie sehr die Arbeiterkammer einschneidende Maßnahmen der Regierung abzuwiegeln versucht, zeigt das Vorwort des Jahrbuches 1977 der Wiener AK. Darin heißt es: „Die Bemühungen der österreichischen Wirtschaftspolitik, die Vollbeschäftigung zu erhalten, veranlaßten die Bundesregierung zu einem sogenannten Maßnahmenpaket im Bereich der Sozialpolitik und der Steuergesetzgebung, das mit Jahresbeginn 1978 wirksam wurde.“ Einer ÖVP-Regierung gegenüber hätte die Arbeiterkammer gewiß kräftigere Worte gefunden!

Naheliegend also, daß der ÖAAB an die SPÖ-Fraktion in der AK den Hauptvorwurf richtet, der Regierung unentwegt die Mauer zu machen. Die SPÖ revanchiert sich mit der Behauptung, der ÖAAB täusche die Wähler, indem er Alois Mock plakatiere, der als Bundesbediensteter der Arbeiterkammer nicht angehöre und daher weder aktiv noch passiv wahlberechtigt sei.

In der sachlichen Auseinandersetzung haben sich die beiden Hauptkontrahenten der gleichen Themen angenommen, was aber noch lange nicht heißt, daß sie in diesen Bereichen einer Meinung sind. Das grundsätzliche Anliegen der Sicherung der Arbeitsplätze steht insbesondere bei der SPÖ im Vordergrund.

Für Pendler (Pendlerpauschale) und Schichtarbeiter (frühere Pensionierung) hat der ÖAAB klare Forderungen. Die SPÖ will diesen Gruppen auch helfen, aber die Vorschläge des ÖAAB hiezu erscheinen ihr unannehmbar. Die Frauen und Gastarbeiter werden gleichfalls heftig umworben. Der ÖAAB setzt sich für ein verstärktes Arbeitnehmerservice der Kammer ein („Helfen statt herrschen“).

Für die Volkspartei wird die AK-Wahl vom 10. und 11. Juni aber noch ein sehr wertvolles „Abfallprodukt“ erbringen: Gelingt es dem ÖAAB, seinen Stimmenanteil zu halten oder gar auszubauen, wird die ÖVP um so leichter imstande sein, notwendige und überfällige Schritte in Richtung einer glaubwürdigen Arbeitnehmerpartei zu unternehmen.

So könnte etwa der kuriose Umstand eintreten, daß der der SPÖ angehörende Präsident des Arbeiterkammertages, Adolf Czettel, gerade dann, wenn er Stimmen verliert, der volksparteilichen Reformdiskussion einen gehörigen Denk-Czettel verabreicht ...

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